Originalton

Die Katze

Eine Katze sitzt in Jameln im Wendland auf dem zentralen Platz in dem historischen Rundlingsdorf.
Eine Katze sitzt im Wendland auf dem zentralen Platz in einem Rundlingsdorf. © picture alliance / dpa / Philipp Schulze
Von Inger-Maria Mahlke · 21.11.2014
Die Autorin Inger-Maria Mahlke, unter anderem Preisträgerin des Open Mike, präsentiert in dieser Woche Gedankensplitter aus ihrer Werkstatt. Heute liest sie den kurzen Text "Die Katze", der ein Nicht-Anfang für einen neuen Roman sein könnte.
Die Katze liegt auf der Mauer bei der Küchentür und raucht. Das Radio flüstert ihr die Novela ins Ohr. Das Radio ist Kriegen und sterbenden Königen vorbehalten, die Batterien, schimpft der Großvater, meist versteckt er es.
Die Katze schließt die Augen, als Inma an ihr vorbei läuft und in die Dunkelheit der Küche.
Inma zieht ihr Kleid aus, den Kittel an, in dem weißen Holzbett schläft ihr Schwesterchen. Die Fäuste so rot, als gehörten sie ins Innere des Körpers und nicht auf die hellblaue Decke.
Die Katze ist letzte Nacht heimgekommen, Inma hat sie gerochen, Anis und Kümmel, ehe sie ihre Schritte hörte. Zimt und Zitrone, als die Katze Bluse und Rock über die Stuhllehne gehängt hat. Die Matratze ist eingesunken, einstwarmes Fett und Süßes hat sich mit ihren Haaren auf dem Kissen ausgebreitet. In ihren Fingern hängt hartnäckig Bleiche. Die Katze kam aus einem der großen Häuser, wo sie Platten mit rautenförmigen Teigtaschen belegt hat. Sie hat Mandeln gehackt und mit einem Messer in Mehl gezogen, Eiweiß steifgeschlagen, Zucker erhitzt. Vor dem Einschlafen hat sie nicht gebetet.
Inma zieht den Kittel über den Kopf und die Großmutter hält ihr den mit Tüchern umwickelten Topf hin, den Inma jeden Mittag zu den Feldern trägt. "Zicklein", sagt die Großmutter.
Der Großvater arbeitet auf den Feldern, damit Inma genug zu Essen und ein Bett hat. Damit die heiligen drei Könige ihr neue Kleider bringen. Holz im Ofen brennt und Kastanien röstet. Im Winter würden ihre Finger sonst im Regen abfaulen, sagt die Großmutter,
Kaninchen schlägt der Großvater mit der Handkante in den Nacken. Zicklein packt er an den Hinterbeinen, schleudert sie gegen die Wand, bis der Schädel springt und Inma die Knochenplatten mit der Fingerspitze verschieben kann. Neugeborene Kätzchen, die keiner will, sodass sich die Katze mit gefülltem Bauch ins Haus schleicht und versucht, das Zucken in ihren Flanken zu verstecken, nein.
Abends bei Tisch beten alle. Inma wartet, bis die anderen sich aufgetan haben. Die Katze lehnt an der Wand, setzt sich nicht, greift mit langem Arm nach einer gebratenen Kartoffel. Die Großmutter schlägt mit der Gabel nach ihr, doch die Katze ist schnell und schon bei der Küchentür.
Wo sie denn hin will, fragt der Großvater.
Morgen geht ein Schiff, antwortet die Katze. Wenn in den großen Häusern nicht gefeiert wird, verpackt die Katze Tomaten, wickelt jede einzelne in knisterndes Papier, durch das man das Rosa der Finger sehen kann. In der Halle hängt eine lange Reihe Lampen, darunter stehen Packtische, auf die die Körbe geleert werden. Nachdem ihr Schwesterchen geboren wurde, ist Inma mitgegangen. So wirst du dich benehmen müssen, hat die Großmutter zur Katze gesagt. Ob die Katze mit jemanden gesprochen hat, wollte sie von Inma wissen, wenn sie morgens heimkamen.

Kleine Formen erproben und mit den Möglichkeiten des Radios spielen: "Originalton" heißt eine tägliche Rubrik unserer Sendung "Lesart" - kurze Texte, um die wir Schriftsteller bitten. Die Originaltöne dieser Woche stammen von der Autorin Inger Maria-Mahlke. Es sind Schnipsel aus der Werkstatt der Autorin, Texte und Gedankensplitter, die Auskunft geben über das, was sie gerade interessiert. Inger-Maria Mahlke bezeichnet ihre Originaltöne selbst als "Aufgelesenes am Wegrand".

Inger-Maria Mahlke, geboren 1977 in Hamburg, wuchs in Lübeck auf, studierte Rechtswissenschaften an der FU Berlin und arbeitete am Lehrstuhl für Kriminologie. Sie ist Trägerin des 17. Open Mike 2009 sowie des ersten Debütpreises des HarbourFront-Literaturfestivals 2010 für ihren Roman "Silberfischchen". 2012 erhielt sie bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt den Ernst-Willner-Preis für einen Auszug aus ihrem zweiten Roman "Rechnung offen" (2013), der von Kritik und Lesern gefeiert und 2014 auch mit dem Karl-Arnold-Preis der Akademie der Künste und Wissenschaften von NRW ausgezeichnet wurde. Mahlke lebt in Berlin.

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