Ohne Zensurbehörde läuft nicht viel

Von Silke Ballweg · 02.09.2012
Die Buchproduktion in China unterliegt strengen Regeln und ist staatlich kontrolliert – dennoch werden die 581 zugelassenen Verlage langsam in privatwirtschaftlich handelnde Unternehmen umgewandelt. Viel Gesprächsstoff für die Pekinger Buchmesse, die jetzt zuende ging.
Auf der Pekinger Buchmesse geht es geschäftig zu. Besucher stöbern an den Verlags-Ständen in Prospekten, andere schmökern in Büchern, so auch Zhan Fan, , Angestellter bei einem Finanzunternehmen, Ende zwanzig:

"Ich lese gerne Bücher über Wirtschaftsthemen und über Geschichte, ich interessiere mich vor allem für chinesische und japanische Geschichte. Auf die Messe bin ich gekommen, weil ich auch andere Themen sehen will, mich interessiert, was andere Länder für Bücher machen."

Chinas Buchmarkt wächst von Jahr zu Jahr, in der Verlagsbranche herrscht Dynamik – wenngleich unter staatlichen Vorgaben. Denn Bücher in China unterliegen – wie etwa auch Film, Fernsehen oder Zeitungen – einer strengen Zensur. Nur 581 Verlage in China haben offiziell die Erlaubnis, Bücher zu drucken - ein Relikt sozialistischer Zeiten. Sie allein erhalten alle sogenannten ISBN-Nummern, also jene Kennzeichnungen, die ein Buch eindeutig ausweisen.

Eine Besonderheit in China ist jedoch, dass die meisten Verlage die meisten Bücher gar nicht selbst herstellen. Stattdessen kaufen sie sie bei sogenannten Kulturagenturen ein und weisen ihnen nur noch die ISBN-Nummer zu, erklärt Gong Yingxin, Leiterin des Pekinger Büros der Frankfurter Buchmesse:

"70, 80 Prozent der Bestsellerautoren werden von Kulturagentur betreut und die kennen sie schon von Anfang, bevor sie berühmt wurden, und sie verkaufen ihre Bücher an die staatlichen Verlage, wo sie unterkommen können. Und die chinesischen Verlage, die übernehmen die Funktion von Editieren. Das heißt der Text und die Themenselektion ist schon erledigt durch die Kulturagentur, sie müssen gar nicht in klassischen Sinne Themen suchen und mit Autor sprechen, sondern sie übernehmen nur den letzten Teil, nämlich das Proofreading und die Vermarktung."

Ein Grund dafür ist: Die staatlichen Verlage haben während der vergangenen Jahrzehnte vor allem gedruckt, was ihnen die Politik verordnete. Das hat sie behäbig gemacht. Mittlerweile aber sollen sie sich stärker am Markt orientieren. Eine Herausforderung, die sie alleine nicht stemmen können. Und so sind sie auf die Ideen der Kultur-Agenturen angewiesen, von denen es in China über eintausend gibt.

Mutiger und kritischer als die Staatsverlage sind diese kleinen Unternehmen aber nicht unbedingt, denn sie wissen: heikle Themen würden ihnen die Staatsverlage überhaupt nicht abkaufen, schließlich unterliegen alle Publikationen der Kontrolle. Liu Xin etwa arbeitet beim staatlichen Verlagshaus Zhigong Press. Er weiß ganz genau: Bücher zu Taiwan, Tibet oder dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens sind ein absolutes Tabu, solche Projekte versucht er erst gar nicht. Und Themen mit problematischen Aspekten lässt er sich vor dem Druck genehmigen, Selbstzensur, die zu seinem Alltag gehört:

"Bei sensiblen Themen reichen wir die Bücher vor dem Druck bei der Zensurbehörde ein und fragen nach, ob wir das so drucken können oder ob wir etwas ändern müssen. Alle anderen Bücher, die nicht heikel sind, drucken wir einfach so."

Insgesamt erscheinen jedes Jahr rund 250.000 neue Titel in China. Die meisten werden für Kinder hergestellt. Schulbücher ebenso wie Kinder- und Jugendbücher. In diesem Bereich sind seit einigen Jahren auch deutsche Verlage vertreten, sagt Christiane Bartelsen vom Hamburger Carlsen Verlag. Doch ihre Kollegen im Reich der Mitte halten längst nicht alle Themen, die in Deutschland auf dem Markt sind, für chinesische Jugendliche geeignet, erzählt Bartelsen:

"Es wird oft gewünscht, dass es in der normalen Welt spielt, nicht so verrückt, möglichst normal, die kleinen Konflikte, die die Kinder mit den Eltern haben, Geschichten, die in der Schule spielen, und es soll nicht so sehr – also bitte keine Liebesgeschichte oder auch Sex, das ist überhaupt nicht gewünscht, oder es ist bei Carlsen auch oft so, dass unsere Bücher sehr schwierige Themen berühren, wie Alkoholismus oder Gewalt in der Familie und das wird hier im Moment nicht nachgefragt, man möchte lieber seichte Geschichten haben. Und ansonsten sollen es renommierte Autoren sein, Autoren, die Preise gewonnen haben."

Drei Viertel des gesamten Umsatzes in der Buchbranche wird mit den Schul- und Kinderbüchern gemacht. Erwachsene hingegen greifen so gut wie nie zum Buch. Während Romane und Erzählungen in Deutschland immerhin knapp vierzig Prozent der Publikationen ausmacht, liegt die Belletristik in China bei gerade einmal zehn Prozent. Der rasante Wandel des Landes scheint keine Zeit zum Schmökern zu lassen. Einzig die Ratgeber-Literatur boomt bei Erwachsenen, mit Titeln wie: Wo finde ich einen Mann? Welcher Wein zu welchem Essen?? Oder: wie werde ich reich? Diese Verunsicherung wirkt fast schon pathologisch. Das Reich der Mitte scheint auf Sinnsuche.
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