Daniel Wisser: "Königin der Berge"

Völlig inkorrekt auf dem Weg ins Jenseits

Cover von Daniel Wissers "Königin der Berge" vor dem Hintergrund einer Theke mit einem Whiskeyglas
Daniel Wissers "Königin der Berg" findet einen ebenso komischen wie politisch inkorrekten Zugang zum Sterben. © Imago / Cover: Verlag Jung und Jung
Von Rainer Moritz · 24.11.2018
Daniel Wisser erzählt hier eine Heimstory: Robert Turin ist sehr krank und auf Hilfe angewiesen. Also will er sterben, und zwar in der Schweiz. Doch auf dem Weg zu diesem Ziel gibt es immer wieder neue Hürden. Eine todernste Geschichte mit komischen Zügen.
Wenn sich eine Gesellschaft verändert, die Lebenserwartung steigt und viele Menschen ihre letzten Jahre in Alters- und Pflegeheimen verbringen, nimmt es nicht wunder, dass sich solche Entwicklungen in der Literatur widerspiegeln. So mangelt es längst nicht mehr an Romanen, deren Protagonisten an Krankheiten oder Vereinsamung leiden und nicht selten den Tod herbeisehnen. Der 1971 in Klagenfurt geborene Daniel Wisser hat mit seinem fünften Roman "Königin der Berge" diesen Fundus bereichert – auf fulminante, originelle Weise.
Robert Turin (dessen Name keinesfalls wie die italienische Automobilstadt zu betonen ist) heißt Wischers Protagonist, ein Mittvierziger, der seit zwanzig Jahren an Multipler Sklerose leidet. Hoffnung auf Besserung gibt es nicht. Er sitzt im Rollstuhl, ist impotent, muss mit einem Harnkatheter leben und sieht seinem unausweichlichen Tod entgegen. Den will er selbst bestimmen und deshalb die in der Schweiz erlaubte Sterbehilfe in Anspruch nehmen – wenn er denn nur eine vertrauenswürdige Person fände, die ihn in das Land der "Freitodbegleitung" brächte.

Grüner Veltiner und Whiskey in rauen Mengen

Daniel Wisser gelingt es, dieser todernsten Geschichte komödiantische Züge zu verleihen und den nörgelnden Heiminsassen Turin mit Sympathiewerten auszustatten. Abgesehen vom Wunsch, in der Schweiz sein ihm unwürdig erscheinendes Leben zu beenden, sind Turin zur wenige Begierden geblieben: grünen Veltliner und Whiskey in rauen Mengen zu trinken und, gesellschaftlich völlig inkorrekt, den attraktiven Krankenschwestern und Psychologinnen körperlich möglichst nahe zu kommen.
Trotz seiner Erkrankung ist der einstige EDV-Experte Turin ein "homme à femmes" geblieben, dem es ihm Handumdrehen gelingt, das weibliche Pflegepersonal zu becircen – zum Leidwesen seiner Frau Irene. Was von dieser zu halten ist, bleibt ohnehin nebulös. Sie lässt sich umstandslos den Besitz des Gatten überschreiben, weigert sich standhaft, ihn in die Schweiz zu begleiten, und kehrt ausgerechnet über Weihnachten ihrem Mann den Rücken, eine wichtige Geschäftsreise vorschützend.

Ein Leben in der Vergangenheit

So bleibt Turin viel Zeit, sich mit den Krankenschwestern auszutauschen, über indiskutable Aufschnittplatten zu lamentieren, zwei Selbstmordversuche zu unternehmen, sich in Psychologin Payer zu verlieben und die neuesten Entwicklungen der amerikanischen Politik zu verfolgen. Denn "Königin der Berge" (der Titel dient als Umschreibung für Turins Erkrankung und bezieht sich auf einen Western mit Ronald Reagan und Barbara Stanwyck in den Hauptrollen) spielt 2016/17, also in der beginnenden Trump-Ära, die unterschiedliche Reaktionen bei den Heimbewohnern auslöst. Der lebensmüde Turin interessiert sich dafür wenig, lebt eher in der US-Vergangenheit und plaudert mit seinen toten, als Off-Stimme jedoch ständig präsenten Kater, der Dukakis heißt, wie der demokratische Präsidentschaftskandidat von 1988.
Wissers Roman, der mit guten Gründen vor kurzem mit dem Österreichischen Buchpreis ausgezeichnet wurde, changiert auf elegante Weise zwischen schwarzgrauen und bunten Farben, besticht durch sprachliche Einfälle, wechselt geschickt Perspektiven und liefert brillante Dialoge.

Daniel Wisser: "Königin der Berge". Roman
Jung und Jung, Salzburg/Wien 2018
395 Seiten, 24 Euro

Mehr zum Thema