Netzspionage

Aufruf gegen Massenüberwachung

Von Jürgen König · 10.12.2013
Die Ausspähaktionen des US-Geheimdienstes haben eine Welle des Protestes weltweit ausgelöst. 560 Autoren rufen die Bürger zum Widerstand gegen die Massenüberwachung auf.
Sie erwarte nicht, dass "etwas Messbares passiert", sagt die Schriftstellerin Juli Zeh, es gehe aber darum, im "Bewusstseinswandel den nächsten Schritt" gemacht zu haben. Einen nächsten Schritt nach jenem "Marsch aufs Kanzleramt", mit dem im September Schriftsteller in einem offenen Brief von Bundeskanzlerin Merkel "die Wahrheit in der NSA-Affäre" gefordert hatten.
In dem von 67.407 Menschen unterschriebenen Brief hatte es geheißen, Deutschland sei zum "Überwachungsstaat", in Deutschland sei der "gläserne Mensch" "endgültig Wirklichkeit" geworden, dies sei: ein "historischer Angriff auf unseren demokratischen Rechtsstaat, nämlich die Umkehrung des Prinzips der Unschuldsvermutung hin zu einem millionenfachen Generalverdacht".
"Wir haben damals von Seiten der Politik, also von Seiten der Regierung jedenfalls, gar keine Reaktion bekommen, da war Beton ... sodass es für uns klar war, es muss weitergehen und zweitens - es muss internationalisiert werden. Wir haben es hier ja nicht mit einem deutschen Problem zu tun, wir wissen aus Snowdens Enthüllungen, was die NSA tut.
Überwachung ist kein deutsch-amerikanisches Problem, es ist eine globale Frage, wir haben es mit einem Paradigmenwechsel zu tun im 21. Jahrhundert, wir erleben eine Epochenwende, in der Bürgerrechte, Freiheitsrechte neu gedacht werden müssen. Die Macht hat sich verschoben zwischen dem Einzelnen und dem Staat, aber auch zwischen dem Einzelnen und wirtschaftlichen Institutionen, und wir müssen politisch darauf reagieren."
Who is Who der Weltliteratur gegen Datenspionage
Und also versammelten Juli Zeh, Eva Menasse und Ilija Trojanow vier weitere Autorinnen und Autoren um sich: Priya Basil aus Großbritannien, Isabel Fargo Cole aus den USA, Janne Teller aus Dänemark und Josef Haslinger aus Österreich. In sechs Wochen schafften sie es - ohne Geld und gestützt lediglich auf private Kontakte und Netzwerke, 560 Schriftsteller dazu zu bewegen, einen Aufruf zu unterschreiben.
Günter Grass war dabei, Eugen Ruge, Daniel Kehlmann, Doris Dörrie, Ulrich Beck und Michael Krüger, Margaret Atwood und T.C.Boyle, J.M.Coetzee, Zeruya Shalev und Richard Ford, Viktor Jerofejew, Hennig Mankell, Peter Hoeg, Martin Amis, Don DeLillo, Kazua Ishiguro, Nurrudin Farah – ein Who is Who der Weltliteratur, fünf Nobelpreisträger unterschrieben den Aufruf.
In ihm heißt es, es sei in den letzten Monaten ans Licht gekommen, in welch "ungeheurem Ausmaß" wir alle überwacht würden, dabei sei doch die "Unverletzlichkeit des Individuums" eine der "tragenden Säulen der Demokratie". Die Schriftstellerin Eva Menasse:
"Es kann ja wohl nicht sein, dass wir etwas dagegen haben, wenn unser Ehemann oder der Postbote unsere Briefe öffnet, dass wir unsere E-Mails aber unwidersprochen von Geheimdiensten speichern und mitlesen lassen, dass unsere Freunde nicht wissen, wo wir sind, aber die Geheimdienste und Handyanbieter!"
Staaten und Konzerne würden die technologischen Entwicklungen zum Zwecke der Überwachung massiv missbrauchen, heißt es in dem Aufruf, ein Mensch unter Beobachtung sei "niemals frei", eine "Gesellschaft unter ständiger Beobachtung sei keine Demokratie mehr". Wörtlich heißt es:
"Wir fordern daher, dass jeder Bürger das Recht haben muss mitzuentscheiden, in welchem Ausmaß seine persönlichen Daten gesammelt, gespeichert und verarbeitet werden und von wem. Dass er das Recht hat zu erfahren, wo und zu welchem Zweck seine Daten gesammelt werden, und dass er sie löschen lassen kann, falls sie illegal gesammelt und gespeichert wurden.
Wir rufen alle Staaten und Konzerne auf, diese Rechte zu respektieren.
Wir rufen alle Bürger auf, diese Rechte zu verteidigen.
Wir rufen die Vereinten Nationen auf, die zentrale Bedeutung der Bürgerechte im digitalen Zeitalter anzuerkennen und eine verbindliche Internationale Konvention der digitalen Rechte zu verabschieden.
Wir rufen die Regierungen auf, diese Konvention anzuerkennen und einzuhalten."
"Schon ganz andere Herausforderungen geschafft"
Solche Forderungen zu stellen, sagt Eva Menasse, sei doch nicht illusorisch.
"Wir haben als Menschheit auch schon ganz andere Herausforderungen geschafft, die erst mal unmöglich ausgesehen haben, es ist uns gelungen, die atomare Abrüstung einzuleiten, wir können unsere Treibhausgase global zumindest reduzieren. Wir haben Dinge geschafft, und nur weil es technisch möglich ist, heißt es nicht, dass wir es zulassen.
Und das ist genau der Punkt, von dem ich glaube, dass er der wichtigste ist, ihn an die Menschen zu bringen: Wir können was tun, es kann reguliert werden, es gibt nichts, was wir nicht regulieren können, wenn wir es politisch wollen. Bloß bis jetzt fehlt der politische Wille absolut."
Dieser politische Wille der Bundesregierung müsse jetzt erkennbar werden, so Ilija Trojanow, in weltweit 30 Zeitungen werde der Aufruf erscheinen, ohne dass jemand sich dies übrigens als Anzeige bezahlen lassen wollte: ein weiteres Schweigen sei doch einfach nicht mehr möglich.
"Jetzt, nachdem wir doch sehr, sehr namhafte Namen und eine internationale Präsenz mit diesem Aufruf uns gelungen ist, ist die Bundesregierung jetzt endgültig aufgefordert, wenigstens zu reagieren.
Wir empfinden das bisherige Schweigen der Bundesregierung und die insgeheime Ausweitung von Überwachung in den Koalitionsverhältnissen als ein antidemokratisches Verhalten und geradezu eine Kapitulationserklärung vor diesen Herausforderungen."
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