Nüchternes Plädoyer gegen die Folter

Rezensiert von Georg Gruber · 27.06.2006
Folter ist verwerflich - und doch glauben viele, dass in Ausnahmefällen Folter erlaubt sein sollte, etwa wie vor zwei Jahren beim Fall Daschner, um das Leben eines Kindes zu retten. Robert Zagolla zeigt in seinem Buch "Im Namen der Wahrheit", wie die Folter lange Zeit zur gängigen Rechtspraxis gehörte und erklärt anhand der Geschichte, warum Folter in einem Rechtsstaat nichts zu suchen hat.
Sollte Folter in Ausnahmefällen nicht doch erlaubt sein? Kann Gewalt nicht doch ein legitimes Mittel der Wahrheitsfindung sein, wenn kein anderes Mittel zum Erfolg führt - seit dem Fall Daschner vor vier Jahren hat sich die Diskussion über die Anwendung von Folter verändert. Die Ausgangssituation damals: Ein Kind ist entführt, der mutmaßliche Täter bereits verhaftet, doch er schweigt, will den Ort nicht verraten, an dem er das Opfer versteckt hat, das möglicherweise noch lebt und Hilfe braucht. Das Meinungsforschungsinstitut Forsa ermittelte kurze Zeit später, dass 63 Prozent der Deutschen die Anwendung von Folter in Fällen wie der Entführung des Kindes guthießen.

Robert Zagolla zeigt in seinem Buch die Folgen dieser Entführung: Selbst in seriösen Grundgesetzkommentaren werde heute inzwischen das Recht auf körperliche Unversehrtheit eines Tatverdächtigen abgewogen gegen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit des Opfers.

Robert Zagolla ist Historiker, hat in seiner Dissertation die Rolle der Folter in deutschen Hexenprozessen untersucht. Gewaltsame Geständniserzwingung gehörte über Jahrhunderte zu den unhinterfragten Methoden, die in vielen Strafprozessen - nicht nur gegen Hexen - angewandt wurde, ja, nach damaligem Rechtsverständnis absolut notwendig war, um zu einem Urteil kommen zu können, ganz nach der Regel: Keine Verurteilung ohne Geständnis.

Die Lehre von der Folter wurde bereits von den Römern zu einer umfangreichen Rechtsdoktrin ausgebaut. Gewalt wurde vor allem gegen Sklaven eingesetzt. In germanischen Rechtskodifikationen taucht sie erstmals im 6. und 7. Jahrhundert auf. Die Quellenlage bleibt dann bis ins 13. Jahrhundert dünn, zu dieser Zeit beginnt, wie Zogalla schreibt, eine "Ausweitung und Verrechtlichung einer seit langem bestehenden Praxis".

Im 16. Jahrhundert wurde die Theorie der Folter zu einem zentralen Zweig der Rechtswissenschaft. Die Erarbeitung und Durchsetzung strenger Regeln wurde erforderlich, da Folter nicht mehr nur gegen Kriminelle aus der Unterschicht eingesetzt wurde, sondern jeden treffen konnte. Ausgenommen waren lediglich Adlige, Kleriker, promovierte Akademiker, Kinder, Schwangere und Greise.

Wer die Abschaffung der grausamen Praktiken forderte, galt bis Mitte des 18. Jahrhunderts als verschroben und weltfremd. Denn Folter wurde zwar auch immer wieder willkürlich eingesetzt, wurde aber von den Verfechtern als Weg verstanden, um Rechtsicherheit zu gewährleisten: Folter wurde gezielt in solchen Fällen eingesetzt, in denen die Schuld des Verdächtigen nahezu als erwiesen galt. Sie musste von einem Richter angeordnet und vor Zeugen und unter notarieller Aufsicht durchgeführt werden. Schließlich musste das Geständnis später außerhalb der Folterkammer wiederholt und nach Möglichkeit überprüft werden.

Im 20. Jahrhundert erlebte Folter eine traurige Renaissance. Die Nationalsozialisten gingen besonders grausam gegen politische Gegner vor, das steht außer Frage. Schwieriger und weniger eindeutig ist die Beurteilung der staatlichen Praktiken zu DDR-Zeiten. Stasi-Opfer berichten von Folter, ehemalige Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit weisen die Vorwürfe zurück, sprechen von Versuchen der "Delegitimierung der DDR".

Bis 1956 sei in der DDR gefoltert worden, schreibt Zagolla. Für die späteren Jahre falle das Urteil nicht so klar aus. Es ergebe sich der Eindruck, dass Untersuchungshäftlinge bewusst grausam und erniedrigend behandelt wurden, um die Aussagebereitschaft zu erhöhen.

"Dabei wurde das körperliche und seelische Leiden in einzelne, für sich genommen wenig gravierend erscheinende Schikanen zerlegt, die ihre Wirkung erst im Zusammenspiel entfalteten und die nachträglich nur schwer einen Foltervorwurf begründen konnten."

"Im Namen der Wahrheit" ist kein flammendes Plädoyer gegen die Folter - und darin liegt eine Stärke des Buches. Robert Zagolla weidet sich nicht voyeuristisch in detaillierten Schilderungen der Grausamkeiten, sondern bleibt auf Distanz. Ganz sachlich weist Robert Zagolla darauf hin, dass es in der Geschichte schon viele Versuche gab, die gewaltsame Erzwingung von Aussagen so wasserdicht zu gestalten, dass kein Unschuldiger darunter zu leiden hat. Die Diskussion heute, ob nicht ein bisschen Folter der Wahrheitsfindung doch dienen könnte, mit genau festgelegten Regeln, ist also alles andere als neu. Da wird ganz langsam eine Tür geöffnet, die in Demokratien verschlossen bleiben sollte, denn auch die Menschenwürde von potentiellen Tätern ist ein schützenswertes Gut.

"Ein Rechtsstaat kann dauerhaft nur bestehen, wenn er auch in Extremsituationen an seinen Grundlagen festhält"."

Der letzte Satz seines genauen und unaufgeregten Exkurses in die Geschichte der Folter ist eine deutliche Mahnung:

""Folter ist kein Phänomen, das irgendwann auf gleichsam naturgesetzlichem Weg verschwunden ist, sondern eins, das überwunden wurde und das immer wieder neu überwunden werden muss."

Robert Zagolla: Im Namen der Wahrheit. Folter in Deutschland vom Mittelalter bis heute
be.bra Verlag
240 Seiten, 22 Abbildungen, 22 Euro