NS-Geschichte

Wie die Nazis den Islam vereinnahmen wollten

Adolf Hitler und der Großmufti von Jerusalem, Mohammad Amin Al-Husseini sitzen sich bei einem Treffen 1941 in Berlin gegenüber und sprechen.
Adolf Hitler und der Großmufti von Jerusalem, Mohammed Amin Al-Husseini bei einem Treffen in Berlin im November 1941. © HO / AFP
Von David Motadel · 04.11.2015
"Eine für Soldaten praktische und sympathische Religion", schwärmte Heinrich Himmler. Im Zweiten Weltkrieg wollte das NS-Regime Muslime zum Kampf gegen die Alliierten aufstacheln. Doch diese Versuche waren weniger erfolgreich als von Berlin erhofft.
Ende 1941 flüchtete Amin al-Husayni, der Mufti von Jerusalem, nach Berlin. Schnell wurde er dort zu Hitlers wichtigstem Propagandisten in der muslimischen Welt. Sein Einfluss auf die deutsche Politik blieb jedoch begrenzt. An der Planung des Holocaust war er nicht beteiligt.
Diese Geschichte der Beziehungen Nazi-Deutschlands zur islamischen Welt wird oft auf diese Kollaboration des Mufti reduziert. Tatsächlich aber waren die Deutschen im Zweiten Weltkrieg mit Millionen Muslimen konfrontiert.
Auf dem Höhepunkt des Krieges, in den Jahren 1941-42, als Hitlers Truppen in muslimisch bevölkerte Gebiete auf dem Balkan, in Nordafrika, auf der Krim und im Kaukasus einmarschierten und sich dem Nahen Osten und Zentralasien näherten, begann man in Berlin, den Islam als politisch bedeutsam wahrzunehmen.
Das NS-Regime umwarb nun Muslime als Verbündete und versuchte sie zum Kampf gegen angeblich gemeinsame Feinde aufzustacheln – gegen das Britische Empire, die Sowjetunion, Amerika und die Juden. Mit erstaunlichem Pragmatismus wurden rassistische Bedenken beiseite geschoben.
Das Dritte Reich wurde als Schutzherr der Muslime präsentiert
In den muslimisch besiedelten Frontgebieten bemühten sich die Deutschen, das Dritte Reich als Schutzherrn des Islam zu präsentieren. Bereits 1941, kurz vor dem Einmarsch in Nordafrika, gab die Wehrmacht die Tornisterschrift "Der Islam" heraus, um die deutschen Soldaten im Umgang mit den dortigen Muslimen zu instruieren. An der Ostfront, also auf der Krim und im Kaukasus, wo Stalin vor dem Krieg den Islam brutal unterdrückt hatte, bauten die deutschen Besatzer Moscheen und Koranschulen wieder auf. Religiöse Autoritäten aus Nordafrika, vom Balkan und aus den Ostgebieten wurden angeworben. Deutsche Propagandisten politisierten den Koran und das Konzept des Jihad, um Muslime zur religiösen Gewalt gegen die Alliierten anzustacheln.
Gleichzeitig rekrutierten Wehrmacht und Waffen-SS ab 1941 zehntausende muslimische Freiwillige – Bosnier, Albaner, Krimtataren und Muslime aus dem Kaukasus und aus Zentralasien. Man erhoffte sich dadurch, die Verluste deutsche Soldaten an der Ostfront auszugleichen. Muslimische Soldaten wurden an allen Fronten eingesetzt – sie kämpften in Stalingrad, Warschau, und sogar bei der Verteidigung Berlins. Den Rekruten wurden zahlreiche religiöse Zugeständnisse gemacht: Islamische Rituale und Praktiken, wie etwa das Gebet oder das Schächten, wurden gestattet. Eine besondere Rolle in den Einheiten spielten Militärimame. Diese waren nicht nur für die religiöse Betreuung der Rekruten verantwortlich, sondern auch für deren politische Indoktrinierung. Heinrich Himmler erklärte 1944 in einer Rede vor Parteifunktionären:
"Ich muss sagen, ich habe gegen den Islam gar nichts, denn er erzieht mir in dieser Division seine Menschen und verspricht ihnen den Himmel, wenn sie gekämpft haben und im Kampf gefallen sind. Eine für Soldaten praktische und sympathische Religion!"
Religiöse Beweggründe hatten die meisten der muslimischen Rekruten allerdings nicht. Viele wurden in Kriegsgefangenenlagern rekrutiert, viele hofften einfach, dass ihnen eine deutsche Uniform ermöglichen würde, den Krieg zu überleben.
Tausende Muslime wurden erschossen - man hielt sie für Juden
In der Praxis war der Versuch des NS-Regimes, Muslime als Verbündete zu gewinnen, häufig sehr viel weniger geradlinig, als in Berlin geplant: In den ersten Monaten nach dem Überfall auf die Sowjetunion erschossen SS-Einsatzgruppen tausende Muslime, insbesondere Kriegsgefangene, weil sie von deren Beschneidung darauf schlossen, dass es sich um Juden handelte. Dies führte schließlich dazu, dass Reinhard Heydrich, der Leiter des SS Reichssicherheitshauptamtes, einen Befehl erließ, in dem er die Einsatzgruppen dazu ermahnte, vorsichtiger zu sein:
"Die Beschneidung und das jüdische Aussehen stellen nicht ohne weiteres den Beweis einer jüdischen Abstammung dar."
Muslime seien nicht mit Juden zu verwechseln. Am Ende waren die deutschen Versuche, muslimische Verbündete zu gewinnen, weniger erfolgreich, als in Berlin erhofft. Allzu oft wurde die pro-muslimische Politik von der Gewalt der deutschen Kriegsführung und Besatzungspraxis überschattet. Berlins Behauptung, die Muslime zu beschützen, fehlte es an Glaubwürdigkeit. Letztlich waren Deutschlands Feinde häufig sehr viel erfolgreicher darin, Muslime zu rekrutieren. Hunderttausende kämpften in den Armeen der Alliierten.
Adolf Hitler selbst beklagte noch in den letzten Kriegswochen, die Versuche die islamische Welt zu mobilisieren seien nicht weitreichend genug gewesen:
"Die islamische Welt bebte in Erwartung unserer Siege. Wir hätten alles tun müssen, ihnen zu helfen, um ihren Mut zu stärken, wie es unser Vorteil und unsere Pflicht verlangten."
Diese Instrumentalisierungsversuche des Islam durch Hitler und den Nationalsozialismus zu kennen, ist für das Verständnis der langen deutsch-islamischen Geschichte fundamental.
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