Nulltoleranz mit fatalen Folgen

Von Udo Pollmer · 15.01.2012
Auf Kongressen von Lebensmittel- und Umweltchemikern wird derzeit ein etwas kurioses Problem diskutiert. Kurios deshalb, weil eine konsequente Auslegung des Lebensmittelrechts zu einem Handelsverbot für Fisch aus freier Natur führen würde.
Unsere Umwelt- und Lebensmittelchemiker haben eine irritierende Entdeckung gemacht: In Aalen und Brassen, die in deutschen Seen und Flüssen gefangen werden, lassen sich regelmäßig verbotene Fischarzneimittel nachweisen. Für verbotene Medikamente gilt zum Schutz von Umwelt und Verbraucher eine Nulltoleranz. In heimischen Produkten dürfen damit keine Rückstände mehr nachweisbar sein. Anders ist die Rechtslage bei Importfisch. Da sind zumindest Spuren der fraglichen Stoffe erlaubt. Anders geht's nun mal nicht, wenn wir Fisch von außerhalb der EU beziehen wollen. Diese Stoffe sind in vielen Teilen der Welt in der Fischzucht unverzichtbar. Sie sind wirksam und preiswert.

Bei den fraglichen Fischmedikamenten geht es um Malachitgrün und Kristallviolett. Das sind zwei synthetische Farbstoffe, die zuverlässig Bakterien, Pilze und Parasiten abtöten. Deshalb wurden sie früher auch gern in unseren Teichwirtschaften eingesetzt. Und sie werden noch heute von Aquarienbesitzern genutzt, weil ihre Guppys und Koi-Karpfen natürlich nicht auf dem Teller landen. Nach der Anwendung gelangen die Wirkstoffe in den Ausguss und von dort über die Kläranlage in die Gewässer. Und so haben auch die Fische in freier Wildbahn etwas davon.

Doch die Quellen sind vielfältiger: Malachitgrün wird zum Färben von Leder, aber auch von Seide und bestimmten Kunstfasern für Textilien verwendet. So gelangt das Zeug über die Waschmaschine in die Umwelt. In Papier und Karton haben sich die bunten Fischarzneien gleichermaßen bewährt: beispielsweise zum Färben der grünen Osternester. Das Kristallviolett ist steckt gewöhnlich in Farbbändern und Durchschreibepapieren. Aufgrund der weiten Verbreitung sind Spuren der färbenden Medikamente in der Umwelt praktisch unvermeidlich.

Was dem Fisch nützt, hilft auch dem Menschen. Beide Stoffe haben sich in der Humanmedizin bei äußerlicher Anwendung bewährt – auch wenn sie hierzulande nur noch selten eingesetzt werden. Malachitgrün macht beispielsweise Candidaverpilzungen den Garaus, Kristallviolett ist bei Hautkrankheiten so wirksam, dass es von der Weltgesundheitsorganisation als unverzichtbares Medikament eingestuft wurde. Natürlich haben sie auch Nebenwirkungen. Hier geht es vor allem um den Verdacht, die Medikamente könnten krebsfördernd sein. Das sind sie wahrscheinlich auch, namentlich bei Einnahme in höherer Dosis. Diese Befürchtung führte zur Nulltoleranz.

Bei näherem Hinsehen hat die Nulltoleranz eine fatale Folge: Da man heute regelmäßig Spuren von Malachitgrün oder Kristallviolett findet, ist der Verkauf von Fisch aus deutschen Flüssen und Seen rein lebensmittelrechtlich höchst fragwürdig. Eine legale Produktion ist auf lange Sicht nur noch in sogenannten Kreislaufanlagen möglich: Also in geschlossenen Produktionseinheiten an Land, in denen nur aufbereitetes Trinkwasser zum Einsatz kommt und jede Verunreinigung durch Abwässer, Regen oder Enten ausgeschlossen ist. Der Beruf des Binnenfischers hätte sich damit erledigt.

Das Gesagte gilt nicht nur für Fisch, sondern über kurz oder lang für alle Lebensmittel. Eine Gesellschaft, die glaubt, ihre Ängste durch die Forderung nach einer Nulltoleranz lösen zu können, ist im Grunde ihres Herzens doch intolerant – oder? Ob von einem Stoff ein Zehntausendstel eines Milligramms enthalten ist, bezogen auf ein Kilo Ware, ist im Vergleich zu anderen Risiken – man denke nur an EHEC-Keime im Salat – meist ziemlich belanglos.

Eine Nulltoleranz schadet Umwelt und Mensch. Denn auch die Analytiker müssen ihre Ressourcen einteilen. Wer sie mit Nonsense beschäftigt, verhindert einen wirksamen Verbraucherschutz. Wie wär's mit ein bisschen mehr Toleranz bei Tisch? Mahlzeit!

Literatur:
Heberer T, Schütze A: Occurence and assessment of drug residues in wild fish caused by unintentional contamination – the zero tolerance dilemma. Lebensmittelchemie 2011; 65: 87
Apel P et al: Analyse von Fischproben der Umweltprobenbank auf Malachitgrün/Leukomalachitgrün. Workshop am 14. Und 15. September 2011 im Umweltbundesamt Dessau
BfR; Collection and pre-selection of available data to be used for the risk assess-ment of malachite green residues by JECFA. Updated BfR Expert Opinion No. 007/2008
Dhamgaye S et al: In vitro effect of malachite green on Candida albicans involves multiple pathways and transcriptional regulators UPC2 and STP2. Antimicrobial Agentes and Chemotherapy 2012; 56: 495-506
Nürnberg W, Reimann H: Nutzen-Risiko-Abwägung bei Rezeptur der Triphenylmethanfarbstoffe. Haustarzt 2008; 59: 833-837
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