Mülllagerung

Wo der Rest für immer bleibt

Fässer mit gefährlichem Abfall in 700 Meter Tiefe in der Untertagedeponie Herfa-Neurode.
Fässer mit gefährlichem Abfall in 700 Meter Tiefe in der Untertagedeponie Herfa-Neurode (Kreis Hersfeld-Rotenburg). © picture alliance / dpa / Uwe Zucchi
Von Axel Schröder · 16.09.2014
Schlacke heißt der giftige Rest, der in Müllverbrennungsanlagen übrig bleibt. Nirgendwo auf der Welt lagert davon so viel wie in der Untertagedeponie Herfa-Neurode. Doch wie sicher sind die unverwüstlichen Abfälle dort verwahrt?
Das schwere schmutziggrüne Eisentor schließt sich. Der riesige Fahrstuhl setzt sich mit einem Ruck in Bewegung.
"Wir fahren jetzt mit dem Schacht auf die erste Sohle. Und von dort aus ins Deponiefeld 3, die zweite Sohle. Fahren auf 664 Meter…"
Deponieleiter Sascha Rühl schaltet seine Helmlampe an, der Lichtkegel fällt auf die vorbeirauschende Schachtwand.
Ankunft auf der ersten Sohle. Die Stollenwände sind dunkelgrau, zerfurcht von den Krallen der Spezialmaschinen, die die Hohlräume instandhalten. Sascha Rühl und Dr. Volker Lukas, der technische Leiter der Entsorgungssparte von K+S, tragen Sicherheitsstiefel, weiße Bergmannskluft, Bauhelme. Mehr Schutz ist nicht vorgeschrieben beim Besuch der wohl "giftigsten Müllkippe der Republik". Aber Giftigkeit, das ist für den Diplomingenieur Volker Lukas ohnehin ein relativer Begriff:
"Das ist immer eine Frage der Dosis! Wenn sie ein Kilo Kochsalz essen, ist das auch sehr giftig!"
2,8 Millionen Tonen Gefahrenstoffe
13 verschiedene Stoffgruppen lagern hier. Unter anderem 220.000 Tonnen quecksilberhaltige Abfälle, 127.000 Tonnen Cyanid-Abfall und 83.000 Tonnen arsenhaltige Stoffe. Sie stammen aus der chemischen und metallverarbeitenden Industrie. Vor allem aber aus Müllverbrennungsanlagen, aus deren Schornstein-Filtern. Verpackt in Fässern oder in sogenannten Bigpacks: riesigen, würfelförmigen Säcken aus reißfestem Kunststoff. 2,8 Millionen Tonnen dieser Gefahrstoffe lagern schon in der Deponie, 50.000 Tonnen kommen jedes Jahr dazu.
Ein kleiner Jeep steht bereit, um ins Deponiefeld 3 zu fahren, auf die nächsttiefere Ebene. Sascha Rühl erklärt, wie der Sondermüll in die Tiefe gelangt.
"Die Paletten werden übertägig in den Schacht eingestellt, nach untertage transportiert, dort mit einem Gabelstapler entladen und auf einen Sattelzug aufgeladen, zum Einlagerungsort transportiert. Und hier wieder mit einem Gabelstapler aufgenommen und eingestapelt. Das heißt, die Fässer bei uns werden auf Paletten aufeinandergestapelt. So, wie sie es von Bauklötzen kennen. Und zwar so, dass die Bauklötze nicht umfallen."
Bürgerinitiative sieht Gefahr für die Region
Welche Stoffe in welchen Bereichen lagern, wird in der Datenbank von K+S dokumentiert. Seit der ersten Einlagerung, seit 1972 wird notiert, in welcher Menge und wo die Giftstoffe im weitverzweigten Stollensystem lagern. 70.000 Proben in Glasfläschchen stehen säuberlich aufgereiht in den langen Regalen.
Die Deponie erstreckt sich über eine Fläche so groß wie München, inklusive des äußeren Autobahnrings. Probleme, das betonen die Ingenieure von K&S mit routinierter Gelassenheit, Probleme bereite der Müll nicht.
Ganz anders sieht das die kleine Bürgerinitiative "Für ein lebenswertes Werratal". Zehn Aktive sitzen in Dankmarshausen, im kleinen Gasthof "Zum Adler" zusammen. Jürgen Breitenbach, ein älterer Herr, hat früher selbst bei der K+S gearbeitet. Erzählt von Unfällen untertage, von Bränden in der Grube, die zum Glück schnell gelöscht werden konnten. Das Schlimmste was passieren könnte, sagt Breitenbach, wäre ein Wassereinbruch. Dann würden sich die Giftstoffe verbinden und miteinander reagieren.
"Und dann, sage ich mal laienhaft, kocht die Erde von Kassel bis Frankfurt. Denn bei 275.000 Tonnen Sonderabfall pro Jahr, das sich noch steigern soll bis zum Jahre 2015 auf 550.000 Tonnen, bedeutet das eine ganz gewisse Menge. Und Sonderabfälle können in Verbindung mit Wasser reagieren. Und ich kann mir dann das Inferno ausmalen, dass eine ganze Region von Deutschland vielleicht gar nicht mehr bewohnbar ist.
Der GAU ist nicht auszuschließen
"Das ist das schlimmste Szenario, was man durchkalkuliert hat. Hier würde dann tatsächlich die Untertagedeponie absaufen, die Abfälle mit Wasser in Kontakt kommen…"
…bestätigt Udo Selle von der zuständigen Bergbauaufsicht in Kassel. - Ganz ausgeschlossen ist ein GAU in der Giftmülldeponie also nicht. Aber natürlich gäbe es auch für solch eine Katastrophe eine Lösung, so Udo Selle.
"Ist aber auch keine Gefahr für die Biosphäre, weil es möglich ist, dann anschließend den Schacht abzudichten. So dass der Abfall mit dem Wasser untertage eingeschlossen bleiben würde, falls so ein unbeherrschbarer Szenario eintreten würde. Und zwar auch nur in den Schächten, die direkt im Deponiefeld stehen."
Zumindest in den Handbüchern der Ingenieure scheinen solche Szenarien händelbar. Und immerhin muss die K+S auch einen so genannten Langzeitnachweis vorlegen, für die nächsten 100.000 Jahre. Überprüft wird der Nachweis alle vier Jahre. Zusätzlich begutachtet der TÜV Nord die Sicherheitsvorkehrungen über- und untertage.
Noch 20 Jahre lang soll die Deponie Herfa-Neurode gefüllt werden. So lange ist noch Zeit, neue Ideen zu entwickeln für einen klugen Umgang mit dem hochgiftigen Restmüll, den unser Konsum hinterlässt.
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