Napoleonische Beutezüge

Rezensiert von Günter Kaindlstorfer · 10.04.2011
Napoleon Bonaparte ließ kaum jemanden kalt zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Allgemein nicht bekannt war allerdings, dass er auch ein Kunsträuber war. Die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy hat sich intensiv mit den napoleonischen Beutezügen beschäftigt und eine Studie darüber vorgelegt.
Napoleon hatte große Pläne: Paris sollte den Vorstellungen des französischen Imperators zufolge zur "Weltmetropole des Universalismus" werden. Und zu diesem Zweck plante der geltungssüchige Korse die Einrichtung mehrerer gigantomanischer Institutionen in der französischen Hauptstadt: Ein "universelles Kunstmuseum" gehörte dazu ebenso wie ein "universeller Zoo" und eine "universelle Pflanzensammlung", in der sämtliche Spezies des Planeten gesammelt, erforscht und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollten. Ein wahrhaft imperiales Projekt.

Das Problem: Paris und die Pariser verfügten über zu wenige Kunstwerke, um das "universelle Museum" auch standesgemäß zu füllen. Die Lösung: Napoleons Kommissäre beschlagnahmten Kunstwerke in halb Europa, vor allem in Deutschland, Österreich, Italien und den Niederlanden, und schafften sie nach Paris - Kunstschätze von unerhörtem Wert waren das, wie die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy in ihrer eindrucksvollen Studie herausarbeitet: ägyptische Mumienmasken aus Berlin, römische Büsten aus Potsdam, berühmte Rubensarbeiten aus Köln, monumentale Rembrandts aus Kassel und so weiter, und so weiter. Nicht zuletzt wurde 1806 auch die Quadriga vom Brandenburger Tor geholt und als bildhauerische Trophäe nach Paris verbracht.

Verbrämt wurde der erste systematische Kunstraub der Geschichte mit aufklärerisch-revolutionärer Rhetorik, wie Bénédicte Savoy erläutert:

"Natürlich war das keine bloße Raffgier, sondern hatte einen starken ideologischen Hintergrund, und zwar wurde dieser Kunstraub offiziell im Namen der Freiheit, der Befreiung der Völker und noch mehr der Künste und der Künstler betrieben."

Schließlich waren es ausschließlich die Galerien und Kunstkammern reaktionärer Fürsten sowie kirchliche und klösterliche Sammlungen, die die Franzosen ausräumten. Man wollte, so die napoleonische Diktion, die Kunstwerke den "Gefängnissen der Despoten" entreißen und dem "Land der Freiheit" und dem allgemeinen Nutzen zuführen. Was vermutlich mit ein Grund dafür war, dass prominente deutsche Intellektuelle dem napoleonischen Beutezug durchaus mit Sympathie gegenüberstanden, Alexander und Wilhelm von Humboldt zum Beispiel.

Bénédicte Savoy: "Die deutsche Elite denkt: Okay, wir sind jetzt beraubt worden, aber eigentlich sind unsere Kunstwerke möglicherweise in Paris besser sichtbar, besser konserviert, besser zugänglich, sie sind auch besser vergleichbar mit anderen Kunstwerken. Das waren zwiespältige Reaktionen."

Bénédicte Savoy zitiert in ihrem Buch den Berliner Goethe-Freund Carl Friedrich Zelter, der im Mai 1807 an den Herrn Geheimrat nach Weimar schreibt:

"In diesen Tagen habe ich das Verzeichnis der Kunstsachen, welche Herr Denon für das Pariser Museum ausgesucht hat, gesehen. Der einzige Trost, den man beim Anblick solcher Dinge haben und geben kann ist: dass das Gute für die Welt gehört, es sei, wo es sei, und dass wir dieser schönen Dinge unwürdig waren."

Im Oktober 1807 wurde im Louvre eine triumphale Ausstellung mit den erbeuteten Kunstwerken eröffnet: die französischen und internationalen Besucher konnten sich gar nicht sattsehen an all den Cranachs, Dürers, Altdorfers, Rembrandts und van Dycks, die da ins neue "Musee Napoleon" geschafft worden waren.
Nach der Entmachtung Napoleons 1814/15 wurden die geraubten Kunstwerke zum überwiegenden Teil nach Deutschland und Österreich restituiert. Unter dem begeisterten Beifall antifranzösischer Kreise.

Bénédicte Savoy: "Die, die sehr laut waren für eine Restitution der Kunstwerke, sind die jungen patriotischen Kreise im Rheinland, um Görres herum, die anfangen, in der Presse eine inbrünstige, fiebrige Kampagne zu starten, um die Kunstwerke aus Paris zurückzuholen, weil das nämlich gar keine Selbstverständlichkeit war, weil die deutsche Elite – zum Beispiel die Leute rund um Alexander und Wilhelm von Humboldt – nicht wirklich davon überzeugt waren, dass man diese Kunstwerke aus dem Universalmuseum in Paris wieder wegnehmen sollte.

Das war nicht selbstverständlich. Und deshalb dachten die jungen Patrioten – die Gebrüder Grimm und andere junge Germanisten -, dass man diese Kunstwerke auf keinen Fall in Paris belassen durfte. Die Kunstwerke gehören uns, hieß es, wir wollen sie zurück haben."

Und sie bekamen sie zurück. Der napoleonische Kunstraub und seine Folgen spielten im nationalistischen Diskurs sowohl in Frankreich wie in Deutschland bis weit ins 20. Jahrhundert hinein eine nicht zu unterschätzende Rolle. Deutschnationale Scharfmacher hetzten bis in die Zeit des Ersten Weltkriegs gegen das "französische Gesindel", das sich seine Kultur zusammenstehlen müsse; französische Chauvinisten wiederum zogen immer wieder gegen "deutschen Rachedurst" und "deutschen Revanchismus" vom Leder und hatten dabei vor allem auch die Restitutionen von 1814/15 im Blick.

Auch dieses unrühmliche Kapitel der deutsch-französischen Beziehungen beleuchtet Bénédicte Savoy in ihrer ebenso materialreichen wie glänzend geschriebenen Studie. Ein wichtiges Werk der neueren Kunstgeschichtsschreibung.

Bénédicte Savoy: Kunstraub - Napoleons Konfiszierungen in Deutschland und die europäischen Folgen
aus dem Französischen von Tom Heithoff, Böhlau-Verlag, Wien, Köln, Weimar, 530 Seiten und eine CD-Rom, 49 Euro
Cover: "Bénédicte Savoy: Kunstraub"
Cover: "Bénédicte Savoy: Kunstraub"© Böhlau-Verlag