"Nicht reden, sondern tun"

Von Evelyn Bartolmai · 12.03.2011
Esther aus Metzingen kümmert sich um alte Damen in Jerusalem, Denise aus Weingarten um Kinder und Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen. Zwei Beispiele, wie junge Deutsche sich für soziale Projekte in Israel engagieren.
Mit Wiener Charme, der sich auch nach Jahrzehnten nicht verloren hat, begrüßt Eva Weintraub den Besuch in ihrer Wohnung in Jerusalem. Einmal in der Woche kommt die 20-jährige Esther Buck aus Metzingen zu der 90-jährigen Dame, die 1938 mit den Eltern aus Österreich floh. Am hübsch gedeckten Kaffeetisch plaudern beide über Gott und die Welt.

Eva Weintraub: "Also ich bin immer dafür, dass man kommuniziert, mit jungen Leuten bin ich besonders gern, weil die sind noch unverdorben. Und ich finde, dass umso mehr man weiß und kennt die Welt, umso toleranter wird man. Und diese jungen Leute, die herumfahren, sehen auch, wie es auf der anderen Seite sozusagen ist. Und ich finde das nur begrüßenswert, man hat nicht Zeit zum Streiten, man hat nur Zeit zum Reden."

Am liebsten reden die beiden über Bücher. Frau Weintraub, früher Übersetzerin, besitzt eine riesige Bibliothek und es ist klar, dass Esther da vor allem die Zuhörerin ist …

" … weil ich noch nicht so viele Bücher gelesen habe, aber ich höre gern zu und gebe mein Wissen, das bisschen, auch preis oder erzähle von den Büchern, die ich lese."

Von einer Lehrerin hatte Esther Buck über Aktion Sühnezeichen-Friedensdienste erfahren. Seit September ist sie in Jerusalem, sie besucht regelmäßig zwei alte Damen zuhause und in einer Seniorentagesstätte, und sie hilft im ASF-Büro bei Seminarvorbereitungen und Öffentlichkeitsarbeit. Israel als Land interessierte sie, aber vor allem teilt sie das Anliegen, als junge Deutsche wieder eine Brücke zu den Menschen zu bauen, die von der Generation ihrer Urgroßeltern vertrieben wurden:

"Das war eigentlich der Grund, warum ich hergekommen bin, also die Geschichten kennenzulernen und zu erfahren und einfach mit den Menschen einen gemütlichen Nachmittag zu verbringen. Es geht ja nicht immer um die Lebensgeschichte, also es gibt ja auch noch andere Themen, aber es ist spannend und macht viel Spaß."

Auch Frau Weintraub mag die Treffen. Nicht nur wegen der Gespräche in ihrer Muttersprache. Sondern vor allem, weil sie ihr zeigen, dass junge Deutsche heute in einem Geist erzogen werden, der Verbrechen wie die Shoa nie wieder zulasse:

"Ja, und ich schaue nach vorne und versuche, das … ich weiß, es ist gewesen, man kann es nicht vergessen, aber ich bin sicher, sie wird es besser machen wie ihre Urgroßeltern. Weil sie anders erzogen ist, ja. Und sie meint, sie möchte ein bisschen was Gutes tun, nicht reden, sondern tun. Und was kann sie mehr tun als selber zu kommen? Ja, also ich bin sehr froh."

Als Aktion Sühnezeichen-Friedensdienste vor 50 Jahren seine Tätigkeit auch in Israel begann, waren die Freiwilligen zunächst überwiegend in Bauprojekten oder in der Landwirtschaft tätig. Nicht nur, weil viele Überlebende den Kontakt zu Menschen ablehnten, die möglicherweise aus den Familien ihrer einstigen Peiniger stammten, sondern weil auch viele Hände gebraucht wurden, den jungen Staat mit aufzubauen.

Doch das hat sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt, und so treffen sich heute die 26 jungen Leute, die für jeweils ein Jahr nach Israel kommen, nicht nur mit älteren Menschen zu Gesprächen, sondern sind auch in zahlreichen Sozialprojekten tätig. So wie die 20-jährige Denise Göllner aus Weingarten, die im Kinder- und Jugenddorf Ben Shemen arbeitet und eine Gruppe von Kindern aus schwierigen Familienverhältnissen betreut:

"Ich fange jeden Tag um 15 Uhr an zu arbeiten, im Prinzip dann, wenn die Kinder von der Schule zurück sind, und bin für ihre Freizeitgestaltung zuständig. Ja, im Prinzip einfach für die Kinder da sein, mit ihnen zu spielen, ihnen Aufmerksamkeit zu schenken, ihnen das alles, was sie zu Hause nicht bekommen haben, Aufmerksamkeit, Liebe, Zuneigung, und da ist jede einzelne Person hier wichtig."

Während Esther Buck sich mit Frau Weintraub auf Deutsch unterhalten kann, ist es für andere, die in Projekten mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, schon etwas schwieriger. Zwar gibt es vor dem Einsatz einen kleinen Sprachkurs, aber trotzdem ist viel Phantasie gefragt, wie es der Mannheimer Niklas Cares, der vor zwei Jahren seinen Zivildienst ebenfalls in Ben Shemen absolviert hat, beschreibt:

"Man muss sehr viel tanzen, um sich auszudrücken, und gestikulieren, und eben Wort für Wort, aus einfachen Wörtern wird irgendwann ein schlechter Satz und irgendwann ein richtiger Satz, und so drückt man sich aus, es wird immer besser, jedes Mal, jeden Tag ein Stück."

Und um ein Kind zu umarmen, braucht man keine Sprache, meint Denise Göllner. Auch sie hat den Weg zu Aktion Sühnezeichen-Friedensdienste gefunden, weil sie Verantwortung für die deutsche Vergangenheit übernehmen und etwas Gutes tun wollte. Und es ist eigentlich auch gar nicht wichtig, sagt sie, dass die Kinder in ihrer Gruppe noch viel zu klein sind, um mit ihnen über die Shoa, die bis heute im Land nachwirkt, zu sprechen:

"Vor allem fragen sie eben, vermisst du deine Familie zuhause denn nicht? Wie kannst du so weit von zuhause hier wohnen, willst du nicht nach Hause? Weil sie eben alle ihre Familien vermissen, drum kommen sie auch immer zu mir und meinen, du nicht eigentlich auch? Aber ich bin eben gern hier, um mit ihnen zu arbeiten und bei ihnen zu sein."

Von ihrer Chefin, der Erzieherin Bat-El Gur, bekommt Denise Göllner dafür die Bestnote:

"Sie gibt den Kindern auch ein gutes Beispiel, dass jemand seine Familie und sein normales Leben verlässt und in ein fremdes Land geht, um anderen zu helfen, das finden die Kinder sehr beeindruckend. Und Denise ist wirklich sehr engagiert, sie bringt sich völlig hier ein. Das ist einfach schön, die Kinder kommen und es ist immer jemand da. Das hilft auch uns Erziehern, es gibt eben noch zwei Augen mehr und auch noch jemanden einfach mal zum Kuscheln, das ist sehr gut."

Ein ausschließlich israelischer Arbeitsbereich von Aktion Sühnezeichen-Friedensdienste sind schließlich Projekte, die sich der jüdisch-arabischen Koexistenz verschrieben haben. Wie die Schule Yad beYad, das heißt "Hand in Hand", im Süden von Jerusalem, in der rund 600 jüdische, christliche und moslemische Kinder vom Kindergarten bis zum Abitur gemeinsam lernen und auch gemeinsam Geburtstage feiern.

Hier arbeitet Joscha aus Berlin. Eigentlich wollte er lieber in einem Bereich tätig sein, in dem es um deutsch-jüdische Vergangenheit geht und um die Unterstützung für diejenigen, die unter den Deutschen gelitten haben. Aber inzwischen fühlt er sich auch in der jüdisch-arabischen Gegenwart wohl, hilft im Unterricht von A wie Alphabet bis Z wie Zählen, alles natürlich auf Hebräisch und Arabisch, und schlüpft zum großen Vergnügen der Kinder schon auch selbst mal wieder in die Rolle eines Schülers:

"Ja, total! Die Kinder haben ziemlich schnell verstanden, dass sie mir in Sachen Sprache was beibringen können und genießen es total, auch mal die Lehrerin zu sein oder der Lehrer und haben großen Spaß daran, mich auch zu verbessern, wenn ich Fehler mache. − Und mit welchem Erfolg? − Ich gebe mir Mühe." (lacht).

Auch Joscha bekommt von der Klassenlehrerin höchstes Lob:

"Er ist eigentlich schon fast wie ein Lehrer. Er hilft nicht nur den Kindern, ihre Aufgaben für den Unterricht vorzubereiten, sondern auch im Unterricht selber fragt er sie, was sie gelernt haben. Er sitzt zum Beispiel mit einer kleinen Gruppe und hilft in Mathematik oder Hebräisch, so gut er kann. Und er spielt mit ihnen oder malt, er ist ein ausgezeichneter Maler, und bringt den Kindern alles Mögliche bei."
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