Omniversal Earkestra

Berlins überraschendste Bigband

Ein Trompetenspieler in der Sonne.
Wild geht es zu bei den Auftritten des Omniversal Earkestras. © picture-alliance / dpa / Daniel Reinhardt
Von Ralf bei der Kellen · 22.06.2015
Big Bands sind selten geworden und vielleicht genießt genau deshalb das Berliner Omniversal Earkestra mittlerweile Kultstatus, obwohl es keine Platte veröffentlicht hat. Bei ihren Konzerten kann so ziemlich alles passieren und das dient der Menschheitsrettung - sagen sie.
Jeden Montag Abend bietet sich vor dem Ballhaus Berlin-Mitte dasselbe Bild: Eine Gruppe junger Musiker zwischen 25 und 35 steht vor der Tür, rauchend, Bier trinkend, mit Saxophonen, Trompeten oder Posaunen unter dem Arm. Auf den Ruf "Pizza ist da!" folgen alle einem kleinen Mann mit Glatze und Nickelbrille – Ingo.
"Mood Ingo, Mood i! ngoma lugundu. Auf diesem Planeten erschienen 1967."
Gemeinsam sind sie bekannt als das "Omniversal Earkestra", Berlins ungewöhnlichste Big Band.
Das Ganze kam so: Am ersten Montag im März 2011 stellte Ingo Vaupel, seines Zeichens Konzertveranstalter und Betreiber eines kleinen Plattenladens mit dem sprechenden Namen "Schallplanet", eine Band für eine Session in einer Kreuzberger Kneipe zusammen. Die Kneipe wurde wegen des Schallpegels verwarnt – die Band blieb zusammen. Und fand bald im Keller einer Friedhofskapelle ihr neues Domizil.
Nach einer Odyssee durch Punkkneipen und Technokeller ist man nun im Ballhaus Berlin angekommen.
Kein musikalischer Leiter
Philipp Bernard: "Hey Jungs! Interview!"
So trommelt Schlagzeuger Philipp Bernhard seine Kollegen zusammen, um gemeinsam zu erläutern, welche Bewandtnis es mit der Band hat.
Franz Stahl: "Wir haben keinen musikalischen Leiter, jeder übernimmt die Funktion mal in der Probe, also: es gibt keinen, der jemandem vorschreibt, wie er zu spielen hat – und das macht viel vom Charakter der Band aus."
-erklärt Franz Stahl, 28 Jahre, Baritonsaxofonist.
"Der Kohlenstoffanteil ist größer als 2 Prozent, sonst wär’s kein Stahl."
Robin Hut: "Es macht mir eine Riesenfreude, hier jeden Montag anzutanzen."
Posaunist Robin Hut, 27.
Robin Hut: "Ein Phänomen übrigens, dass diese ganzen heißen Musiker hier jeden Montag für praktisch umsonst auf der Matte stehen und eigentlich mit der Creme de la Creme spielen und eigentlich hier nur antanzen, weil die anderen heißen Jungs auch vorbeischneien."
Andrej Ugoljew, Posaunist: "… und – es ist ja ne ganze Szene, die hier mitspielt. Also, wenn ich jetzt – ich spiel Posaune – zum Beispiel nicht kann, dann frage ich, habe ich einen Pool von Leuten, wo ich weiß, die passen hier gut rein und die haben hier schon mal mitgespielt, und dann… sind die dran."
Sagt Posaunisten-Kollege Andrej Ugoljew. Laut Ingo sind mittlerweile knapp 70 Musiker durch die Band gegangen – inklusive Stargästen wie Freejazz-Ikone Gunter Hampel.
"Playin' all that Jazz"
Vor, zwischen und nach dem Konzert macht Ingo den DJ – natürlich mit alten Jazzplatten.
"Jazz. Jazz. Jazz."
Während des Konzerts gibt er den Master of Ceremony – mit eigenwilligen Ansagen, in denen er aktuelle politische Vorkommnisse sarkastisch kommentiert.
"Und weil sie so nett sind, uns zu sagen, dass die Endlagersuche erst 2170 abgeschlossen sein wird, und weil in Japan schon wieder neue Atommeiler gebaut werden, deshalb spielen wir jetzt 'Ad Lib on Nippon'."
Ingo Vaupel ist aber nicht nur MC, sondern auch Spiritus Rector der Band. Jeden Montag Abend schleppt er Schlagzeug, Verstärker, Notenständer und seine Schallplatten zum Auftrittsort. Auf die Frage, warum er das alles macht, antwortet er, er sei -
Ingo: "Besessen. Pathologisch. Du siehst ja, ich mach den ganzen Tag nichts anderes. So von morgens bis abends Jazz, wo ich denke, das ist das einzige, was mich möglicherweise heilen kann. Hat’s zwar noch nicht, aber ich bin ja hartnäckig."
Und – was ist sein Auftrag?
"Die Menschheit zu retten. Habe ich zwar noch nicht, aber ich bin ja hartnäckig."
Ein hehres Ziel. Und der Grundgedanke der Band?
Ingo: "Die Menschheit zu retten. Ham wir zwar noch nicht, aber wir sind hartnäckig."
Wenn sich Leute während des Konzertes lautstark unterhalten, schreckt Ingo auch vor Publikumsbeschimpfungen nicht zurück. Er macht den ungelenken Vortänzer, in seinen Ansagen läuft er zu Höchstform auf.
Ingo: "Moanin’ by Charles Moanin’ Mingus!
Alles kann passieren
Neben Kompositionen von Mingus, Ellington, Monk, Sun Ra oder Chris McGregor spielt die Band seit einiger Zeit verstärkt eigene Kompositionen (von Franz Stahl, Johannes Schleiermacher oder auch von Geigerin Fabiana Striffler).
Der Klarinettistenveteran Perry Robinson gab dem Earkestra den Ritterschlag, als er das Spiel mit der Band mit der New Yorker Szene der 60er Jahren verglich. Während der Konzerte geht es informell zu, wer gerade nicht dran ist, trinkt Bier oder tauscht kurze Kommentare mit dem Nebenmann aus.
Passieren kann auf einem Konzert des Earkestra alles – von Polonaisen der Musiker durch den Saal bis zu orgiastischem Gruppentanz des Publikums. Und das ist mittlerweile international:
Ingo: "Also auf Koreanisch bin ich 'der-dicke-Bauch-Onkel'", in China bin ich bekannt als 'der kleine Bruder von Alan Ginsberg', was gab’s denn noch alles? Ach, google doch selber…"(lacht)
Ingo live: "Ja, das waren wir zum 233. Mal. Wem es gefallen hat, der kommt nächste Woche wieder und bringt seine Freunde mit. Wem es nicht gefallen hat, der kann ja immer noch seine Feinde schicken!"
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