Netzpolitik

Industriefreundlich und realitätsfern

Von Michael Meyer  · 27.11.2013
Verwundert oder gar schockiert reagieren Experten und Künstler auf die Koalitionsvereinbarungen zum Thema Netzpolitik. Das Thema wird zwar ausführlich behandelt, bleibt inhaltlich aber sehr schwamming.
Das Positive zuerst: Das Thema Netzpolitik kommt in diesem Koalitionsvertrag sehr umfangreich vor – das Thema ist ganz offensichtlich viel stärker auf der geistigen Landkarte der Verhandler gewesen als noch in den Jahren zuvor. Doch was letztlich im Vertrag steht, ist allzu oft schwammig, industriefreundlich oder realitätsfern, kritisiert Netzaktivist Markus Beckedahl, Mitglied der "Digitalen Gesellschaft". Wurde noch im Sommer etwa großspurig vom "No-Spy-Abkommen" gesprochen, will man nun europäische Kommunikationsunternehmen dazu verpflichten, künftig nicht mehr Daten an ausländische Geheimdienste zu übermitteln:
"Wir fragen uns, wie das sich die Große Koalition sich das vorstellt, dass zum Beispiel britische Telekommunikationsanbieter wie das Unternehmen Vodafone, das auch im deutschen Markt agiert, künftig auf Druck der Großen Koalition nicht mehr mit dem eigenen Geheimdienst und damit auch nicht mehr mit der NSA kooperieren können darf – also, da stellen wir uns schon die Kavallerie vor, die aus Berlin nach London reitet – um das zu unterbinden."
Auch sonst seien es eher Floskeln, die man im Vertrag lese, wenn es darum geht, den Datenschutz zu stärken. Im politischen Alltag wurde bislang wenig davon umgesetzt. Alexander Sander, Geschäftsführer der "Digitalen Gesellschaft", meint, dass vor allem die mangelnde Kontrolle der Datenspionage Bürger alarmieren müsste:
"Völlig unglaubwürdig, was die Große Koalition da vorhat"
"Es werden immer so Sachen gesagt, dass man Vertrauen wieder herstellen möchte und man möchte den Skandal aufklären, meiner Meinung nach stellt man Vertrauen wieder her in dem die Amerikaner sagen: Was ist passiert, was wurde gemacht. Das Ganze zieht sich jetzt schon über ein halbes Jahr und man redet immer noch davon, dass Vertrauen wieder hergestellt werden soll. Das ist völlig unglaubwürdig, was die Große Koalition in spe da vorhat."
Sogar die längst schon ad acta geglaubte Vorratsdatenspeicherung soll festgeschrieben werden, künftig für drei Monate innerhalb der EU. Damit geht die Speicherung von E-Mails und Telefonaten auf bloßen Verdacht hin munter weiter, fürchtet Alexander Sander:
"Warum eine Vorratsdatenspeicherung in irgendeiner Art und Weise zur Strafverfolgung oder zur Verfolgung von terroristischen Straftaten sinnvoll sein soll oder zur Prävention, wurde uns nicht erklärt, wir sind nach wie vor komplette Gegner der Vorratsdatenspeicherung. Also nicht nur von Telekommunikationsdaten, sondern auch von Fluggastdaten oder von Bankdaten oder ähnlichen Vorratsdatenspeicherungen."
Ein weiteres noch weitgehend ungeklärtes Thema ist die Netzneutralität. Hier geht es darum, dass Telekommunikationsunternehmen Datenpakete aufteilen wollen in sogenannte "Managed services". Wer als Kunde mehr zahlt, kann schneller und mehr mit dem Smartphone oder dem Computer durchs Netz surfen. Das müsse dringend unterbunden werden, so die Netzaktivisten der "Digitalen Gesellschaft", die Koalition beließ es bei der Formulierung, dass derlei Services begrenzt werden sollen. Aber wie? Und ab wann?
Auch beim Urheberrecht tut sich nicht viel
Beim vieldiskutierten Bereich Urheberrecht tut sich ebenfalls nicht viel, wenn es darum geht, neue, clevere Modelle zu finden, um Kreativität im Netz zu ermöglichen. „Remixe“, „Mash-Ups“ – also die Neuzusammenstellung kreativer Werke werden überhaupt nicht angesprochen, kritisiert Leonhard Dobusch, Jurist für Netzpolitik Viele neue Webseiten profitieren jedoch genau von diesen kleineren oder größeren Urheberrechtsverletzungen. Was Not tue, sei eine „Fair Use“-Regelung wie in den USA, die Bagatellen straffrei stelle, sagt Dobusch. Die Große Koalition will dennoch verstärkt dagegen vorgehen:
"Wenn man jetzt hier verschärft, besteht die große Gefahr, dass die Leidtragenden kleine und junge Start-up-Unternehmen sind, was den Internetstandort Deutschland schwächt. Und vor allem ein Gesetz ist, was vor allem den Großen, die sich Rechtsstreitigkeiten leisten können wie Facebook und Google hilft, wenn es um nutzergenerierte Inhalte geht."
Fazit: Trotz der vielen Passagen, die sich um Netzpolitik drehen, habe man nicht den Eindruck, dass das Thema sinnvoll behandelt wurde, meint Markus Beckedahl. Ein großer Wurf sei es nicht geworden. Die Frage ist auch, wie das Thema künftig personell vertreten wird – etwa in einem eigenen Ressort oder als Unterabteilung im Innenministerium.
Input der kleinen Parteien fehlt
Am besten sei es, wenn man es gleich ganz im Bundeskanzleramt ansiedelt. Ansonsten, so Beckedahl, merke man dem Koalitionsvertrag an, dass keine der kleineren Parteien, FDP, Grüne oder Linke mit am Tisch gesessen haben, und eben nur Schwarz-Rot:
"Auch die letzte Große Koalition zwischen 2005 und 2009 hat uns gezeigt, dass wenn diese großen beiden Fraktionen zusammengehen, sich immer die Innen – und Rechtspolitiker mit ihren Überwachungsfantasien sich durchsetzen und eigentlich alles schlecht-möglichst umgesetzt wird. Die letzte Große Koalition brachte uns damals die Online-Durchsuchung, die Vorratsdatenspeicherung und die Netzsperren. Wir hoffen, dass es nicht so schlimm mit dieser Großen Koalition jetzt wird."
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