Neu im Kino: "Die Geträumten"

Traurig verliebt: Ingeborg Bachmann und Paul Celan

Ein Filmstill aus "Die Geträumten".
Anja Plaschg und Laurence Rupp in einer Szene aus dem Film "Die Geträumten". © Ruth Beckermann
Sigrid Weigel im Gespräch mit Sigrid Brinkmann · 26.10.2016
Ruth Beckermann hat mit "Die Geträumten" den Briefwechsel von Paul Celan und Ingeborg Bachmann verfilmt. Literaturwissenschaftlerin Sigrid Weigel kann den experimentellen Spielfilm zwar empfehlen, kritisiert aber die Reduzierung auf die Liebesgeschichte.
Sigrid Brinkmann: Das 20. Jahrhundert deutschsprachiger Dichtung ist ohne Paul Celan nicht zu denken, auch nicht ohne Ingeborg Bachmann. Die beiden lernten sich 1948 in Wien kennen. Er war auf dem Weg nach Paris. Sie betörten sich mit Worten, verliebten sich, litten aneinander und schrieben sich Briefe, wenn auch mit sehr langen Unterbrechungen, dann doch über einen Zeitraum von 22 Jahren, bis Paul Celan sich im April 1970 in der Seine ertränkte. 2009 wurden die Briefe erstmals in dem Sammelband "Herzzeit" veröffentlicht.
Acht Jahre später haben die österreichische Dokumentarfilmerin Ruth Beckermann und die Autorin Ina Hartwig das Drehbuch für eine Verfilmung des Briefwechsels geschrieben, und nun ist es soweit: "Die Geträumten" kommt ins Kino. Sigrid Weigel ist Literatur- und Kulturwissenschaftlerin, auch Autorin, und ich freue mich, mit ihr über die experimentelle Inszenierung dieser rauschhaften, aber auch sehr, sehr traurigen Geschichte des berühmten Dichterliebespaares zu sprechen. Frau Weigel, ich finde ja die Idee, einen Briefwechsel zu verfilmen, sehr gewagt.
Sigrid Weigel: Ja!
Brinkmann: Die Regisseurin hat dafür zwei junge Schauspieler engagiert: Anja Plaschg und Laurence Rupp. Wie führt sie denn den Zuschauer an die Begegnung von Celan und Bachmann heran?
Weigel: Es ist der Versuch, glaube ich, diesen Briefwechsel von zwei Personen, die durch die Geschichte schwer verletzt sind, auf je ganz unterschiedliche Art und Weise, einer jüngeren Generation nahezubringen. Also sie inszeniert diesen Aneignungsprozess der beiden Schauspieler mit. Es wird also nicht nur gelesen, es ist ja kein Spielfilm, sondern es ist tatsächlich ein Lesefilm mit den beiden Schauspielern, die jeweils die Ausschnitte aus den Briefen lesen. Und sie zeigt, wie diese Schauspieler sich mit dem Text auseinandersetzen und sich dem Text nähern und versuchen, sich in die – ja, und jetzt wird es problematisch für mich –, in die Lage von Bachmann und Celan einzufühlen. Ich habe keine Vorstellung, wie man das hätte anders machen können. Ich finde das einen wunderschönen Film, der vor allen Dingen deshalb so schön ist, weil die Sprache dieser beiden verzweifelt Liebenden, also eigentlich die Beteiligten einer unmöglichen, und zwar aufgrund der historischen Situation unmöglichen Liebe, sind Dichter, und das sind Liebesbriefe von Dichtern, die einfach eine hohe poetische Qualität haben. Deswegen habe ich mich auch gefreut, als der Briefwechsel endlich erschien.
Es ist nicht so, dass mit dem Briefwechsel jetzt sensationell Neues zutage kam. Man wusste um die Beziehung, und in der Bachmann- und Celan-Forschung war das meiste auch bekannt, das konnte man nämlich aus ihren Texten lesen. In den Texten von Celan und Bachmann gibt es einen poetischen Dialog, der ähnliche Probleme zeigt, aber noch sehr viel stärker auch das, was sie verbindet. Insofern finde ich immer, dass dieser Briefwechsel eigentlich nicht zu lesen ist ohne auch die Texte zu lesen. Das ist für mich das Problem des Films, obwohl der Film, glaube ich, den Zuschauern die Emotionen, die emotionale Qualität und auch die poetische Qualität dieser Briefe, dieses Briefwechsels, nahe bringt.

"Sehr stark im stimmlichen Ausdruck"

Brinkmann: Ich fand ja die Gesichter der beiden Schauspieler, und ich kenne den Film in Auszügen, doch sehr beherrscht. Also mich hat das angerührt zu sehen, das Gesicht des jeweils Angesprochenen, das beginnt damit, dass Laurence Rupp, der aus einem Brief von Paul Celan an Ingeborg Bachmann liest, nur das Bild der Schauspielerin, das Gesicht der Schauspielerin beleuchtet, und man verfolgt ihre Emotionen, dann langsam blendet er auf das Gesicht des anderen. Diese vorsichtigen Schwenks, die haben mir sehr gut gefallen, weil ich fand die doch zurückgenommen.
Weigel: Zurückgenommen im Gesichtsausdruck, aber sehr stark im stimmlichen Ausdruck. Es wird ja durch den stimmlichen Ausdruck schon auch eine Charakterisierung der beiden beteiligten Personen, der Briefschreiber, erreicht. Also ein Schauspieler, der liest, bringt in die Stimme hinein eine Bedeutung. Und das ist in diesem Fall so realisiert, dass sie, die Anja Plaschg, sehr gefühlvoll spricht, während er die Stimme von Celan doch mit einer gewissen Härte ausstattet, und damit ist bereits eine Interpretation vorgegeben.
Brinkmann: Ja, es gibt auch etwas fordernd Aggressives, was er in den Ton legt. Was mir zum Beispiel gefallen hat, man macht sich ja heute auch gar nicht mehr so klar, die beiden lernten sich kennen, Ingeborg Bachmann und Paul Celan, als sie 22, er 28 Jahre alt war, und diese beiden Schauspieler haben fast das gleiche Alter. Wenn man heute von diesem Paar Celan/Bachmann spricht, dann vergisst man, finde ich, also mir geht es so, wie jung die beiden damals waren, als sie sich begegnet sind, und diese Sprache, wie Sie eben gesagt haben, ist so durchdrungen von Poesie, also die ist so alltagsgereinigt auch, und sie schreiben auch ja über ihr Schreiben, es geht um Dichtung, nicht nur um die persönlichen Empfindungen, und das, was sie in ihrem Privatleben leben. Also Celan heiratet, Bachmann hat Geliebte.
Sie ist mit Max Frisch zusammen, sie ist jahrelang mit Hans Werner Henze, dem Komponisten, in Italien zusammen und verschweigt Celan dies ja auch. Also das wird alles rausgenommen. Ich finde, dass die beiden eigentlich ganz gut hörbar machen diese wachsende Verzweiflung, manchmal Feindseligkeit, auch das Fremdsein der beiden.

"Auf die dramatische Liebesgeschichte reduziert"

Weigel: Ja, aber was dieser Film nicht leistet und auch nicht leisten kann: In einem Film und auch selbst in der Briefausgabe ist das schwierig zu leisten, ist, das Wissen zu vermitteln, woher diese Verzweiflung kommt. Und so gern ich den Film gesehen habe, so ungute Gefühle hatte ich beim Sehen, weil auch in der Auswahl der Briefstellen, aber vor allen Dingen natürlich in der Tatsache, dass man nur diese verzweifelte, traurige, dramatische Liebesgeschichte kennenlernt, die Beziehung dieser beiden eben auf diese dramatische Liebesgeschichte verdichtet wird und damit auch reduziert wird. Es kann nicht aufscheinen, woher kommt eigentlich sein fordernder Ton, sein Notschrei.
Man muss dazu wissen, in welcher Art und Weise Paul Celan tatsächlich vom deutschen Literaturbetrieb in der Nachkriegszeit verhöhnt worden ist. Ich nenne das Nachverfolgung. Es ist eine Art, ihn noch mal auszugrenzen, als jemand, dessen Eltern während der Vertreibung der Juden aus Bukowina getötet worden sind. Also sozusagen ein Überlebender, der die Vernichtung der europäischen Juden durch die Nazis, dessen Eltern gemordet sind, die kein Grab haben. Paul Celan hat seine Dichtung unter dieses Motto sozusagen gestellt, den Eltern ein Grab zu schaffen und hat sich in Bachmann verliebt, die Tochter eines österreichischen NSDAP-Mitglieds und vorherigen Soldaten. Genauso wie sie ihn als Fremden, hat er sie als Fremde wahrgenommen, und dieses erste Gedicht, was er ihr gewidmet hat, da heißt die Schlusszeile: "du sollst sie, die Fremde, schmücken mit dem Schmerz umruht, um Mirjam, um Naomi".
Das heißt, er erinnert sich selber sozusagen, dass seine Liebe zu dieser ganz anderen, ganz Fremden, die eine ganz andere Erfahrung hat, und er eine Erfahrung, die er nicht teilen kann und vielleicht auch nicht so mitteilen kann, ihn nicht entbindet von dem Erinnerungsgebot, unter das er sich gestellt hat, und das war für sie eine unglaubliche Last. Deswegen hat sie anfangs auch sehr gezögert.
Brinkmann: Ruth Beckermann hat versucht, den Briefwechsel von Paul Celan und Ingeborg Bachmann zu verfilmen. Ihr Film, "Die Geträumten", kommt morgen in die Kinos. Er war Anlass für ein Gespräch mit der Literaturwissenschaftlerin und Autorin Sigrid Weigel, die, so habe ich Sie verstanden, dann doch eher die Lektüre des Buches "Herzzeit" empfiehlt.
Weigel: Nein, nein, das ist es nicht, sondern es geht tatsächlich darum, dass die Auswahl, also die Passagen, die ausgewählt worden sind, das auf diese Liebesgeschichte, mit der sich heutige Generationen identifizieren können, und das finde ich ein Problem.
Brinkmann: Dann empfehlen wir die Lektüre und komplementär dazu den Film "Die Geträumten", ab morgen im Kino.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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