Ökonomie der Werte oder Ökonomie des Geldes

Von Stephan Detjen, Hauptstadtstudio · 22.04.2013
Danach hat die SPD gedürstet: Nach Monaten der Pannen, Ungeschicklichkeiten und quälender Zweifel am eigenen Spitzenkandidaten beschert Uli Hoeneß den Sozialdemokarten eine unerwartete Anschubhilfe in den Wahlkampf. Der Fall des Fußballmanagers ist eine bestechend scharfe Illustration genau der Argumente, mit denen Steinbrück und die SPD geführten Länder zum Jahresbeginn das deutsch-schweizer Steuerabkommen im Bundesrat blockiert haben.
Damals musste sich die SPD noch des Verdachts der politischen Renitenz erwehren. Peer Steinbrück hatte durch seine grobschlächtige Kavallerie-Drohung gegen die Schweiz selbst dazu beigetragen, dass seine Kritik an dem Steuerabkommen mehr als Ausdruck notorischer Affekte denn als Ergebnis nüchterner Abwägung wahrgenommen wurde.

Jetzt wühlt der Fall Hoeneß parteiübergreifend echte oder zumindest beherzt vorgetragene Emotionen auf. Selbst die Bundeskanzlerin lässt verkünden, sie sei enttäuscht von dem Fußballmanager und Wurstfabrikanten, der sich gerne auch an der Seite der Kanzlerin als Wohltäter im Dienste der Gesellschaft inszenierte.

Jenseits aller Erregung belegt der Fall jedoch auch das sachliche Gewicht der Argumente, mit denen die SPD das Steuerabkommen ablehnte. Es geht darum, ob sich bei der Abwägung des Für und Wider am Ende eine Ökonomie oder Geldes oder eine Ökonomie der Werte durchsetzt. Heute bedauert den möglichen Verlust von vielen Millionen, die dem Fiskus automatisch von den Schweizer Konten des Bayern-Präsidenten zugeflossen wären, wenn das Steuerabkommen in Kraft wäre.

Hoeneß seinerseits war offenkundig bereit, die Anonymität, die ihm das Abkommen in Aussicht stellte, mit den dort vorgesehenen hohen Abschlagszahlungen zu erkaufen. Den höheren Wert aber misst die breite Öffentlichkeit zumindest im Augenblick der Tatsache zu, dass die Steuerstraftaten, wegen derer Hoeneß sich selbst anzeigte, jetzt in einem regulären Strafverfahren aufgeklärt werden können.

Die Vernunft, die dem Steuerabkommen dennoch innewohnt, wird dadurch allerdings nicht entwertet. Vieles spricht dafür, dass Hoeneß und andere Steuerstraftäter, die so wie der Bayern-Chef jetzt mit Selbstanzeigen den Weg aus der Illegalität suchen, nur die Spitze eines Schweizer Steuereisbergs bilden. Bis zu 200 Milliarden Euro werden Schätzungen zufolge nach wie vor auf eidgenössischen Konten der Besteuerung in Deutschland entzogen. Keine Kavallerie der Welt wird sie so einfach einsammeln und nach Hause bringen.

Zahllose Straftäter haben deshalb seit dem Scheitern des Abkommens den Schutz der Verjährung erreicht, ohne einen einzigen Cent ihrer Steuerschulden abführen zu müssen. Jeden Tag werden es mehr. Sie sind immer noch die Hauptprofiteure der Ablehnung des Abkommens im Bundesrat. Die Wahrscheinlichkeit, dass wenigstens ein Großteil der bislang unentdeckten Steuerstraftäter so wie Hoeneß zur Verantwortung gezogen wird, bevor die Verjährung eintritt, ist kaum zu bemessen. Vieles spricht deshalb dafür, dass die kühle Ökonomie des Geldes, die dem Steuerabkommen zugrunde lag, die in jeder Hinsicht reicheren Erträge versprach.