Neugier auf die Welt

Von Gerhard Richter · 18.05.2011
Mit 14 Jahren trampt Bernadette Hengst mit der Gitarre durch Deutschland und singt Lieder auf der Straße. 30 Jahre später ist die Künstler immer noch bundesweit unterwegs. Dazwischen liegt ein langer Weg vom Underground zur Hochkultur und eine Suche nach Freiheit, Ausdrucksform und dem Geld für die nächste Miete.
"Ist glaube ich mein Lebensprinzip: Unterwegs zu sein und durch Arbeit andere Städte, andere Länder kennen zu lernen. Finde ich Super."

Ich will nicht erst sterben müssen
um zu merken was mir fehlt
ich will vor meiner Beerdigung wissen
was in meinem Leben zählt


"Ja, was zählt? Das muss man natürlich jeden Tag neu rausfinden. Das große Wort Utopie fiel bei mir auch schon in Liedern, da weiß ich nicht, ob das ein zu großes Wort ist."

Auf der Suche nach Utopie landet Bernadette la Hengst meist mitten in der Realität. Unerschrocken und offen macht das Multi-Talent Musik mit türkischen Jugendlichen, organisiert Parties für Frauen, spielt Theater mit Senioren und Hartz-Vier-Empfängern. Sie hat keine Ausbildung, nichts studiert.

"Ich liebe es, mich mit Dingen auseinanderzusetzen, also Theaterstücke sind für mich auch so eine Art Studium an der Uni, was ich nie gemacht habe, also ich lerne da immer extrem viel. Ich setze mich mit Themen auseinander, wo ich sonst nicht so in die Tiefe gegangen wäre. Und dann muss ich mir immer die Frage stellen: Wie will ich eigentlich leben?"

Im Augenblick lebt Bernadette La Hengst mit ihrer siebenjährigen Tochter in einer Zwei-Raum-Wohnung in Berlin Mitte. Über dem Küchentisch hängt eine Kuckucksuhr, daneben Bilder, die ihre Tochter gemalt hat. Im Flur ein altes Konzertplakat von ihr selbst. Ihr Zimmer ist ihr Arbeitsraum: elektrische und akustische Gitarren, ein Akkordeon, ein Bass, Synthesizer, Notenständer. Liederschreiben ist ihre Antwort auf die Welt.

Wir sind das Echo, Echo, Echo unserer Eltern
Wir wollen ausbrechen, brechen, brechen, wir sehn uns die Welt an.
und wir strampeln, strampeln, strampeln um Autonomie


Neugier auf die Welt ist Bernadette Hengst in die Wiege gelegt: Ihr Vater - ein Orthopädiemechaniker lebt mit der Familie drei Jahre lang in Syrien und im Libanon, ihre beiden Brüder kommen dort zur Welt, Bernadette wird nach der Rückkehr in Bad Salzuflen geboren. Mit 14 nimmt sie die Gitarre und trampt los, macht Straßenmusik. Anfang der 80er lernt das 17-jährige blonde Mädchen das ostwestfälische Plattenlabel "Fast weltweit" kennen und deren unangepasste Protagonisten, wie Frank Spilker oder Jochen Distelmeyer.

"…und hab dann gedacht, was die können, das könnt ich ja auch mal probieren, und dann war das auch so mein Anfang vom Liederschreiben. Noch sehr ungeübt und sehr naiv, aber waghalsig."

Abenteuer als Schauspielerin erlebt sie auf kleinen Berliner Szenebühnen: Mit dieser Erfahrung bewirbt sich Bernadette Hengst an großen Schauspielschulen und darf vorsprechen.

"Meistens sind das auch männliche Regisseure, die ein Thema vorgeben und dann sagen, wie man zu funktionieren hat, und irgendwann nach der fünften Schauspielprüfung habe ich die Schnauze voll gehabt, und war so sauer, und dachte: Ne, jetzt möchte ich mich gerne selber inszenieren, also fange ich an Lieder zu schreiben."

In Hamburg gründet sie die Frauen-Band: "Die Braut haut ins Auge". Bernadette Hengst spielt Gitarre und singt.

Zehn Jahre lang rockt sie die Club-Bühnen Europas. Im Jahr 2000 löst sich die "Die Braut haut ins Auge auf". Bernadette Hengst nennt sich jetzt La Hengst und geht eigene Wege. Mehrere Solo-CDs, Performances, Honorar-Projekte. Auch auf etablierten Bühnen. Utopische Lieder in den Münchner Kammerspielen, Texte aus dem Altersheim im Stadttheater Freiburg, und ganz aktuell: Das Deutschlandmärchen in Düsseldorf und Berlin. Eine Collage aus den Videobotschaften Angela Merkels.

"Insofern bin ich schon auch irgendwie in der Hochkultur angelangt und muss das immer wieder überprüfen, wem spiele ich da die Bälle zu. Ist das für mich, ist das wirklich eine Arbeit, die der Gesellschaft zugute kommt oder nur dem Theater, die sich damit profilieren? Aber es ist von Fall zu Fall verschieden."

Manchmal klappt´s auch nicht. Gerade ist ein Projekt geplatzt, mit Schülern einer Popakademie. Deren Lehrer konnten nichts anfangen mit der Methode la Hengst - ergebnisoffen zu arbeiten.

"Einfach ins Blaue hinein, nicht zu wissen, was morgen ist, und raus zu finden, wer man wirklich ist, diese Freiheit wird den Leuten einfach nicht mehr gegeben. Und, ja, dieser Leistungsdruck in unserer Gesellschaft wächst, hab ich das Gefühl. Und deswegen ist die Kunst so extrem wichtig, was anderes zu zeigen."

Jetzt hat sie zwar Zeit, Songs aufzunehmen, aber kein Geld für die Produktion. Ein ewiger Zwiespalt.

"Und das ist glaube ich auch mein Lebensziel, mit dieser Unsicherheit umzugehen, das zu beschreiben und immer wieder neu zu überlegen."