Neskovic fordert Wiederaufnahme des BND-Ausschusses

Wolfgang Neskovic im Gespräch mit Marcus Pindur · 24.07.2009
Der stellvertretende Vorsitzende der Linken-Bundestagsfraktion, Wolfgang Neskovic, hat sich nach dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts für eine erneute Sitzung des BND-Untersuchungsausschusses ausgesprochen.
Marcus Pindur: War die ehemalige rot-grüne Bundesregierung am Irakkrieg doch beteiligt, entgegen ihrer erklärten Politik. Hat der BND im Vorfeld dieses Krieges Informationen an die amerikanischen Geheimdienste weitergegeben? Warum ließen der damalige Kanzleramtsminister und Geheimdienstkoordinator Steinmeier und der grüne Außenminister Fischer den Deutsch-Türken Murat Kurnaz über Jahre in Guantanamo schmoren? Alles Fragen, die der sogenannte BND-Untersuchungsausschuss beantworten sollte. Ein Abschlussbericht liegt vor, aber besonders aussagekräftig ist der nicht. Und das unter anderem, weil die Bundesregierung Akten zurückhielt oder die Aussage verweigerte. Das, so das Bundesverfassungsgericht gestern, war nicht zulässig, jedenfalls nicht ohne nähere Begründung. Ich begrüße jetzt den Bundestagsabgeordneten der Linken und Mitglied im BND-Untersuchungsausschuss, Wolfgang Neskovic. Guten Morgen!

Wolfgang Neskovic: Schönen guten Morgen!

Pindur: Ihr Kollege Max Stadler von der FDP hat schon eine erneute Sitzung des Untersuchungsausschusses beantragt, schließen Sie sich dem an?

Neskovic: Ja, das ist unvermeidlich, das ist zwingend, weil der gesamte Untersuchungsausschuss darunter leidet, dass wesentliche Informationen von der Regierung verfassungswidrig dem Ausschuss vorenthalten worden sind, und natürlich setzt ein Erkenntnis voraus, dass umfassend ermittelt worden ist. Das ist aufgrund der verfassungswidrigen Weigerung der Regierung nicht geschehen. Und deswegen muss noch bis zum Ablauf dieser Legislaturperiode das Notwendige versucht werden, um hier Aufklärung zu betreiben.

Pindur: Der Ausschussvorsitzende Siegfried Kauder von der CDU hat aber gesagt, der Auftrag des BND-Untersuchungsausschusses sei abgeschlossen und den könne man auch nicht wieder einberufen.

Neskovic: Ja, das ist nicht frei von Rechtsirrtum. Ich würde ihm erzählen, sich ein wenig genauer mit der Materie auseinanderzusetzen. Es gibt keine Vorschrift, die es verbietet, es gibt nur eine absolute Grenze, das ist das Ende der Legislaturperiode. Ich verweise darauf, dass der Untersuchungsausschuss selbst einen Verfahrensbeschluss gefasst hat, nach dem die Akten erst vernichtet werden dürfen, wenn die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergangen ist. Die ist jetzt ergangen, damit hat der Untersuchungsausschuss selbst zum Ausdruck gebracht, dass das Verfahren so lange nicht beendet ist. Und worauf auch juristisch hinzuweisen ist, im Grundgesetz ist ausdrücklich eine Bestimmung, wonach die Vorschriften über die Strafprozessordnung analog anzuwenden sind, also sinngemäß anzuwenden sind. Und auch im staatsanwaltschaftlichen Untersuchungsverfahren ist es so, dass mit Abschluss der Ermittlungen – das ist richtig formalisiert –, dennoch, wenn nach Abschluss der Ermittlungen neue Gesichtspunkte auftreten, die Ermittlungen wieder aufgenommen werden können.

Pindur: Kommen wir mal zu dem Urteil selbst. Das Bundesverfassungsgericht hat ja nicht etwa die Zurückhaltung einiger Akten gerügt, sondern eine nicht ausreichende Begründung dafür. Was sollte sich jetzt also ändern, wenn die Bundesregierung einfach nur eine weitere Begründung hinterher schiebt?

Neskovic: Ja, das war ja unser Ansinnen. Wir haben uns über die Arroganz der Regierung, nicht einmal eine Begründung für ihre Informationsverweigerung zu geben, eben geärgert, und wir haben natürlich also auch die damit gepaarte Verfassungsignoranz gerügt. Die Regierung hat in vielen Fällen, wo man davon ausgehen konnte, dass die Informationen wichtig sind, wenn wir sie dann bekommen, einfach schlicht und ergreifend gesagt, das ist der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung oder das Staatswohl verbietet es. Es hat uns also eigentlich nur Begriffe entgegengehalten, ohne die jetzt mit juristischem Inhalt zu füllen. Das haben wir gerügt, und insoweit ist uns das Bundesverfassungsgericht voll gefolgt. Wenn jetzt die Begründungen gegeben werden müssen, würde ich sagen, dass 95 Prozent der Informationsverweigerung einfach entfallen würde, weil es dafür keine tragfähige Begründung gibt, gemessen an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Und in den fünf Prozent übrigen Fällen könnte man sich wieder darüber streiten, ob die Begründung dann, wenn sie überhaupt bestimmten formalen Maßstäben gerechnet, ob sie dann noch inhaltlich überzeugend ist. Ich will nur eins sagen: Menschenrechtsverletzungen, Foltervorwürfe oder die Verletzung von Rechtsvorschriften kann nie geheimhaltungsbedürftig sein, das kann nie im Sinne des Staatswohls sein. Und deswegen bin ich der Meinung, dass all die Informationen, die wir in dem Zusammenhang bräuchten, wir auch bekommen würden, wenn dann diese Begründung kommt. Dann könnten wir in einem zweiten Schritt wieder vor dem Verfassungsgericht streiten, ob eine Verweigerung der Information verfassungsgemäß ist oder nicht.

Pindur: Stärkt das jetzt den Bundestag tatsächlich als demokratische Institution dauerhaft oder ist das doch sehr auf diesen BND-Untersuchungsausschuss bezogen, dieses Urteil?

Neskovic: Nein, das Urteil hat eine ganz weitreichende Wirkung, weil die Regierung ja bisher dieses Verhalten so an den Tag gelegt hat, in der – man muss ja nur die Schriftsätze der Bundesregierung lesen – in der sicheren Erwartung, man könne einfach solche Zauberwörter wie Staatswohl in den Raum stellen und dann würde eigentlich jeder schweigen. Dass in einer Demokratie die Dinge anders funktionieren, das ist eben ein vordemokratisches Denken, das daran orientiert ist, dass also im Grunde genommen der absolutistische Herrscher sagt, ich will nicht. Mehr hat die Regierung eigentlich nicht gesagt. Und dass man sie an solche Selbstverständlichkeiten erinnern muss, verfassungsrechtlich erinnern muss, dass man hier die notwendigen Begründungen, plausible Begründungen geben muss, die sich an bestimmten Maßstäben orientieren, das hat die Bundesregierung jetzt lernen müssen, und das gilt für alle zukünftigen Fälle. Und damit sind natürlich die Parlamentsrechte enorm gestärkt, weil man jetzt wirklich in eine plausible Begründung eintreten muss.

Pindur: Einen Teil der Begründung hat die Bundesregierung aber geliefert, indem sie gesagt hat, da sind auch andere Nachrichtendienste – anderer demokratischer Staaten im Übrigen – von betroffen und wir können da nicht einfach mit den Informationen so herausrücken, dann würden wir die Zusammenarbeit gefährden. Das ist doch nicht von der Hand zu weisen?

Neskovic: Das hat überhaupt keine verfassungsrechtliche Relevanz. Also entscheidend ist, was unsere Verfassung sagt, und nicht, was andere Geheimdienste sagen. Es gibt keine Verträge zulasten unserer Demokratie mit anderen Geheimdiensten, in denen praktisch die parlamentarische Kontrolle entzogen wird, weil andere Geheimdienste das so wollen. Wenn andere Geheimdienste uns Informationen geben, dann arbeiten unsere Geheimdienste damit und dann unterliegen sie auch unserer Kontrolle des Parlaments. Das ist auch eine weitere Argumentation der Regierung, die vorm Verfassungsgericht nicht standhalten wird.

Pindur: Wolfgang Neskovic, Bundestagsabgeordneter der Linken und Mitglied im BND-Untersuchungsausschuss. Vielen Dank für das Gespräch!

Neskovic: Danke.