Neu im Kino: "Mustang"

Wuchtige Emanzipationsgeschichte

Regisseurin Deniz Gamse Ergüven mit den Hauptdarstellerinnen ihres Films "Mustang" bei den Filmfestspielen Cannes 2015.
Regisseurin Deniz Gamse Ergüven mit den Hauptdarstellerinnen ihres Films "Mustang" bei den Filmfestspielen Cannes 2015. © dpa / © PHOTO / LE PARISIEN / FREDERIC DUGIT
Von Patrick Wellinski · 25.02.2016
Nach dem frühen Tod der Eltern lebt Lale mit ihren vier Schwestern bei der Großmutter und dem strengen Onkel. Als sie mit Schulkameraden am Strand rumtollen, werden sie zur Strafe von der Außenwelt abgeschottet. Die Familienehre steht auf dem Spiel. Nach und nach wird der Traum vom selbstbestimmten Leben erstickt.
Ein Sommer in Anatolien. Die Schule geht zu Ende. Mädchen, die mit ihren Schulkameraden am Strand herumtollen. Lale und ihre vier Schwestern wissen noch nicht, dass dieser unschuldige Spaß ihr ganzes Leben umkrempeln wird. Eine konservative Nachbarin hat sie bei der Großmutter angeschwärzt. Da die Eltern vor vielen Jahren gestorben sind, ist die Großmutter mit dem strengen Onkel für die fünf Teenagerinnen alleine zuständig.
Die Mädchen werden von der Außenwelt abgeschottet. Kein Spaß mehr, keine Freizeit und schon gar keine Jungs. Die Ehre der Familie steht auf dem Spiel. Und auch die Tugendhaftigkeit der Mädchen, die - so wird ihnen jedenfalls gesagt - ihre ganze Zukunft sei.
Und schon beginnt die Großmutter, eine nach der anderen zu verheiraten. Die fünf wehren sich, geben aber nach. Nur Lale, die jüngste, die ungewollte Chronistin der Ereignisse, will sich mit dem vorgefertigten Schicksal nicht abfinden.

Kampf gegen konservative Geschlechterrollen

"Mustang" erzählt also von diesen Mädchen und ihrem Traum nach einem selbstbestimmten Leben und einem Kampf gegen konservative Geschlechterrollen. Dabei arbeitet die ältere Generation ganz unterschiedlich daran, diese lebensfrohen Schwestern zu domestizieren.
Die Oma und die Tanten bringen ihnen Kochen und Nähen bei. Das Haus wird zum Gefängnis und - wie Lale es einmal formuliert - zur Hausfrauenfabrik. Die Männer geben die Wachhunde. Werden aber auch übergriffig, sind streng und unnahbar.
Dennoch geht die Regisseurin billiger schwarz-weiß-Malerei aus dem Weg. Die Umstände sind schuld und nicht konkrete Personen, die nur Resultat einer Jahrhunderte alten Tradition sind. Daher spielt sich das Drama eher in der Dynamik zwischen den fünf Schwestern ab, deren Zusammenhalt langsam bröckelt.

Magische Coming-of-Age-Geschichte

Diese wuchtige Emanzipationsgeschichte, erinnert in ihrer Konstruktion an Sofia Coppolas Regiedebüt "Virgin Suicides". Doch ist Gamse Ergüvens Film viel gegenwärtiger und stärker in einem konkreten gesellschaftlichen Milieu verankert.
Wobei: "Mustang" ist kein fehlerfreier Film. Er geht zu häufig den leichten Weg. Der unangenehmen Frage, warum z.B. die Großmutter, die ihre Enkelinnen sichtlich liebt, sie dennoch den patriarchalischen Mustern der Gesellschaft opfert, geht die Regisseurin aus dem Weg.
Und auch Lales Overvoice-Kommentar wirkt redundant, wiederholt das, was wir eh schon gesehen haben.
Dennoch verströmt diese etwas andere Coming-of-Age-Geschichte etwas Magisches. Wir erkennen in ihr das große Talent einer jungen Regisseurin, die noch Großes vor sich hat.

"Mustang"
Drama, Frankreich/Deutschland 2015
Regie: Deniz Gamse Ergüven
Mit u.a., Günes Sensoy, Doga Doguslu, Elit Iscan;
Länge: 97 Minuten

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