"Niemals wieder AKW!"

Von Frank Grotelüschen · 05.11.2008
In Österreich wird bis heute kein Atomkraftwerk betrieben - und das, obwohl 1978 in der kleinen Gemeinde Zwentendorf schon ein betriebsfertiger Reaktor parat stand. Doch am 5. November 1978 wendeten sich die Österreicher gegen das Projekt. In einer Volksabstimmung mit denkbar knappem Ergebnis wurde gegen Atomenergie aus dem eigenen Land gestimmt.
"Hände einlegen. 2,1. Bitte umdrehen. 2,1. Keine Kontamination."

Die Sensoren für die Strahlungsmessung waren bereits installiert - ebenso die Brennstäbe im Reaktorkern. Das erste Kernkraftwerk Österreichs in Zwentendorf an der Donau war betriebsbereit. Doch ans Netz gehen sollte es nie. Denn am Abend des 5. Novembers 1978 war klar: Bei einer Volksabstimmung über den Meiler in Zwentendorf hatten die Kernkraftgegner gesiegt - wenn auch nur hauchdünn.

"Niemals wieder, niemals wieder, niemals wieder AKW!"

Die Geschichte von Zwentendorf begann in den 50-er Jahren. Um die Perspektiven der Kernkraft auszuloten, wurde 1956 die "Österreichische Studiengesellschaft für Atomenergie" gegründet. Im März 1971 beschloss die Regierung, in der 3700-Seelen-Gemeinde Zwentendorf in Niederösterreich ein Kernkraftwerk zu bauen - der erste von drei geplanten Meilern in Österreich. Für die Befürworter wie Heinz Kienzl, damals Direktor der Nationalbank, lagen die Argumente auf der Hand.

"Man braucht nur überlegen, dass in der Welt immerhin 208 Kernkraftwerke in Betrieb sind, diese Kernkraftwerke gut arbeiten, es keinen Toten, keinen Strahlenunfallverletzten gegeben hat. Und wenn in der ganzen Welt eine Technik so erfolgreich angewendet wird, warum sollte ausgerechnet in Österreich alles schief gehen?"

Im Januar 1978 flogen Hubschrauber die Brennelemente ins Kraftwerk ein. Damit war Zwentendorf betriebsbereit. Doch inzwischen hatte die internationale Skepsis gegenüber der Kernenergie auch auf Österreich ausgestrahlt. Die Front der AKW-Gegner hatte sich formiert. Bürgerinitiativen waren entstanden, Tausende fuhren nach Zwentendorf, um gegen den Meiler zu demonstrieren. Einer ihrer wichtigsten Sprecher war der sozialistische Publizist Paul Blau.

"Erstens: Die Atomindustrie ist und bleibt der siamesische Zwilling der Atomrüstung und trägt zur Weiterverbreitung der Atomwaffen weltweit bei. Zweitens: Radioaktivität ist gefährlich, ob nun Beschlüsse von politischen Körperschaften vorliegen oder nicht. Drittens: Die Frage der Endlagerung ist weltweit genauso ungelöst nach den politischen Beschlüssen wie vor den Beschlüssen."

Im Juni 1978 sah sich der sozialdemokratische Bundeskanzler Bruno Kreisky genötigt, eine Volksabstimmung über Zwentendorf anzukündigen. Kreisky selbst stand vorbehaltlos hinter der Kernkraft.

"Weil wir in den nächsten Jahren zur Erhaltung der Vollbeschäftigung 250.000 neue moderne Arbeitsplätze brauchen, und weil wir hierfür eine ungeheure Menge an zusätzlicher Energie benötigen, können wir gar nicht auf ein so großes Kraftwerk, wie es Zwentendorf ist, verzichten."

Am 5. November stimmten die Österreicher darüber ab, ob der betriebsfertige Meiler ans Netz gehen soll oder nicht. Es wurde ein spannender Abend. In den Hochrechnungen hatten mal die Gegner die Nase vorn, dann die Befürworter. Dann, kurz vor acht, verkündete Innenminister Lanz das Ergebnis.

"Auf 'Ja' lauteten 49,53 Prozent. Auf 'Nein' 50,47 Prozent. Das ist daher eine Nein-Mehrheit."

In der Innenstadt von Wien triumphieren die Kernkraftgegner.

"Wir sind eine kleine radikale Mehrheit!"

Bundeskanzler Kreisky, der sich sicher gewesen war, das Volk werde in seinem Sinne entscheiden, musste die Niederlage eingestehen - und zwar sichtlich zerknirscht.

"Es ist auch eine persönliche Niederlage für mich. Denn ich war derjenige, der meiner Partei die Volksabstimmung empfohlen hat, weil ich der Meinung war, es genüge nicht, mit einer Stimme Mehrheit im Parlament einen solchen Beschluss zu fassen."

Dennoch bleibt Kreisky im Amt. Im Dezember 78 verabschiedete seine Regierung das Atomsperrgesetz. Es schließt die Nutzung der Kernkraft in Österreich aus. Seit 1999 ist dieses Gesetz in der Verfassung verankert. Damit hat die Kernkraft in Österreich vorerst keine Zukunft.

Dennoch nutzt das Land heute Atomstrom - in Form von Importen aus dem Nachbarland Tschechien. Und angesichts der Renaissance der Kernenergie, die seit einigen Jahren in manchen Staaten auch in Europa zu beobachten ist, melden sich auch in Österreich allmählich jene Stimmen zu Wort, die angesichts des steigenden Strombedarfs für eine Neubewertung der Atomkraft plädieren.