Omar Shahid Hamid: "Der Gefangene"

Auf Leben und Tod in Karachi

Auf der Ladefläche eines Pickup-Trucks sitzen bewaffnete Männer in Uniform.
Sicherheitskräfte in Karachi © picture alliance / dpa / Rehan Khan
Von Thomas Wörtche · 06.12.2016
Der pakistanische Schriftsteller Omar Shahid Hamid schickt in dem Kriminalroman "Der Gefangene" seine beiden Helden in den Stadtdschungel von Karachi. In der 24-Millionen-Metropole sind Gewalt, Attentate und Korruption alltäglich.
Dass ein politischer Kriminalroman aus Pakistan kommt, ist zumindest erstaunlich, denn eine entsprechende Tradition für diese Art von Erzählung gibt es dort kaum. Was, näher betrachtet, dann wiederum ebenfalls erstaunlich ist. Denn Omar Shahid Hamids "Der Gefangene" nutzt sehr clever alle Gegebenheiten aus, die Karachi als Schauplatz des Geschehens zu bieten hat oder, anders formuliert, die einen Kriminalroman nachgerade erzwingen.

Jede Menge unterschiedliche Sprachen

Karachi ist eine Megacity mit über 24 Millionen Einwohnern, mit einer Menge unterschiedlichster Sprachen wie Urdu, Panjabi, Paschto, Sindhi und mehr, sowie vielen Ethnien und Religionen. Politisch ist Pakistan eingeklemmt zwischen Afghanistan und Indien.
In Karachi tummeln sich gewaltbereite Organisationen: die Taliban, die Militärs, die stramm autoritäre Kaderpartei MQM, die organisiertes Verbrechen als staatstragend betreibt. Zwei pakistanische Geheimdienste bekämpfen sich gegenseitig, diverse Polizeistrukturen rivalisieren bis aufs Messer. Die Korruption ist endemisch, für schlecht bezahlte Staatsdiener allerdings auch überlebenswichtig.

Geheimdienste operieren ohne Rücksicht auf Verluste

CIA, FBI und andere Geheimdienste operieren ohne Rücksicht auf Verluste auf diesem verminten Gelände. Terroranschläge sind an der Tagesordnung, selbst die abgeschirmten und bewachten Ghettos der Superreichen sind keine gewaltfreien Zonen. In dieses extrem unübersichtliche Terrain, das den idealen Nährboden für Intrigen, Machtkämpfe und nackte Gewalt bildet, platziert Hamid seine Kriminalhandlung.
Hamid geht von einem authentischen Fall aus dem Jahr 2002 aus: Ein amerikanischer Journalist (im wirklichen Leben Daniel Pearl vom "Wall Street Journal") ist entführt worden. Er soll zu einem bestimmten Datum hingerichtet werden, was die Beziehungen zu den USA - dem ungeliebten, offiziellen Verbündeten Pakistans - nachhaltig stören soll.
Zumindest im Sinne einer bestimmten Fraktion des Staates. Deswegen möchte eine andere politische Strömung den Journalisten finden.
Dafür aktiviert man den Ex-Elite-Cop Constantine D´Souza (ein Christ mit Wurzeln in Goa), der zunächst einmal Akbar Khan, den kompetentesten und härtesten Ermittler des Landes, aus dem Gefängnis holen muss, wo der strenggläubiger Moslem gelandet ist, weil seine kompromisslose Art den Machthabern gegen den Strich ging.

Mit rustikalen Methoden und feiner Diplomatie

Mit Sarkasmus und einem genauen Blick für die komischen Aspekte des Chaos und der desaströsen Umstände erzählt Hamid, wie die beiden quer durch die verschiedenen Schichten Karachis pflügen – mit fiesen Tricks, mit rustikalen Methoden und mit feiner Diplomatie.
Dabei sind sie nicht die strahlenden Helden, nicht die einzig Guten in der Welt der Bösen, sondern sie weisen genau die moralischen Grauwerte auf, die gute Polit-Thriller immer auszeichnen. Karachi und seine Verhältnisse sind nicht Hintergrund oder Kulisse, sondern konstitutive Elemente für die spannende Handlung, die uns eine Ahnung vermittelt, was eine "vielfältige Gesellschaft" wirklich bedeuten kann.

Omar Shahid Hamid: "Der Gefangene"
Aus dem Englischen von Rebecca Hirsch
Draupadi Verlag, Heidelberg 2016
312 Seiten, 19,80 Euro

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