Nina Beier im Kunstverein Hamburg

Metaphern aus Echthaar

Die Kunstperformance "Tragedy" der dänischen Künstlerin Nina Beier.
Die Kunstperformance "Tragedy" der dänischen Künstlerin Nina Beier © picture alliance / dpa / Georgios Kefalas
Von Anette Schneider · 22.05.2015
Billighandtücher mit Geldnotenaufdruck, Luxuskrawatten und Obdachlosenschlafsäcke: In den Arbeiten der dänischen Bildhauerin Nina Beier krachen die Gegensätze aufeinander. Das kann ziemlich erhellend sein, zeigt die erste Ausstellung ihrer Arbeiten in Deutschland.
Wie Wächter sitzen einige große hässliche Porzellanhunde am Eingang der Ausstellung. Neben ihnen stehen ebenso hässliche bemalte Bodenvasen. Der ästhetische Wert der Dinge tendiert gegen Null. Doch da sie handbemalt sind, ist ihr materieller Wert erheblich. Auch ihre mehr oder weniger dekorative Bedeutung stünde fest, hätte Nina Beier nicht zackige, an Bisse erinnernde Löcher in Hunde und Vasen gefräst, so als wollten sie einander auffressen. Welche Bedeutung haben die Objekte jetzt? Und welchen Wert?
Passend zu diesem Verwirrspiel nennt die dänische Künstlerin ihre Ausstellung "Cash for Gold".
Verdeckte historische oder soziale Bedeutungsebenen werden enthüllt
"Der Titel spielt an auf die Beziehung zwischen der Repräsentation von Dingen und ihrem Wert. Alle Arbeiten, die ich hier zeige, kreisen um die Vorstellung, dass da etwas zwischen der Bedeutung einer Sache und der Sache selbst liegt."
Um diesen "Mehrwert" sichtbar zu machen, löst Nina Beier die Objekte aus ihren herkömmlichen Zusammenhängen. Sie enthüllt verdeckte historische oder soziale Bedeutungsebenen und zeigt, dass die Vorstellungen und der Wert von etwas gesellschaftlich gemacht sind. Zum Beispiel quetscht sie Luxusschlipse von Hermès mit grauen Billigschlafsäcken, die an Obdachlosigkeit erinnern, in große Glasrahmen. Sie konfrontiert Symbole von Reichtum und Armut, provoziert die Frage, was eigentlich den Wert der geschmacklosen, mit Erdbeeren oder Dackeln verzierten Schlipse ausmachen soll. Oder sie zerlegt eine alte bronzene Rüstung in kleine Stücke und präsentiert sie in Museumsvitrinen.
"Das war eine lebensgroße Reiterstatue. Ich habe alles beseitigt, bis auf die Rüstung. Sie ist aus Bronze, deren Wert zur Zeit sehr hoch ist. Im Fall dieser Skulptur habe ich lediglich den Materialwert und nicht den Kunstwert bezahlt: Der Antiquitätenhändler wog die Skulptur und errechnete aus dem Gewicht ihren Wert."
"Plötzlich versteht man, was eigentlich passiert"
Nina Beier wurde 1975 in Aarhus geboren. Sie besuchte das Royal College of Art in London und arbeitet seit gut zehn Jahren als Künstlerin. Nach etlichen Einzel- und Gruppenausstellungen in New York, London, Oslo, Florenz oder Vilnius folgt nun die erste bundesdeutsche Ausstellung. Organisiert hat sie Bettina Steinbrügge. Denn, so die Leiterin des Hamburger Kunstvereins:
"Sie schafft es aus diesen Themen, die ja teilweise sehr trocken sind, eine Kunst zu schaffen, wo man merkt, es geht einen etwas an. Und wo man diese Geschichten plötzlich versteht. Man hat sie als Metapher vor sich stehen und versteht plötzlich, was eigentlich passiert."
Besonders abgründig ist die Gegenüberstellung zweier Serien, die sie wiederum in großen Glasrahmen präsentiert: Da stoßen Billighandtücher mit Geldnoten-Aufdruck auf handgeknüpfte Teppiche, auf denen plattgedrückte Echthaar-Perücken liegen. Lassen die Handtücher an Massentourismus denken, stehen die Teppiche für Luxus - und Ausbeutung.
Steinbrügge: "Wo wird die Wertigkeit hergestellt? Und wer bekommt nachher den Output aus diesem Wert? Und dann haben wir diese Perücken. Diese Perücken werden größtenteils in China und Indien gefertigt. Und die werden für den internationalen Markt eingefärbt und bekommen die Frisur, die auf dem internationalen Markt oder jetzt bei uns in Europa, gefordert werden. Also, sie kommen von echten Menschen, die vielleicht auch diese Teppiche geknüpft haben. Und die liegen da drauf wie Überbleibsel."
Aus einem Füllhorn rennt endlos Geld
Immer wieder rückt Nina Beier auch die vorherrschenden gesellschaftlichen Normen in den Blick, die alles zur Ware erklären. So stehen überall in der Ausstellung kniehohe Cocktailgläser. Festgefroren in Formaldehyd spielen sich in ihnen irrwitzige Szenen ab. Sa schwimmen Fischschwärme, stecken Käfer auf Spritzen, rinnt aus einem Füllhorn endlos Geld. Diese Objekte entstanden nach Fotos, die Nina Beier in anonymen Foto-Datenbanken entdeckte.
Beier: "Alle diese massenhaft produzierten Bilder sollen irgendwie metaphorisch wirken. Im Idealfall sollen sie nichts bedeuten, oder so viel wie möglich. Schließlich soll sie irgendjemand kaufen. Für mich gibt es keine 'autonomeren' Bilder als diese: Es gibt kein Anliegen des Fotografen mehr, keine Absicht, keinen Inhalt."
Bilder als leere Hülle, sinnfrei, beliebig mit Bedeutung zu füllen. Bilder, die keinerlei Erkenntniswillen mehr besitzen, keinerlei Haltung, keine Alternativen zum Bestehenden anbieten – eine Horrorvorstellung. Nina Beier macht sie bewusst. Und sie begegnet der großen Beliebigkeit mit aufklärerischen, nie beliebig interpretierbaren Arbeiten.