Núria Paradas: "Die Kleidermacherin"

Dreiecksgeschichte in Barcelona

Vue des Ramblas et du grand theatre du Liceu, a Barcelone (Espagne) - Lithographie 19e siecle, d apres Chapuy Spain, Catalonia, Barcelona : view of Las Ramblas and the Liceu opera house (left), 19th century - Copying a colored engraving by Chapuy !AUFNAHMEDATUM GESCH
Spaziergänger auf der Vue des Ramblas in Barcelona im Jahr 1900. © imago stock&people
Von Anne Kohlick · 31.12.2016
In ihrem historischen Roman "Die Kleidermacherin" erzählt die Katalanin Núria Pradas die Geschichte von Laia und Roser, die sich in Barcelona in den gleichen Mann verlieben. So vorhersehbar wie sich die Story anhört, ist sie auch, meint unsere Kritikerin.
Seit 1843 existiert Barcelonas ältestes Modekaufhaus "Santa Eulalia". Die Geschichte des Unternehmens nimmt die Katalanin Núria Pradas zum Vorbild für ihren historischen Roman "Die Kleidermacherin". Vor dem Hintergrund der Goldenen Zwanziger und des Spanischen Bürgerkriegs in Barcelona erzählt sie von Anarchisten, Franquisten und Menschen, die einfach überleben wollen, von einfachen Angestellten und Großbürgern. Sie alle begegnen sich im Modehaus "Santa Eulalia".
Diese Konstellation erinnert an Emile Zolas "Paradies der Damen": einen Roman von 1884, der anhand eines Kaufhauses die Geschichte eines ganzen Pariser Viertels erzählt. Das weckt Erwartungen! Starke Barcelona-Romane wie "Der Schatten des Windes" oder "Das Spiel des Engels" von Carlos Ruiz Zafon lassen hoffen, dass auch "Die Kleidermacherin" der katalanischen Hauptstadt literarische Ehre macht.
Das Buch erzählt von zwei Frauen: einerseits von Laia Calvet, aus einfachen Verhältnissen. Sie ist die Tochter einer Schneiderin und beginnt 1917 eine Lehre zur Verkäuferin bei "Santa Eulalia". Obwohl sie aus einer ganz anderen sozialen Schicht stammt, freundet sich Laia mit der gleichaltrigen Roser Molins an, der Schwester des jungen Besitzers von "Santa Eulalia", Andreu Molins. Er ist dem realen damaligen Geschäftsführer, Luis Sans, nachempfunden. Die Harmonie zwischen Laia und Roser hält, bis ein Mann auftaucht, in den sich beide verlieben: Ferran Clos.

Wolken wie Watte

Diese Dreiecksgeschichte ist recht vorhersehbar und in einer pathetischen Sprache erzählt: Ständig wird jemandem "ein Lächeln auf die Lippen gezaubert". Eine Tänzerin "hatte den Körper einer Frau, jedoch das Antlitz eines Engels". Und in Rosers Augen brennt plötzlich "ein neues Feuer", als sie Ferran zum ersten Mal sieht. Hinzu kommen abgegriffene sprachliche Bilder: Ferran packt seine Siebensachen, um Roser mal wieder fast zu verlassen. Wolken am Himmel sehen aus wie Watte.
Überhaupt, der Himmel! Er darf in seinen Farben und Wetterlagen die Stimmung der Protagonistinnen spiegeln und scheint für Núria Pradas das Wichtigste an Barcelona zu sein. Die restliche Stadt bleibt kulissenhaft. Bekannte Lokale aus den 20er-, 30er-Jahren wie das berüchtigte "La Criolla", in dem sich Homosexuelle trafen, werden zwar erwähnt, es gelingt der Autorin aber nicht, ein lebendiges Bild von ihnen zu zeichnen.

Frauenheld und Egoist

Anderswo macht Pradas alles überdeutlich: Als Leser darf man die Charaktere nicht selbstständig beobachten und sich ein eigenes Urteil über sie bilden, sondern es wird einem von Anfang an gesagt, was man über sie zu denken hat. Schon auf Seite zehn wird Ferran etwa als Frauenheld und verantwortungsloser Egoist beschrieben – lange bevor man die Gelegenheit hat, das im Verlauf der Handlung selbst herauszufinden.
In der zweiten Hälfte gewinnt das Buch an Spannung. Neue Charaktere kommen hinzu und politische Ereignisse wie die Ausrufung der Republik 1931 bringen Bewegung in die Handlung. Die Geschichte weitet sich zu einem Panorama, das von Gewinnern und Verlierern des Kriegs erzählt. Aber die Erwartungen, die andere Barcelona-Romane wecken, kann die "Die Kleidermacherin" nicht erfüllen.

Núria Paradas: Die Kleidermacherin
Aus dem Spanischen von Sonja Hagemann Randomhouse, München 2016
400 Seiten, 10,00 Euro

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