Oper

Knietief im Klischeesumpf

Von Uwe Friedrich · 25.01.2014
Wo Leoš Janáček vielfach gebrochene Charaktere mittels seiner ungeheuer wandelbaren Musik entwirft, da bewegt Andrea Breth bloß mit unfassbar platten Symbolen blutleere Pappkameraden hin und her.
Schon während des Vorspiels sitzt die in einer unglücklichen Ehe gefangene Kaťa Kabanová im ansonsten leeren Kühlschrank und schaut traurig auf die sie umgebende Bühnenlandschaft. Dem gutwilligen Zuschauer steht das Assoziationsfeld mindestens so weit offen wie die Kühlschranktür: Ist die innere Glut dieser Frau so groß, dass sie Abkühlung nur im Gefrierfach finden kann? Hat sie sich so sehr an den sibirischen Winter gewöhnt, dass eine wohlige Kühle als Betriebstemperatur braucht? Oder hat sie bloß den Kühlschrank leer gefuttert und denkt bedrückt an die nun fällige Diät, um weiterhin ihre Kleidergröße halten zu können?
Prätentiöse Psychosymbolik
Auch dem wenig erfahrenen Operngänger drängt sich jedoch schon in den ersten Minuten der Verdacht auf, dass es sich auch bei Andrea Breths Inszenierung von Leoš Janáčeks Meisterwerk "Kaťa Kabanová" um eine weitere Ansammlung von prätentiöser Psychosymbolik und abgegriffenem Statistenkitsch handeln wird - und dieser Verdacht, dass hier eine Regisseurin knietief im Klischeesumpf steckt, wird in den folgenden 90 Minuten auf allerödeste Weise bestätigt.
Schon die Kostüme von Silke Willrett und Marc Weeger legen die vielschichtigen Charaktere auf eine platte Aussage fest: Die Kabanicha als Ziege im Pelzmantel, ihr Sohn Tichon der verschlampte Alkoholiker mit schlecht sitzender Krawatte, der selbst auf Dienstreise sein Hemd nicht ordentlich in die Hose stecken kann, Boris ein unzuverlässiger Provinz-Dandy und die Titelheldin Kaťa wird zur trutschigen Kopftuchträgerin ohne inneren Antrieb.
Ein Pope läuft mit Kreuz und Soutane durchs Bild, schleppt gegen Ende auch eine Kinderstatistin mit sich, die wohl das kleine Mädchen Kaťa darstellen soll oder die nachwachsenden jungen Kaťas, denen zweifellos das gleiche traurige Schicksal drohen wird, nämlich von einer bösen Welt in den Suizid getrieben zu werden.
Den Freitod sucht Kaťa selbstverständlich nicht durch den naheliegenden Sprung in die Wolga, in der sie trotz dem laut gesungenem Text gesichtet wird, sondern indem sie sich in einer alten Badewanne die Pulsadern aufschneidet. Dieses Ende ist spätestens dann vorhersehbar, wenn sie sich in einer früheren Szene in eben dieser Wanne liegend darüber beklagt, keinen Schlaf finden zu können. "Wie man sich bettet, so liegt man", möchte der praktisch begabte Mensch dieser Frau zurufen und empfehlen, es doch mal mit einer handelsüblichen Matratze zu versuchen, die auf der von Annette Murschetz dekorativ vermüllten Bühne zahlreich herumliegen.
Ihre gehässige und bigotte Schwiegermutter ist allerdings ebenso unpraktisch: Langwierig schält sie noch mal eine bereits geschälte Kartoffel, um damit ausgiebig obszöne Dinge zu treiben, die an urologische Schreckensberichte denken lassen. Wenig später probiert sie mit ihrem Liebhaber Dikoj auf dem Küchentisch eine durchaus unkonventionelle Methode, diese Kartoffel zu Püree weiter zu verarbeiten. Auch diese Szene verschenkt die Regisseurin an eine peinliche Slapstick-Komik, die den Kern des Werks meilenweit verfehlt.
Kein Lichtblick, nirgends
Wo Leoš Janáček vielfach gebrochene Charaktere mittels seiner ungeheuer wandelbaren Musik entwirft, wo selbst der alkoholkranke Schwächling Tichon so etwas wie Mitleid beim Publikum hervorrufen kann, da bewegt Andrea Breth bloß mit unfassbar platten Symbolen blutleere Pappkameraden hin und her.
Keine dieser Figuren ist glaubwürdig, keine kann unser Interesse wecken, denn konsequent verweigert Andrea Breth auch dort Lichtblicke, wo sich in Leoš Janáčeks Musik durchaus utopische Räume öffnen.
Einzige Rettung: Der Gesang
Die einzige Rettung dieses kurzen und doch überlangen Abends liegt im Gesang. Eva-Maria Westbroek ist eine so überragende Künstlerin, eine so ehrliche, mutige und großzügige Sängerin, dass man während ihrer Auftritte das szenische Elend vergessen kann. Sie fesselt mit der musikalischen Gestaltung der Sehnsüchte und Ängste, der Hoffnung und Verzweiflung einer Frau, die sich in einer repressiven Gesellschaft nicht anders zu helfen weiß als mit der Flucht in den Freitod. Die Trauer über solche Verhältnisse, die Frage an uns, was jeder Einzelne gegen diese Hilflosigkeit unternehmen könnte, sie nehmen in ihren Klängen Gestalt an, finden einen Widerhall in ihrem Gesang.
Die Tenöre Pavel Černoch (Boris), Stephan Rügamer (Tichon) und Florian Hoffmann (Kudrjasch) bewegen sich auf ähnlich hohem Niveau, während Deborah Polaski als Kabanicha vor allem darstellerisch überzeugt. Die Staatskapelle spielt die kleinteilige Partitur unter Anleitung Simon Rattles erstaunlich unpräzise und verfehlt den unbedingt nötigen Sehnsuchtston dieser Musik. Den bei Leoš Janáček immer bedeutungsvollen Paukenschlägen fehlt es an Differenzierung, die Farbpalette der Streicher und Blechbläser erweist sich als arg eingeschränkt.
Erwartbare Trostlosigkeit
Musikalisch war diese Trostlosigkeit nicht zu erwarten, szenisch wusste die Staatsopernleitung jedoch sehr gut, was man mit dieser vier Jahre alten Inszenierung aus Brüssel einkauft - und so stellt sich die Frage nach dem ästhetischen Kurs der Staatsoper unter dem Intendanten Jürgen Flimm erneut und mit unveränderter Dringlichkeit.

Leos Janacek: Katja Kabanova
Inszenierung an der Staatsoper Berlin
Regie: Andrea Breth
Musikalische Leitung: Simon Rattle

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