Musikvideos in Oberhausen

Spielplatz für Filmemacher

Die Sängerin Beyoncé Knowles, 2007
Auch Sängerin Beyoncé Knowles kennt den künstlerischen Reiz des Musikvideos: Gerade hat sie ihr Visual Album "Lemonade" herausgebracht © picture alliance / dpa / epa Paul Buck
Von Ina Plodroch · 09.05.2016
Bei den Oberhausener Kurzfilmtagen wurde auch ein Preis für das beste deutsche Musikvideo vergeben. Man sucht nach einem eigenen künstlerischen Image, die Grenzen zum Kurzfilm sind fließend. Die Sängerin Beyoncé zeigt aktuell, wie es geht.
"Willkommen zum 'MuVi'-Preis. Ein schöner Jahrgang, wie wir finden."
Jessica Manstetten, Leiterin der Musikvideo-Sektion bei den Oberhausener Kurzfilmtagen, eröffnet zum 18. Mal die "MuVi"-Preisverleihung für das beste Musikvideo, das in Deutschland produziert wurde. Kinosaal in Oberhausen, Samstagabend um 22.30, ausverkauft.
"Das erste Video ist 'All Day' für Drunken Masters & Tropkillaz von Andreas Hofstetter."
Genau wie alle anderen 12 Regisseure und Produzentinnen-Teams ist Andreas Hofstetter eher Videokünstler und Filmemacher als professioneller Musikvideoregisseur.
"Das ist ein Terrorsong. Und dann wollte ich visuell was Terrorhaftes machen. Den Internetterror. Trap House eben."

Ein kleines Mädchen verschwindet in der digitalen Welt

Ein kleines Mädchen ist zum ersten Mal im Internet. Im Takt zur Musik öffnen sich Fenster, schließen sich wieder, Katzen, Tabs, Pixelgrafiken rollen über den Bildschirm. Und saugen das Mädchen in die digitale Welt. Faszinierend und beängstigend. Wie das Internet.
"Das Musikvideo ist für mich spannend, weil es für Filmemacher ein krasser Spielplatz ist. Es ist auf drei Minuten nicht so übertrieben teuer, dass man nicht irgendwas Verrücktes machen könnte."
Im 18. Jahrgang des "MuVi"-Preises zeigen sich die Musikvideos aus Deutschland: immer noch konventionell - ohne 360-Grad oder Virtual-Reality-Experimente. Mit abstrakt fließenden Schwarz-Weiß-Tönen, die analoge und digitale Übergänge experimentell visualisieren. Dilettantische Dada-Kunst im DIY-Stil oder Found Footage von Überwachungskameras oder Spielplatz-Szenen. Selten bis nie zu sehen: die Musiker.
"Das kommt daher, dass man über sämtliche Kanäle die Möglichkeit hat, sich zu präsentieren. Und die Gesichter kennt man ja inzwischen sofort."

Spiel mit den Grenzen ästhetischer Vorstellung

Das findet Susanne Steinmassl, Videokünstlerin. Sie hat für die Band "Aloa Input" einen rasanten Internetdrogentrip inszeniert.
"Dadurch sucht man andere Möglichkeiten, sich darzustellen. Ein künstlerisches Image."
Das sieht auch der Musiker Florian Kreier von der Band "Aloa Input" so. Das Video zum Song "Perry" soll nicht unterhalten.
"Es greift über diese Comfort Zone, die ein Mensch hat, hinaus. Das ist etwas, was uns interessiert. Mit Grenzen von ästhetischer Vorstellung zu spielen. Ich glaube in der heutigen Zeit ist es mit Musikmachen nicht getan. Ich glaube, heute muss man das, was man erzählen will, also die Vorstellungen, die man hat, in ganz vielen Medien zum Ausdruck bringen."

Beyoncés Visual Album "Lemonade"

Das scheint sich ja auch Beyoncé mit ihrem Visual Album "Lemonade", das sie gerade herausgebracht hat, gedacht zu haben. Musik alleine reicht nicht, erst durch die Verbindung zu ihrem Film ist ihr Kunstwerk komplett.
Wie beim Video zu "If I Were A Sneaker" von den "Goldenen Zitronen" – ein älterer Song der Band, es geht um europäische Abschottungspolitik. Weil sie den Song immer noch aktuell fanden, haben sie ihn auf englisch und mit diesem neuen Musikvideo nochmals veröffentlicht: Es fügt dem Song eine zweite Ebene hinzu und ist deshalb so reizvoll: Bilder von erfolgreichen und aalglatt glücklichen Menschen im Stile eines Image-Films von Großkonzernen.
Nur dass hier, äußerlich betrachtet, vermeintlich niemand deutsch ist. Nach einer kurzen Durststrecke 2003, 2004, ist das Musikvideo wieder richtig in Form, künstlerisch gesehen, findet Jessica Manstetten. Trotzdem scheint die Bezeichnung "Musikvideo" nicht mehr allen zu gefallen. Erinnert vielleicht zu sehr an Werbefilm zu MTV Zeiten? Jessica Manstetten sagt:
"Ich weiß, dass es auch Musiker gibt, die ihr eigenes Video als Kurzfilm bezeichnen."
Auch eher ein Kurzfilm als ein Musikvideo ist die Visualisierung von Olli Schulz’ Song "Boogieman":
"Gemacht von Jan Bonny. Irgendwie auch Kurzfilm, Männerrituale. Kannst Du was zur Entstehung sagen, zur Idee? Jan Bonny: Nee... ist halt einfach ein Musikvideo letztlich."

Das Online-Publikum wählte "Boogieman"

Nicht mehr, nicht weniger, findet Regisseur Jan Bonny, der sonst Tatorte und Werbefilme dreht. Sein Kurz-Tanz-Film, bei dem die Olli Schulz erst nach drei Minuten singt, und Schauspieler Matthias Brandt charmant bis zur Ekstase tanzt, hat dem Online Publikum am besten gefallen. Und was sagt die Jury?
Musiker Michael Fakesch, Labelmacher Frank Dommert, und die Journalistin Hannah Pilarczyk hat Andreas Hofstettes Internet-Terror-Spektakel am meisten überzeugt.
"Ganz toll war auch dieses persiflieren, diese Overdose des Internets in dem es die totale Reizüberflutung gibt."
In der Entscheidung war sich die Jury einig. Verständlich, nicht weil die anderen elf bedeutend schlechter waren: Die Auswahl extrem vielseitig und gelungen - obwohl niemand Geld mit so einem Video verdient, alle ihr No-Budget oder die kollektive Selbstausbeutung betonen.
Es gibt zwar ganz selten noch diese teuren, mit sechsstelligem Betrag gemachten Clips, erzählt Andreas Hofstetten, aber nicht auf dem "Muvi"-Preis. Man interessiert sich hier für das Abseitige - wenn Musikvideo mehr ist als nur gefilmte Musikerperformance oder Werbefilmchen. Das ist in Deutschland – glaubt man der Auswahl des Preises – vor allem im Indie- oder Nischenbereich
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