Musikkünstler Marsen Jules

Der längste Soundtrack der Welt

Filmrolle
Symbolbild: Filmrolle © picture alliance/dpa/Foto: Daniel Reinhardt
Von Karoline Knappe  · 01.06.2016
Der Klangkünstler Martin Juhls alias Marsen Jules reizt die Grenzen des Mach- und Hörbaren spürbar aus – vor allem, was die Länge seiner Kompositionen angeht. 2014 hat er ein 24 Stunden langes Album geschrieben, derzeit arbeitet er an einem Soundtrack zu einem 720-Stunden-Film.
Martin Juhls alias Marsen Jules baut Klangflächen, in die sich der Hörer hineinsinken lassen kann. Minimalistische Klangflächen, deren Rhythmen sich gegeneinander verschieben – und das geschieht vor allem: langsam.
"Und diese Rhythmen, die ziehe ich sehr, sehr deutlich in die Länge, ich arbeite da teilweise mit Abständen von Minuten, die dann gegeneinander arbeiten, und da fängt es dann an, für mich auch richtig spannend zu werden, wo ein Rhythmus da ist, wo eine Wiederholung da ist und dieses Gefühl davon aber gänzlich verschwindet, dass eigentlich das Gefühl von Zeit ausgehebelt ist."
Es geht ihm um einen Prozess der Auflösung und um ein Ausloten der Grenzen zwischen Wiederholung und Chaos. Dabei nutzt er das Prinzip der generativen Komposition, ein Vorgehen, bei dem ein Stück so arrangiert und komponiert wird, dass es sich quasi selbst spielt.
"Da ist eigentlich die Kunst dabei, das so zu machen, dass es für einen selber eine gewisse Unvorhersehbarkeit hat, dass man immer wieder auch als Komponist dasitzt und denkt, wow, was ist das für’n Moment, der jetzt aus dem, was da zusammenkommt, entsteht."

Will sich selbst überraschen lassen

Sich selbst von der Musik überraschen zu lassen, ist für Martin Juhls das Entscheidende. Und dabei will er eine Musik schaffen, der man endlos zuhören kann. So auch bei seinem 2014 erschienenen Album Endless Change of Colour. 2013 war es zunächst in einer kürzeren Version in den USA herausgekommen.
"Das Album hab ich ein paar Jahre später nochmal rausgebracht in einer 24-Stunden-Version, weil es mir einfach nicht gereicht hat, davon eine 50-minütige Version zu hören, ich hab gedacht, das Stück ist noch gar nicht zu Ende erzählt, da passiert mehr, da muss mehr gehört werden, und man muss mehr das Gefühl davon bekommen, von dieser Länge."
Die Länge auskosten, das tut Martin Juhls nun auch gemeinsam mit dem schwedischen Filmemacher Anders Weberg. Gemeinsam arbeiten sie am längsten Film der Welt, dem Juhls den längsten Soundtrack der Welt beisteuern will. Ein Trailer von sieben Stunden und 20 Minuten existiert schon.
"Es ist sehr, sehr langsam und es ist nur eine Kameraeinstellung und es passiert gar nicht viel, und am Anfang hatte ich versucht, das so‘n bisschen zu unterstützen mit ganz vielen verschiedenen Klängen, und dann bin ich aber bei einem geblieben und der ist es dann geworden, und der hat tatsächlich Abstände von über einer Minute, das heißt, das sind Klangflächen, die sehr, sehr, sehr, sehr, langsam verklingen, aber trotzdem sehr stoisch sich wiederholen."

Erst zeigen, dann vernichten

Der Film soll 30 Tage lang 2020 an verschiedenen Orten der Welt parallel gezeigt und dann vernichtet werden. Eine besondere Form der Performance also für einen besonderen Film.
Und auch sein neuestes Album Shadows in Time, das gerade erschienen ist, ist, was seine Distribution angeht, mit einer besonderen Performance verbunden: Es erscheint nicht einfach nur auf CD, sondern gleichzeitig in über 300 verschiedenen Versionen auf USB und Vinyl.
"Bei Shadows in Time, Schatten in der Zeit, hab ich versucht, diese einzelnen Momente von einer generativen Komposition, die einfach vor sich hinspielt, aufzufangen und die dann besonders zu machen, also eigentlich spielt Shadows in Time vor allem mit dem Aspekt der Einzigartigkeit und Beliebigkeit von jedem Moment, den man so erleben kann."
Und ob es sich bei diesen einzelnen Momenten generativer Musik um beliebige Zufälle oder ganz einmalige Klangerlebnisse handelt, muss wohl jeder Hörer selbst entscheiden.