Österreich

Die tiefen Spuren der Monarchie

Ein Fiaker vor Schloss Schönbrunn
Ziemlich hübsch und ganz schön unwichtig in der Weltpolitik: Österreichs Hauptstadt Wien © picture alliance / Daniel Kalker
Von Eva Wolk  · 22.10.2014
676 Millionen Quadratkilometer Fläche und 53 Millionen Einwohner – die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie war Anfang des 20. Jahrhunderts das drittgrößte Land Europas. Daraus wurde ein machtloser Zwergstaat. Mit welchen Folgen für die Gesellschaft?
Die Doppelmonarchie bestand aus vielen Völkern, und tatsächlich bedeutete der Untergang des Kaiserreichs für die meisten von ihnen keineswegs ein Trauma, im Gegenteil:
"Die anderen Nationalitäten außerhalb des deutschsprachigen Bereichs sind mit großer Begeisterung in die Unabhängigkeit gezogen."
Oliver Rathkolb ist Professor für Zeitgeschichte an der Universität Wien.
"Der Hintergrund ist ein relativ einfacher: Der Elite um Kaiser Franz Joseph ist es nicht gelungen, ähnlich wie mit Ungarn einen Ausgleich beispielsweise mit den Tschechen zu schaffen, also Böhmen und Mähren hier stärker auch zu integrieren."
Massiver Schock für das Volk
Der Krieg, den Eliten und Militär der Monarchie in völliger Fehleinschätzung der Situation vom Zaun brachen und der die Großmacht retten sollte, gab ihr stattdessen den Rest. Die Österreicher, Kernvolk des Kaiserreichs, standen unter massivem Schock. Der Zusammenbruch war die Geburtsstunde einer latenten Monarchie-Nostalgie, einer rückwärtsgewandten Felix-Austria-Sehnsucht. Das denken viele – Oliver Rathkolb hält das nicht für richtig, denn nach dem verlorenen Krieg gehörten nur wenige zum Lager der Monarchie-Nostalgiker. Vielmehr war das auch wirtschaftlich ruinierte Land tief gespalten.
"Es sind eigentlich nur die Christlich-sozialen, und hier vor allem dann ganz stark die Kanzler-Diktatoren Dollfuß und Schuschnigg, die ständig versuchen, eine innere Stärke der Gesellschaft dadurch herbeizuführen, indem sie an die Monarchie erinnern, auch versuchen, das Haus Habsburg wieder zu integrieren.
Eine deutliche Mehrheit, vor allem die Arbeiterbewegung, die rund 40 Prozent der Wähler repräsentiert hat, ist absolut negativ eingestellt – die Kriegstraumata waren zu groß. Der zweite Punkt ist, dass nicht nur die Sozialdemokraten, sondern auch die Großdeutschen und dann vor allem sehr aggressiv die Nationalsozialisten die Monarchie als Feindbild stigmatisiert haben."
Die Friedensverträge von Versailles und St. Germain besiegelten 1919 das Schicksal des Habsburgerreiches. Hoffnungen, durch einen Anschluss an Deutschland wieder groß zu werden, zerschlugen sich. Die einstige Großmacht mit Kaiserhof und ausladendem Zeremoniell schrumpfte zu einem machtlosen Zwergstaat. Auf diesen Abstieg hatten weder die wenigen Monarchisten noch die Sozialdemokraten eine Antwort. Aber die Nationalsozialisten, die für den Anschluss an das Deutsche Reich trommelten und ihn durch den Einmarsch Nazideutschlands bekamen.
Im Ergebnis blieb Österreich so klein und machtpolitisch bedeutungslos wie 1919 – und konnte sich glücklich schätzen, dass es nicht die jahrzehntelange staatliche Teilung wie in Deutschland gab. Nach 1945 war dieses Gefühl, in der eigenen kleinen Welt mit blauem Auge davon gekommen zu sein, stärker als der Schmerz über den Verlust einstiger Größe. Heute blicken die Österreicher nach Beobachtung Oliver Rathkolbs eher nüchtern zurück auf ihre Vergangenheit als monarchische Großmacht.
"Die Österreicher – und das merkt man auch daran, dass es ja nicht mal in Ansätzen eine monarchistische Partei gibt – haben ein sehr entspanntes Verhältnis zur Monarchie gefunden. Es ist ein ganz zentraler Faktor für Tourismus, wird auch entsprechend hochgehalten. Aber ich glaube, die Österreicher haben ihren Frieden mit der Monarchie gefunden. Ob sie ein wirklich kritisches Bild über die Monarchie haben, würde ich sagen, da ist noch viel Aufklärungsarbeit notwendig."
Die Monarchie ist wieder da
Dennoch: Die Monarchie ist in gewisser Weise wieder da. Seit 1989, als die Mauer fiel und sich der Eiserne Vorhang öffnete, setzt sich ein Phänomen durch, das im Mikro- wie im Makrokosmos menschlicher Beziehungen gut bekannt und sehr wirkungsvoll ist: Die Stabilität alter Verbindungen und Gemeinsamkeiten. Es scheint so zu sein, dass die ehemals politisch zusammengezwungene Vielvölker-Monarchie heute ökonomisch ganz freiwillig wieder zusammen findet – auf dem Hintergrund von Netzwerken und Ähnlichkeiten einer Alltagskultur, die in der Doppelmonarchie geprägt wurde - wie Vorlieben beim Essen, bei der Freizeitgestaltung oder auch bei der Art des Humors.
"Hier hat die Monarchie tiefe Spuren hinterlassen – das ist sozusagen das Unterfutter auch für ökonomische Beziehungen, weil es die Vertrauensbasis stärkt und Gemeinsamkeiten, die längst verschüttet geglaubt wurden, wieder hervorholt. Auf dieser Ebene haben selbst die Zwischenkriegszeit, der Nationalsozialismus, der Zweite Weltkrieg und die Shoah und der Kalte Krieg diese verbindenden Elemente nicht ausgelöscht.
Das ist ein sehr interessantes Phänomen, das dann nach 1989/90 durchaus wieder schlagend wurde. Die Politik ist in Österreich extrem eng geblieben; in der Wirtschaft, würd´ ich sagen, hat man die Monarchie wieder neu, anders und trotz der Krise sehr positiv und erfolgreich entdeckt."