"Öffentliches Klima in hohem Maße vergiftet"

Moderation: Klaus Pokatzky · 09.08.2013
Der Ägypten-Experte Ronald Meinardus sieht im Moment wenig Chancen für eine Konfliktlösung im Land. Es fehlten neutrale Instanzen, die zwischen den Lagern vermitteln könnten. Alle Islamisten würden in das Lager der Terroristen geschoben.
Klaus Pokatzky: Die Bemühungen von westlichen und arabischen Diplomaten waren vergeblich, als sie jetzt versucht haben, in Ägypten einen Kompromiss auszuhandeln zwischen den Muslimbrüdern des gestürzten Präsidenten Mursi und den Militärs und vielleicht auch den revolutionären Kräften, die am 25. Januar 2011 doch eine neue demokratische Zukunft Ägyptens einläuten wollten. Seitdem ist Ronald Meinardus im "Radiofeuilleton" ein Erklärer der Lage in Ägypten, der Leiter des Regionalbüros der Friedrich-Naumann-Stiftung in Kairo.

Er wurde 1955 geboren und verbrachte die ersten zwölf Jahre seines Lebens in Ägypten, wo sein Vater als Gemeindepfarrer gearbeitet hat. Seit sechs Jahren leitet er nun das Naumann-Büro in der ägyptischen Hauptstadt, ist gerade zu Besuch in Deutschland und hat dabei auch das "Radiofeuilleton besucht". Wenn die Muslimbrüder und die Revolutionäre in Kairo auf die Straße gehen und gegeneinander demonstrieren, sterben leicht Menschen. Wie kommt der Leiter des Kairoer Friedrich-Naumann-Büros Meinardus an seine Informationen, habe ich ihn gefragt. Gehen Sie auch auf die lebensgefährlichen Demonstrationen?

Ronald Meinardus: Nein, erstens beobachte ich natürlich die Medien, aber die Medien sind auch anders als die Medien in Deutschland Teil des Problems. Sie sind sehr parteiisch, sie sind revolutionär, indem sie zu diesen Aktionen aufrufen, bis soweit, dass ein Moderator einer Fernsehsendung mit Tarnanzug vor dem Publikum erschien und sagte: Jetzt alle auf die Straßen, um die Revolution zu verteidigen! Ich als politisch interessierter Beobachter gehe natürlich zu den Menschen, und wenn es große Demonstrationen gibt, dann gehe ich da ab und an auch in. Wenn es zu gefährlich wird, dann werde ich natürlich nicht hingehen.

Aber wenn man in Ägypten lebt – und die Ägypter sind sehr kommunikative Menschen –, und wenn man die Sprache spricht, dann wird man, auch ohne auf diese Demonstrationen zu gehen, ein sehr gutes Gefühl für die Polarisierung dieses Landes haben. Dann wird auch deutlich, wie tief der Graben ist, und wie tief auch der Hass der einen Seite auf die andere Seite ist, und letztendlich, wie wenig Vernunft auch in der politische Diskussion, im politischen Diskurs vorhanden ist. Und dann macht man sich natürlich schon seine Gedanken.

Pokatzky: Gibt es denn überhaupt irgendwelche Chancen, dass diese beiden so weit voneinander geschiedenen politischen Lager zueinander finden können?

Meinardus: Das ist das große Problem. Um eine derartige Kultur, eine derartige politische Kultur zu erzeugen, bedarf es Institutionen, bedarf es neutraler Medien, bedarf es vermittelnder Institutionen. Und diese fehlen in Ägypten, alles ist polarisiert. Es gibt kaum, wirklich kaum neutrale Individuen – von Instanzen will ich gar nicht sprechen.

Hinzu kommt die extreme Emotionalisierung, die Verteufelung des politischen Gegners, die führt fast schon zu einer Enthumanisierung in der politischen Auseinandersetzung, dass also sehr, sehr grob dort auch mit der Sprache umgegangen wird, dass alle Islamisten sofort in das Lager der Terroristen geschoben werden, und dass es gewissermaßen dadurch legitim wird, gegen die Terroristen auch mit gewalttätigen Mitteln vorzugehen. Und das hat das öffentliche Klima in einem hohen Maße vergiftet und wird es sehr schwer machen, auch nach einer oberflächlichen politischen Lösung, dort zu einer Konfliktlösung auch auf der menschlichen und auf der lokalen Ebene zu gelangen.

Pokatzky: Die beliebteste Informationsquelle von Journalisten im Ausland traditionell ist der Taxifahrer. Wenn Sie – ich vermute mal, sie fahren auch durch Kairo sehr viel mit dem Taxi –, wenn Sie da fahren, welche Erlebnisse haben Sie so? Werden Sie gleich als Ausländer wahrgenommen, und in welcher Weise?

Meinardus: Ja, erstens ist das Gespräch sehr schnell politisch, anders als hier, wo es um ganz andere, banalere Dinge geht – Fußballbundesliga, Touristenströme und dergleichen, sage ich mal. Aber in Ägypten ist die Frage dann häufig: Wo kommst du her? Ich als Ausländer, als Europäer, erkennbar vielleicht, könnte auch ein Amerikaner sein, und die meisten ausländischen Menschen in dem Stadtteil, wo ich lebe, sind auch Amerikaner. Und dort stellt man dann auch sehr schnell einen tiefsitzenden Antiamerikanismus fest.

Wenn ich dann sage, ich komme aus Deutschland, dann sagen die Ägypter dann gleich, viele: Gott sei Dank bist du kein Amerikaner, insofern kann ich mit dir offen und entspannt reden, weil wir haben einen Hass auf die Amerikaner. Wir können die Amerikaner nicht ab, weil sie sich bei uns einmischen, weil sie Israel unterstützen, und weil sie unsere Probleme nicht verstehen. Die Deutschen genießen da, aus welchen Gründen auch immer, eine absolute Sonderstellung im positiven Sinne.

Pokatzky: Heißt das, dass wir sogar eine Chance hätten, zu vermitteln?

Meinardus: Ich glaube, unser Problem ist ein Luxusproblem, wir sind geachtet, weil wir uns eben nicht einmischen. Wenn wir jetzt vermitteln würden, würden wir uns ja einmischen, und dann würden wir ja Position beziehen müssen auch für die eine oder die andere Seite. Die Amerikaner versuchen ja neutral zu sein, und die Polarisation ist so stark, dass schon Neutralität und nicht Verurteilung der anderen Seite als Parteinahme betrachtet wird. Das ist ja die schwierige Situation.

Pokatzky: Im Deutschlandradio Kultur Ronald Meinardus, Leiter des Regionalbüros der Friedrich-Naumann-Stiftung in Kairo. Wohin geht Ägypten, ist unsere Frage. Herr Meinardus, war das am 3. Juli ein Militärputsch?

Meinardus: Ja, es kommt drauf an, wen Sie fragen. Wenn Sie die Islamisten fragen, die zur Seite gedrängt wurden, die teilweise kriminalisiert wurden, dann war das ein brutaler Militärputsch. Wenn Sie die Hintermänner dieser Aktion, dieses Putsches, um dieses Wort zu übernehmen, fragen und die Übergangsregierung, war das kein Militärputsch, sondern die Fortsetzung der glorreichen ägyptischen Revolution vom 25. Januar 2011. Insofern kommt es drauf an, wen Sie fragen, aber..

Pokatzky: Und wenn ich Ronald Meinardus frage?

Meinardus: Ja, formaljuristisch war es natürlich ein Staatsstreich, eine Entmachtung eines demokratisch gewählten – man kann auch sagen, dadurch legitimierten – Staatsoberhauptes durch die Streitkräfte. Aber ich glaube, wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir diesen Akt nur auf dieses punktuelle Ereignis fokussieren, sondern wir müssen die Vorgeschichte im Auge haben, und die Vorgeschichte ist eben, dass Millionen – zum Teil wird da von 20 Millionen, 30 Millionen Menschen gesprochen - ich habe da große Vorsicht mit diesen Zahlen - aber sehr, sehr viele Menschen auf die Straße kamen und den Sturz von Mursi und seiner Regierung forderten.

Pokatzky: War das also legitim, was der ägyptische Militärrat gemacht hat?

Meinardus: Legitim, also legal war es auf keinen Fall. Und wenn Sie jetzt die Kampagne der Muslimbrüder angucken, dann sagen sie, wir sind die Kampagne für die Legitimität, und nicht die Legalität. Also ich habe Probleme mit dem Wort legitim. Ob es politisch klug war, ist auch eine ganz andere Frage, aber ich glaube, es war weder legal noch legitim.

Pokatzky: War es politisch sehr unklug?

Meinardus: Die Frage ist, wenn man eine solche dramatische Aktion seitens des Militärs exekutiert, dann sollte man eigentlich als Stratege – und die Militärs sind ja Strategen – im Auge habe, was passiert am nächsten Tag. Und seitdem das passierte, Anfang Juli, 3. Juli, war dieser denkwürdige Tag, ist Ägypten ja nicht zur Ruhe gekommen. Es gibt im Moment keine Anzeichen, dass es zur Ruhe kommt. Es gibt Befürchtungen, dass, bevor es zur Ruhe kommt, es noch mal richtig zur Sache geht. Seither sind etwa 150 Menschen ums Leben gekommen in diesen gewalttätigen Auseinandersetzungen – insofern eine ausgesprochen schwierige Situation.

Pokatzky: Jetzt können wir natürlich immer sagen: hätte, hätte, hätte. Was wäre, wenn das Militär nicht eingegriffen hätte, weiterhin passiert? Wäre das Land auf einen Bürgerkrieg hingesteuert?

Meinardus: Dann wäre auf jeden Fall die Herrschaft von Herrn Mursi weiter unterminiert worden, das müssen wir im Auge haben. Es ist dort in den letzten Wochen vor dem 30. Juni zu gewaltigen – nicht gewalttätigen, sondern gewaltigen – Demonstrationen im ganzen Land gekommen. Es hat über Wochen große Menschenansammlungen gegeben, und das Ziel dieser sogenannten Tamarod-Kampagne, Rebellionskampagne war eine Unterschriftenaktion und …

Pokatzky: Gegen Mursi?

Meinardus: … gegen Mursi, und sie haben 22 Millionen Unterschriften gesammelt – sagen sie, und dadurch auch für sie eine Legitimität. Wir als legalistische Menschen, die aus einer stabilen demokratischen Ordnung herrühren, sagen natürlich, dafür gibt es Parlamente, dafür gibt es Amtsenthebungsverfahren, dafür gibt es verfassungsmäßige Verfahren. Aber das sind alles Strukturen, die die Revolutionäre der Ägypter in Ägypten nicht anerkennen. Die sagen, wir sind in der Revolution, und da gelten für uns andere Regeln.

Pokatzky: Was ist denn gefährlicher für eine langfristige Perspektive, wenn wir wirklich an eine demokratische Entwicklung, an eine Entwicklung von demokratischen Institutionen in Ägypten denken? Der Islamismus oder das Militär?

Meinardus: Ja, für die Revolutionäre, für die säkularen Kräfte, ist die Entscheidung jetzt deutlich geworden. Sie haben lange dort gehadert, und das ist auch eine Erklärung, wieso Mursi überhaupt gewählt wurde. Als Mursi vor gut einem Jahr gewählt wurde, hat er sich nicht nur auf die Stimmen der Islamisten oder der islamistischen Wähler konzentrieren können, sondern hat große Stimmenanteile auch von den liberalen, säkularen Ägyptern bekommen, die keine Rückkehr zum alten Regime haben wollten. Inzwischen ist deutlich, dass die säkularen Kräfte mit dem Experiment des Islamismus beendet haben und gesagt haben, der Islamismus ist für uns die größere Gefahr, und dafür sind sie jetzt eine Allianz eingegangen, eine ganz wichtige strategische Allianz mit dem Militär und mit den Elementen des alten Regimes.

Pokatzky: Wie groß ist die Gefahr eines Bürgerkrieges?

Meinardus: Das ist das Horrorszenario Nummer eins. Wir müssen nach Algerien gucken, das Beispiel wird häufig genannt, in Syrien in diesen Tagen findet ein schrecklicher Bruderkrieg statt. Das ist ein Szenario, das auch in Ägypten bemüht wurde. Der amerikanische Senator McCain hat dieses Beispiel genannt, ich glaube aber, ein weniger schlimmes. Aber auch sehr schlimmes Szenario ist, dass es eine wie auch immer geartete Regelung gibt mit einem Teil der Muslimbrüder, und ein anderer Teil dieser großen Organisation in den Untergrund abdriftet, dort, wo sie herkommen, und dass dann terroristische Aktionen gestartet werden, und das Land nicht zur Ruhe kommt, und insofern auch sehr viel Gewalt stattfindet.

Pokatzky: Im vorigen Jahr hat es Maßnahmen gegeben gegen Nichtregierungsorganisationen. Von den deutschen Parteistiftungen war vor allem die Konrad-Adenauer-Stiftung von Drangsalierung betroffen. Wie frei kann die Friedrich-Naumann-Stiftung heute in Kairo noch arbeiten?

Meinardus: Wenn Sie sagen, heute, dann würde ich sagen, frei. Wenn Sie sagen, wie war das vor einem Jahr, dann hätte ich da schon meine Schwierigkeiten. Aber die Problematik ist, dass unsere Zielgruppen mit ganz anderen Dingen beschäftigt sind als mit Seminaren der Friedrich-Naumann-Stiftung zum Thema Demokratie, Marktwirtschaft und Menschenrechten. Unsere Zielgruppen sind politisierte Menschen, und diese politisierten Menschen haben in diesen Tagen nichts anderes im Sinn, als ihre Revolution durchzustehen. Es ist fast unmöglich, dort längerfristige Bildungsmaßnahmen zu konzipieren. Hinzu kommt: Wir haben jetzt einen Monat Ramadan gehabt, und das ist eh eine Zeit, in der in Ägypten in der Hinsicht eigentlich wenig passiert.

Pokatzky: Danke, Ronald Meinardus, Leiter des Regionalbüros der Friedrich-Naumann-Stiftung in Kairo.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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