Neues Projekt der Berliner Festspiele

Schule der Distanz mit baulichen Schwierigkeiten

Außenansicht des Martin-Gropius-Baus in Berlin.
Außenansicht des Martin-Gropius-Baus in Berlin. © Jansch / Berliner Festspiele
Von Elisabeth Nehring · 20.11.2016
Die Berliner Festspiele haben das erfolgreiche Festival "Foreign Affairs" in diesem Jahr eingestellt und stattdessen in diesem Herbst eine neue Reihe ins Leben gerufen: "Immersive Arts – Kunst, in die man eintauchen kann". Ein Blick auf die Performances und Vorträge des neuen Programms.
Fast wie sakrale Gesänge in einem Kirchenraum - die jüngste Arbeit der Medienkünstlerin Annika Kahrs, die im marmornen Treppenhaus des Berliner Martin Gropius Baus einen Chor inszeniert hat. "Alone Together" – "Allein gemeinsam" – so der Titel, taucht als Mantra im Gesang immer wieder auf; Sängerinnen und Sänger wechseln gelegentlich die Plätze und ihre Mikrofon-verstärkten Stimmen kommen aus verschiedenen Lautsprechen von allen Seiten. Ja, wir werden von der Musik umhüllt, können in sie eintauchen – als Form der immersiven Kunsterfahrung sozusagen. Wieso aber das Programmheft angibt, das Musizieren werde "als sozialer Akt porträtiert" bleibt angesichts der künstlerischen Situation, die keinerlei Begegnung ermöglicht, schleierhaft. Und wieso überhaupt "‚sozialer Akt" im Zusammenhang mit Immersion? Kurator Cornelius Puschke hilft weiter: "Die Immersionals ein Teil der Koproduktion macht es möglich, dass Werke überhaupt erst entstehen: Dadurch dass der Zuschauer, das Publikum, nicht nur Teilnehmender wird, nicht nur partizipiert, sondern selber auch agiert. Und selber koproduziert die Situation."
Für die dreitätige Veranstaltung "Schule der Distanz" wurden verschiedene Künstler aufgefordert, sich in Bezug auf die Immersion mit dem Thema "Nähe und Distanz" auseinanderzusetzen. Und das tun sie mit erstaunlich konventionellen Mitteln. Ed Atkins, britischer Videokünstler und Schriftsteller, hielt im schmucklosen Konferenzsaal eine suggestive Rede an ein imaginäres Gegenüber, die einer Predigt glich, inhaltlich aber wenig transportierte.

Versuche bereits auch schon in der Atike

Da war der Ritt durch die Kunstgeschichte des Medientheoretikers Oliver Grau schon ergiebiger – denn: Immersion ist überhaupt nichts Neues!: "Solche Versuche hat es schon in der Antike gegeben. (...) Mysterienkult, knallrote Wände und davor göttliches Personal. Das kann man durch die ganze Kunstgeschichte verfolgen, Panoramen im 19. Jahrhundert, Freskenräume in der Renaissance, die religiöse Themen hatten, die gewissermaßen Stationenwege der Leiden Christi thematisiert haben und Pilger, die nicht mehr nach Jerusalem konnten, die Simulation von Jerusalem in Italien erlaubt haben. Im 19. Jahrhundert dann Schlachtenpanoramen (...) und heute natürlich gab es vor 20 Jahren die erst große Welle der Virtual Reality, die heute natürlich von Facebook und anderen Formen noch gesteigert wird."
Aber in der "Schule der Distanz" geht es ja nicht um das Herstellen immersiver Erfahrungen. Leider möchte man sagen, vor allem angesichts der an ein Ärgernis grenzenden Performance des Brüsseler Künstlers David Weber-Krebs.

Realistische Kunst als Voraussetzung für politische Handlungsfähigkeit

Hier zeigt uns die Performerin Zoe Demoustier Fotos auf ihrem Ipad: das kleine Mädchen Laia, ihr Frühstück, den Himmel, Lasagne, Kuchen, Brot, sich selbst und – man glaubt es kaum – sogar T-Shirts in verschiedenen Farben! Während Zoe uns mit diesen gehaltvollen Informationen versorgt, folgen wir ihr in die obere Etage des dunklen und ansonsten verlassenen Lichthofs des Martin Gropius Baus – und sitzen irgendwann in der Falle: bitte Platz nehmen und der Performerin beim dekorativen Liegen zuschauen. Erst nachdem das Licht sich endlich abgedunkelt hat, wagt man zu fliehen! Und wünscht sich nichts sehnlicher, als endlich eine Performance mit Substanz – sei sie nun immersiv oder realistisch. Doch halt, der Realismus wird ja gerade abgelöst – wie die Philosophin Stefanie Wenner erklärt: "Wir hatten so einen Boom an Realismus, nicht nur in der bildenden Kunst, sondern auch im Theater – als Forderung: Es muss realistische Kunst gemacht werden (...) und dadurch soll eine politische Handlungsfähigkeit entstehen. Jetzt haben wir das neue Ding (...): Immersion. Jetzt werden die Leute in Situationen gebracht – gut, das sind künstlerische Entscheidungen – wo sie eigentlich kein Außen mehr haben."
Ja, das Außen, sas gab es im Martin Gropius Bau allerdings in geballter Weise, vor allem in Form von herumschnauzendem Aufsichtspersonal und Warteschlangen vor Türen und Fahrstühlen. Im Angesicht der vielbeschworenen Bedeutsamkeit der Räumlichkeiten für die immersive Theatererfahrung bleibt es unverständlich, warum ausgerechnet ein so unübersichtlicher, unwirtlicher Ort wie der Martin Gropius Bau für die "Schule der Distanz" gewählt wurde. Da konnten weder die Hildesheimer Studierenden mit Lachyoga, Engtanz und Freiem Kuscheln helfen, noch drei DJ’s, die zur Minidisco einluden. Denn mal ehrlich: Für die Erfahrung, dass man zu ohrenbetäubender Elektromusik vor allem alleine vor sich hin wackelt, braucht man keine "Schule der Distanz", sondern einfach nur einen freundlichen Türsteher.

Lesen und Hören Sie dazu auch: Der Dramaturg Cornelius Puschke im Gespräch mit Janis El-Bira über das Projekt "Immersion" in der Sendung Rang 1.

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