Nero-Ausstellung in Trier

Vom Muttermörder zum Softporno-Star

Marcus Reuter, Direktor des Rheinischen Landesmuseums in Trier, posiert neben der Kopie eines Kopfes des römischen Kaisers Nero (37 - 68 n. Chr.).
Marcus Reuter, Direktor des Rheinischen Landesmuseums in Trier, posiert neben der Kopie eines Kopfes des römischen Kaisers Nero (37 - 68 n. Chr.). © dpa/ picture-alliance/ Harald Tittel
Von Anke Petermann · 09.05.2016
Kunst, Dekadenz und Grauen: Trier bereitet sich auf die erste Nero-Ausstellung in Mitteleuropa vor. Die Sonderschau "Nero - Kaiser, Künstler und Tyrann" will den Römer in neuem Licht zeigen. Umfassend beleuchtet sie seine architektonischen Hinterlassenschaften und sein Image im heutigen Kino.
Ein paar Minuten vor zehn - noch hat das Rheinische Landesmuseum gar nicht geöffnet. Mit langen Schritten strebt ein junger Mann auf den Trierer Archäologen-Tempel zwischen kurfürstlichem Park und belebter Hauptstraße zu:
"Wir kommen aus New York City. Ich habe auf dem College alte Geschichte als Hauptfach gewählt, also viel römische Geschichte studiert. Meine Eltern sind nach Wiesbaden gezogen. Und ich wollte diese römischen Ruinen sehen. Trier hat die besten römischen Siedlungszeugnisse, die besten Badeanlagen nördlich der Alpen, sagt man. Deshalb wollen wir auch das Museum sehen. Es heißt, sie haben auch den größten römischen Goldschatz. Also, ich wollte so viele römische Kunstwerke wie möglich sehen."
Den zweiten Tag ist Ben Crispan in der Stadt unterwegs. Und schon am ersten hat er an römischem Kulturerbe besichtigt, was in die Öffnungszeiten zwischen neun und achtzehn Uhr passte:
"Ich habe alle Badeanlagen gesehen, wir haben das Amphitheater besichtigt und auch die römische Brücke und das Stadttor. In den anderen Museen waren wir auch schon. Das Stadttor, die Porta Nigra, war erstaunlich."

Triers Porta Nigra begeistert Touristen und Einwohner

Triers Wahrzeichen aus tonnenschweren Quadern. Im zweiten Jahrhundert nach Christus in freundlichem Sandstein-Gelb erbaut. "Nigra", also schwarz, erst im Lauf der Jahrhunderte geworden und erst im Mittelalter so genannt. In erster Linie repräsentatives Stadttor, kein Verteidigungsbauwerk. Gerlinde Hauer wohnt gegenüber und hat sich an der Porta immer noch nicht satt gesehen.
"Da kommen Millionen Leute und wollen sich die anschauen, und ich hab‘ die jeden Tag vor mir. Und - ja - was die Porta auch hinter sich hat, dass sie Gott sei Dank nicht abgerissen wurde, weil sie halt ne Kirche war, die Simeonskirche, Gott sei Dank, im 11. Jahrhundert, das ist schon toll."
Die sakrale Umnutzung rettete die Porta Nigra, bestätigt Anne Kurtze von der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz: vor dem mittelalterlichen Hang zum Recycling nämlich.
"Man brauchte Baumaterial, das heißt, die alten Gebäude wurden wirklich dann Stück für Stück auseinandergenommen, als Steinbruch benutzt."
Dabei machte man auch vor der Marmor-Innenauskleidung der Palast-Aula nicht halt, erzählt die Kunsthistorikerin auf dem Weg zum größten erhaltenen Hallenbau der Antike. 67 Meter lang, 33 Meter hoch - so riesig, dass die ganze Porta Nigra reinpassen würde. In Triers spätantiker Blütezeit als Kaiserresidenz entstand diese Empfangs- und Audienzhalle. Lange nach Nero, dem Landes-, Dom- und Stadtmuseum vom Wochenende an eine große Ausstellung widmen. Wahrscheinlich ließ Konstantin der Große die Prachthalle errichten. "Konstantin-Basilika" nannte man die Palast-Aula aus dem vierten Jahrhundert in der Neuzeit. Heute ein schlichter rot-brauner Ziegelbau, ohne Marmor und römische Wandheizung, genutzt als evangelische Kirche. Umfunktioniert zur erzbischöflichen Burg entkam auch die Basilika der mittelalterlichen Wiederverwertung.
Kurtze: "Für uns ist es natürlich sehr schmerzhaft, dass so auch ganz viele Kunstwerke verschwunden sind, gerade die aus Marmor, die in den Kalköfen verbrannt wurden, um Kalk zu gewinnen für Mörtel und andere Bauzwecke. Trier war ja dann mit dem Bischofssitz eine sehr christlich geprägte Stadt, also man hat sicherlich Vieles dann auch abgelehnt. Also, wir haben ein Exponat, wo wir das auch festmachen können. Das ist eine Venus-Statue, eine römische, die dann rituell von Pilgern mit Steinen beworfen wurde, wo man wirklich sagen kann, da ging es darum, die heidnische Welt ganz bewusst abzulehnen."

Zu Neros Zeit war Trier größte Stadt nördlich der Alpen

Gegründet wurde Trier als "Augusta Treverorum" im Jahr 17 vor Christus - als Plan-Metropole nach Schachbrettmuster. Während Nero zwischen 54 und 68 nach Christus in Rom herrschte, wuchs Trier zur größten Stadt nördlich der Alpen mit fünfstelliger Einwohnerzahl heran.
Feste Steinhäuser mit Fußboden-Mosaiken und Wandmalereien ersetzten das Fachwerk der Gründungsphase. Die romanisierten Treverer demonstrierten ihre Kunstbeflissenheit und ihre Anpassung an die Kultur der Eroberer, ob sie nun zur politischen Elite gehörten oder Händler und Handwerker waren.
Kurtze: "Auch damals war Trier eben schon eine aufstrebende Stadt von großer Bedeutung, übrigens auch keine militärische Bedeutung, das hier war immer eine zivile Stadt, auch eine blühende Handelsstadt."
Die Keramikbecher aus- und Gewürze einführte. "Urbs opulentissima", äußerst wohlhabende Stadt, nannte ein römischer Geograph Trier schon im Jahr 44 nach Christus, da war Nero noch ein Kind. Belegen lässt es sich nicht, aber als Kaiser wird er von der größten römischen Stadt nördlich der Alpen gewusst haben. Rund hundert Jahre nach Neros Tod setzte Triers erste Glanzzeit ein. Damals entstanden viele der Gebäude, die Millionen Besucher heute faszinieren. So die sechs Kilometer lange Stadtmauer mit der Porta Nigra als einzigem erhaltenen Tor.
Was dafür an riesigen Steinquadern mit mühlengetriebenen Bronzesägen zurechtgeschnitten wurde, hat auch den jungen New Yorker Ben Crispan tief beeindruckt.
"Und erst das Amphitheater! Das war einfach verblüffend zu sehen, wie groß das war und wie gut erhalten es ist. Das haben die fantastisch hingekriegt. Sogar unter der Arena ist es erhalten. Sich vorzustellen, da unten gewesen zu sein - das ist so unglaublich angsteinflößend. An die Leute zu denken, die da unten waren und wussten, was ihr Schicksal sein würde - das muss schrecklich gewesen sein!"
Steinkammern zur Unterbringung von Mensch und Tier, dunkle Gänge und Verliese - Schaudern im Gedanken an Gladiatorenkämpfe und Tierhetze. Faszination und Grauen - in Trier liegen sie eng beieinander.

Eine Schau mit allem, was es über Nero gibt

Kein Wunder vielleicht, dass man hier jetzt wagt, worauf die römischen Museen in Mainz und Köln noch nicht kamen, nämlich alles zusammenzutragen, was es an Zeugnissen über Nero gibt, berüchtigt als grausamster römischer Kaiser.
Eine Wand mit eingelassenen Exponaten der Sonderschau "Nero - Kaiser, Künstler und Tyrann" im Rheinischen Landesmuseum Trier.
Einige von mehr als 700 Ausstellungsstücken in "Nero - Kaiser, Künstler und Tyrann"© dpa/ picture-alliance/ Harald Tittel
Die Idee, Nero als "Künstler, Kaiser und Tyrann" in all seinen Facetten zu präsentieren, brachte Marcus Reuter schon aus Xanten am Niederrhein mit. Dort hatte er bis 2012 das Römermuseum geleitet. Schon bald nach seinem Wechsel ans Rheinische Landesmuseum in Trier machte sich der neue Direktor daran, in Rom, Paris, London und St. Petersburg zu recherchieren, welche Exponate verfügbar wären. Reuters Ziel ist, eine europaweite museale Lücke zu schließen.
"Es gab eine kleine Nero-Ausstellung in Rom vor einigen Jahren. Die hat sich aber weniger mit Neros gesamtem Leben, seiner Herrschaft, befasst, als vielmehr mit den baulichen Zeugnissen, die in Rom selbst noch erhalten sind. Insofern erstaunt es eigentlich, dass zu dem bekanntesten römischen Kaiser bisher noch nie eine Ausstellung gemacht worden ist, die sein Leben komplett darstellt, die darüber hinaus aber auch sein Nachleben im Roman, im Kino bis hin zur Malerei thematisiert, also so einen facettenreichen Überblick, den gab's bislang noch nie. Und schon gar nicht in Mitteleuropa."
Jetzt aber in Trier. Wo wenn nicht hier, in der einstigen Hauptstadt des weströmischen Reiches, heute hoch verschuldete Mittelstadt ohne ICE-Anschluss, und vielleicht deshalb so begierig nach Superlativen. In der Spätantike mit bis zu 100.000-Einwohnern "Roma secunda" genannt, zweites Rom. Heute laviert Trier mit etwa derselben Einwohnerzahl stets an der Grenze zur provinziellen Bedeutungslosigkeit.

Auch 2000 Jahre alte Agrippina-Büste aus Kopenhagen dabei

Aber nicht in diesen Tagen. Da wird Trier zum Mekka für Museumkuratoren aus 15 Ländern. Kunst-Kuriere der feinsten europäischen Adressen geben sich die Klinke in die Hand. Der Aufbau der Sonderschau ist top secret. Nur zu einem kurzen Einblick waren Journalisten zugelassen. Und zwar, als Transporteure eine Art Mini-Kühlschrank hinter der Nero-Nische abstellten.
"Also, wir haben hier für den Transport eine Klima-Kiste."
Kuratorin Anne-Marie Nielsen (r) und Restaurator Ludwig Eiden (2.v.r) begutachten im Rheinischen Landesmuseum in Trier die Büste der Agrippina minor.
Kuratorin Anne-Marie Nielsen (r) und Restaurator Ludwig Eiden (2.v.r) begutachten im Rheinischen Landesmuseum in Trier die Büste der Agrippina minor. © dpa/ picture-alliance/ Harald Tittel
Ludwig Eiden, Restaurator im Landesmuseum, öffnet die styropor-ausgekleidete Klima-Kiste mit dem Akku-Schraubenzieher. Anne Marie Nielsen begleitet als Kuratorin der Ny Carlsberg Glyptotek eine Leihgabe des berühmten Kopenhagener Kunstmuseums. Mit Argusaugen schaut sie zu, wie der Restaurator mit den knallblauen Kunststoff-Handschuhen die antike Büste der Agrippina mit geübtem Griff aus der Kiste und auf einen Tisch hievt. Nielsen hockt sich vor den Tisch und leuchtet mit der Taschenlampe über Agrippinas Marmor-Gesicht. Neben der Büste liegen Fotos, auf denen die Kopenhagener Kuratorin die winzigen Macken an dem Kunstwerk markiert hat. Gemeinsam mit Eiden geht sie das Zustandsprotokoll durch:
Eiden: "Ja, Sie haben ja eingezeichnet schon die rezenten Verletzungen."
Nielsen: "Dort und hier."
Eiden: "Die Verfärbung, ja genau."
Nielsen: "Und ein bisschen hier."
Keine Kratzer dazu gekommen, auf dem Weg von Kopenhagen nach Trier. Der Restaurator und die Kuratorin sind zufrieden und zücken die Kugelschreiber.
Nielsen: "Alles ist schön. Und wir unterschreiben."
Eiden: "Ja, genau, wollen Sie anfangen?"
Nielsen: "Ja."
Mit ihrer Unterschrift bestätigt die dänische Museumskuratorin,
"dass alles ist: perfekt."
Eiden: "Das gleiche wird beim Abbau gemacht, dann wird nochmal der Zustand kontrolliert, wenn wir's einpacken."
Viel Aufhebens um das 2000 Jahre alte Star-Objekt aus Dänemark. Kaiserin Agrippina verlässt Kopenhagen schließlich nicht oft, sagt die Kuratorin der Glyptotek:
"Selten, selten. Wir wünschen nur, dass sie reist, wenn es sehr wichtig ist, und Trier ist wichtig! So: Agrippina ist hier. Wir wünschen hier zu sein, weil Nero und alle die anderen hier sind. So - die Mutter muss auch hier sein."
Neros Mutter und Mentorin, bekannt auch als "Kaiserin aus Köln", die in Rom im kaiserlichen Haushalt aufwuchs. Agrippinas Lebensziel war, so die Trierer Kuratorin Korana Deppmeyer,
"ihren einzigen Sohn Nero auf den Thron zu bringen. Das schafft sie auch, mit großem Machtkalkül und mit vielen Mühen installiert sie peu à peu ihren jungen Sohn, und er wird im zarten Alter von 16 Jahren dann im Jahr 54 römischer Kaiser."

Alleinstellungsmerkmal Neros: Er ermordete seine Mutter

Und sie, die Machtbewusste, wird später sein Mordopfer. Als Muttermörder hat Nero auch unter grausamen römischen Herrschern ein Alleinstellungsmerkmal. Doch die Trierer Sonderschau will die beiden Seiten der Medaille zeigen. Agrippina war dominant und mischte sich in Neros Regierungsgeschäfte ein, merkt Marcus Reuter an, der Direktor des Landesmuseums.
"Das führt sehr schnell zu Konflikten zwischen den beiden. Und eigentlich ist schon nach wenigen Jahren klar, dass einer von beiden die politische Bühne nicht wird verlassen können. Und man kann den Muttermord nun auch so sehen: Wenn Nero nicht reagiert hätte, hätte wahrscheinlich auch Agrippina irgendwann versucht, Nero zu besiegen."
Ein Militarist und Eroberer war der gewalttätige Nero aber nicht. Er führte keine blutigen Kriege und hatte keinen Blick für die gallische Grenzregion, zu der Trier damals gehörte.
"Also, Nero selbst war nie in Trier. Das müssen wir zugeben. Er war nie nördlich der Alpen."
Sagt die Kunsthistorikerin Anne Kurtze beim Spaziergang entlang des römischen Welterbes. Neros Abwesenheit - vielleicht ein Fehler.
"Er hatte für dieses Gebiet kein Interesse, auch kein politisches Interesse. Und das rächt sich dann nach seinem Tod, da ist die Nachfolge nicht geklärt, und unter anderem finden hier auch sehr grausame Bürgerkriege um die Nachfolge statt."

Auch Konstantin der Große hatte Blut an den Händen

Die keltischen Treverer an der Mosel schließen sich dem Aufstand der germanischen Bataver am Niederrhein an, werden aber von den römischen Truppen des Kaisers Vespasian im Jahr 70 vernichtend geschlagen. Glücklicherweise, meint die Porta Nigra-Anwohnerin Gerlinde Hauer, mit Blick auf Triers zweite, spätantike Glanzzeit, in der unter anderem die prächtigen Kaiserthermen als Badeanlage entstanden.
"Die Römer haben hier so viel Gutes gemacht, sie haben die Kultur hierher gebracht. Was die Kelten sicher nit so geschafft hätten."
Doch dass ihre Heimatstadt nun über ein halbes Jahr lang ausgerechnet dem umstrittensten der römischen Herrscher geballte öffentliche Aufmerksamkeit verschafft, damit fremdelt Gerlinde Hauer.
Obwohl oder gerade deshalb besucht sie mit Freundinnen einen Vortrag der drei Museumsdirektoren in der Trierer Volkshochschule schräg gegenüber vom imposanten Dom, der mit zum Weltkulturerbe gehört. Dass der Schurke Nero kein Kriegsherr, dafür aber Künstler war, mildert Hauers Abneigung kaum.
"Er war ganz sicher ein Künstler. Manchmal denke ich, er war sogar ein bisschen schizophren. Aber er hatte sicherlich auch gute Seiten. Aber wenn man seine Mutter umbringt, also wissen Sie, da hört's bei mir auf! Also, dass man so jemandem noch eine Ausstellung macht!"
Und ihm damit Ehre erweist! - Gerlinde Hauer weiß nicht so recht, ob sie damit einverstanden ist und die Schau überhaupt sehen will. Nero, der Christenverfolger, ist nicht ihr Favorit. Konstantin, der Trier Anfang des vierten Jahrhunderts zur Hauptstadt des gallischen Sonderreichs machte und dem Christentum den Weg bereitete, schon eher. Moralische Kriterien bestimmen aber nicht die Themenauswahl eines bedeutenden archäologischen Museums. Das Recht auf eine differenzierte Betrachtung gesteht Chefarchäologe Reuter auch dem einzigen Muttermörder der römischen Geschichte zu. Abgesehen davon hatten alle diese Kaiser Blut an den Händen.
"Und selbst Konstantin der Große, auch er hat nicht davor zurück geschreckt, seine eigene Ehefrau hinrichten zu lassen und in der eigenen Familie Säuberungswellen durchzuführen, wenn das politisch für ihn notwendig erschien. Wenn man sich das immer mal wieder vor Augen hält, relativiert sich das Bild Neros schon ein klein wenig. Gleichwohl sind auch unter Nero Senatoren zu Tode gekommen, zum Selbstmord gezwungen worden. Das wollen wir auch in der Ausstellung gar nicht verschweigen. Ganz im Gegenteil, wir werden einen Raum speziell nur Neros negativen Seiten widmen, auch persönliche Schicksale von Opfern aufzeigen."
Im sogenannten Tyrannen-Raum nämlich, mit einer antiken kopflosen Toga-Statue in der Mitte.
"Und da, wo sich der antike Kopf ursprünglich befunden hat, dort blenden wir auf einer Tafel dahinter immer wieder Namen ein und deren Schicksal, um mal konkret zu zeigen, wir können eine ganze Reihe von Namen, von Vorgängen konkret benennen. Und so erfährt der Besucher dann schon eine ganze Reihe von Einzelschicksalen von Leuten, die wegen Kleinigkeiten getötet wurden, andere durchaus aus reinem Machterhalt, die Nero definitiv nach dem Leben getrachtet haben. Und wir denken, dass wir auf diese Art und Weise das Thema ganz gut in Szene gesetzt haben."

Original-Wandmalereien aus Neros Palast

Ben Crispan, der New Yorker Trier-Fan, ist ein paar Tage zu früh da, um das nachzuprüfen. Er wird die große Ausstellung verpassen.
"I will, unfortunately - unfortunately!"
"Unglücklicherweise." Dabei hat der College-Absolvent in Alter Geschichte schon solides Vorwissen und kennt die zwei Seiten von Nero. "Verrückt, brutal, paranoid" nennt er die eine.
"Aber in Rom hat er viele Projekte gehabt, er überholte viele öffentliche Gebäude, und der Palast, den er in Rom baute, ist vermutlich einer der schönsten Paläste dieser Ära."
"So he had qualities?" - Hatte er also Qualitäten?
"Ich würde sagen, er hatte nichts dagegen, römisches Geld auszugeben, um schöne Bauten zu errichten, ich weiß nicht, ob das eine Qualität ist!"
In Rom war Crispan noch nicht. Hätte er bis Monatsmitte in Trier bleiben können, dann hätte der studierte Historiker einen Eindruck des nicht erhalten gebliebenen Nero-Palastes mitnehmen können. Marcus Reuter lupft ein wenig den Vorhang vor der geheimen Ausstellungs-Architektur im Rheinischen Landesmuseum:
"Wir haben eine Anmutung der Domus Aurea, dass man eine Vorstellung hat, wie die Räume mal ausgehen haben, in denen Nero gelebt hat: Und diese Anmutung ergänzt sich wunderbar mit den originalen Fundstücken. Wir haben also originale Wandmalereien aus Neros Palast, wir haben originale Skulpturen aus Neros Palast, aber erst diese wunderbare Inszenierung der einzelnen Räume bringt dann die Exponate zum Sprechen."
Dorothee und Oskar Gabriel lauschen dem Vortrag von Marcus Reuter und den beiden anderen beteiligten Museumsdirektoren. In ihrem Bekanntenkreis sind sie demnächst als Nero-Kundige gefragt, Geschichtsinteressierte aus allen Himmelsrichtungen haben sich bei dem Rentner-Ehepaar zum gemeinsamen Ausstellungsbesuch angesagt.
Dorothee Gabriel: "Mindestens vier Gruppen kommen von außerhalb, die reisen teilweise aus Hamburg an."
Oskar Gabriel: "Die kommen wegen der Ausstellung."
Dorothee Gabriel: "Die kommen jetzt speziell wegen der Ausstellung. Das ist ja eine relativ weite Anreise. Und das ist ja doch schon was Besonderes, da kommt man nur, wenn man sich was Besonderes erwartet, würde ich mal sagen."
Oskar Gabriel liest gerade die taufrische Nero-Biografie des Stuttgarter Althistorikers Holger Sonnabend. Den VHS-Vortrag der Trierer Museumsleiter hält er aber auch für ein gutes Informationsangebot:
"Wir wollen das jetzt einfach mal auf uns wirken lassen und dann schauen, was wir schwerpunktmäßig machen werden."
Dorothee Gabriel: "Man hat ja immer nur Negatives von ihm gehört, und das prägt sich ein, ist ja klar. Und jetzt lass‘ ich mich mal überraschen, welche andere Facetten der Herr noch aufzuweisen hat."
Wer sich auf Nero einlässt, erfährt in der Ausstellung, dass sein schlechter Ruf als Kaiser vermutlich mit seinen künstlerischen Ambitionen zusammenhing.
"Er ist öffentlich als Sänger aufgetreten, als Schauspieler", erzählt Museumsdirektor Reuter.
"Das waren Dinge, die natürlich ein römischer Kaiser normalerweise nicht macht, und die Oberschicht war völlig entsetzt, in deren Augen war Nero als Kaiser untragbar. Das einfache Volk fand das grandios, was Nero gemacht hat, aber es war natürlich ein Tabubruch ohnegleichen."
Bei Tacitus, Sueton und Cassius Dio, den maßgeblichen Meinungsmachern des ersten und zweiten Jahrhunderts, war Nero als Herrscher unten durch. "Als wenn die Queen ins Dschungel-Camp zöge", merkte einer von Reuters Kollegen an.
"Das trifft‘s, glaube ich, ganz gut. Man muss dazu noch wissen, dass in der Antike Musiker und Schauspieler in einem eher zwielichtigen Milieu angesiedelt waren, also das war eine gesellschaftlich eher dubiose Gruppe, und wenn sich da der oberste Repräsentant des Imperium Romanum in solchen Kreisen bewegte, war das natürlich doppelt skandalös."
Sein Künstlertum museal aufzubereiten - eine Herausforderung.
Reuter: "Von seinen Gedichten, Gesängen sind nur ganz wenige Bruchstücke erhalten, da haben wir aber keine Noten dazu. Was er komponiert hat, ist leider nicht erhalten. Man kann sich dem Thema aber durchaus nähern. Man weiß, dass Nero Wasserorgeln konstruiert hat, in seinen letzten Tagen, als die Aufstände in Gallien schon ausgebrochen sind und die der ersten Meldungen in Rom einlaufen, da soll er sich vorwiegend mit Wasserorgeln beschäftigt haben, um den Klang zu verbessern, und solche Wasserorgeln hat man archäologisch gefunden, auch nachgebaut. Diese Musik, diese Töne, die etwas anders klingen als heutige Orgeln, die lassen wir in der Ausstellung schon erklingen, o dass man zumindest so ein bisschen in die Musikwelt zur Zeit Neros eintauchen kann, was für Klänge das waren."
Eine "Anmutung" gibt die Ausstellung, formuliert Marcus Reuter so vorsichtig wie schon bei der Domus Aurea. Dass Nero seinen goldenen Palast nach dem Brand Roms mitten in das abgefackelte Umfeld klotzte, ließ bei vielen Zeitgenossen nur eine Deutung zu: der Kaiser habe den Brand selbst gelegt. Marietta Horster, Mainzer Professorin für Alte Geschichte, hat darüber im Katalog der Triere Nero-Ausstellung geschrieben. Die Gerüchte seien wohl gezielt gestreut worden.
"Allein schon sozusagen mit dem ersten Spatenstich wurde einfach deutlich, was da an Ressourcen und - heute sagen wir - Manpower reinging, also, all die vielen Bauarbeiter, die für diese Villenanlage, für die Anlage des Parks eingesetzt wurden, konnten nicht gleichzeitig an dem Neuaufbau der runtergebrannten Stadt Rom mitarbeiten. Dass dann solche Gerüchte sich hartnäckig hielten, das ist vollkommen klar."

Dommuseum Trier beleuchtet den Christenmörder Nero

Genauso hartnäckig machte Nero die Christen für den Brand verantwortlich und erwarb zusätzlich zum Schurkenmerkmal "Muttermörder" noch das des Christenverfolgers. Dieses Kapitel der Nero-Biografie schlägt das Dommuseum auf. Direkt neben dem Trierer Dom, der selbst die Reste der ersten frühchristlichen Kirche in Deutschland enthält. Im Rom Neros hatten die Christen soeben erst Fuß gefasst - der ideale Sündenbock. Anstatt an den öffentlichen Opfer- und Kulthandlungen auf den städtischen Plätzen teilzunehmen, wie sich das gehörte, trafen sich die Angehörigen dieser seltsamen Sekte in dunklen Hinterzimmern privater Wohnhäuser, so umreißt Markus Groß-Morgen als Direktor des Dommuseums die Meinung der römischen Mehrheitsgesellschaft.
"Und sie haben dort ein Liebesmahl gehalten, sie haben Nächstenliebe propagiert, sie haben den Leib Christi geteilt, das waren alles Dinge, die zum Missverständnis einluden. Man hat die Nächstenliebe auch in Richtung sexueller Ausschweifungen verstanden, man hat den Leib Christi, man hat also teilweise wirklich Kannibalismus darunter verstanden."
Der Sekten-Glaube mit missionarischer Komponente irritierte die Römer. Ein Fundstück vom römischen Palatin-Hügel belegt das im Ausstellungsteil im Trierer Dommuseum, erläutert der Direktor.
Groß-Morgen: "Eine Kritzelei oder ein Graffito von einer Hauswand. Dort ist ein Gekreuzigter dargestellt mit einem Eselskopf. Daneben steht eine Figur und eine Inschrift darauf besagt, dieser Mensch, der da steht, also 'Alexaminos‘ heißt er auf der Inschrift, 'betet seinen Gott an‘, also diesen eselsköpfigen Gekreuzigten."
Ein Exponat, positioniert genau an der Nahtstelle zwischen den beiden Kapiteln über römische Religion und über das Christentum.
Ein paar Schritte vom Dom quer über den belebten Trierer Markt machen deutlich: mittelalterliches Gassengewirr hat das römische Planquadrat ersetzt. Auf die Porta Nigra aber führt noch schnurgerade die alte Römerstraße zu. Am antiken Stadttor klebt das mittelalterliche Simeonstift, heute Teil des Stadtmuseums.

Nero als Karikatur, Film-Herrscher und Softporno-Star

In diesem Teil der Sonderschau dürfen alle, die das kritische Hinterfragen des überkommenen Nero-Bildes müde gemacht hat, noch mal im Klischee schwelgen. Denn das Stadtmuseum widmet sich der künstlerischen Rezeption dieses römischen Kaisers. Und die beharrt auf dem Bild des Psychopathen und Brandstifters - vom Mittelalter bis zur aktuellen Zeitungs-Karikatur von Sepp Blatter als Nero, der die FIFA in Brand setzt. Im Entree zu diesem Teil der Sonderschau zeigen Plakate Nero in pathetischen Posen. In Schaukästen hängen sie auf purpurfarbenem Vorhangstoff.
"Das ist ganz bewusst angelehnt an die Kino-Ästhetik der fünfziger Jahre, als die ersten Nero-Filme ins Kino kamen und ihn damit zum bekanntesten Kaiser der Antike gemacht haben",
erklärt Kathrin Schug vom Stadtmuseum.
"Quo Vadis" flackert über einen Bildschirm mit Hörstation. Peter Ustinov - authentischer als Nero selbst, witzelt Elisabeth Dühr, Direktorin des Stadtmuseums.
"Das ist auch das Ergebnis unserer Recherchen, dass diese Popularität ein wirkliches Hollywood-Phänomen ist."
"Lust und Verbrechen" heißt dieser Teil der Sonderschau. "Sex and crime", die Kombination faszinierte schon Neros Zeitgenossen.
"Es sind die Beschreibungen auch seiner sexuellen Eskapaden mit Sklaven aber auch des Umgangs mit seiner Mutter, die schon bei den antiken Autoren eine sehr starke sexuelle Komponente haben",
und in den Filmen der späten sechziger Jahre gern frivol bis softpornografisch aufgearbeitet werden, sagt Kathrin Schug mit Blick auf die Plakate:
"Genau, Nero und die Huren des römischen Reiches."
Nero vom antiken, makellosen Marmor-Jüngling mit Schutzamulett um den Hals bis zum Filmhelden im Softporno - die Spannweite des Trierer Ausstellungsverbundes an drei Orten ist einzigartig. Bis zum nächsten Europa-Besuch des New Yorkes Ben Crispan vergehen wohl noch ein paar Jahre. Trier steht dann wieder auf der Liste des Althistorikers, der zurückfliegen muss, bevor die Schau beginnt.
"Hopefully next time, hopefully next time!"
Da tröstet nur die Hoffnung auf einen Nachholtermin - doch die dürfte vergeblich bleiben. Nero als Ausstellungsthema ist nach Trier wohl erstmal lange passè.
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