Morgenlandfestival Osnabrück

Ein einziges Lamento

Ibrahim Keivo und Kevork Mourad auf dem Morgenland Festival Osnabrück 2015.
Eröffnungskonzert Morgenland Festival Osnabrück 2015: Ibrahim Keivo (Gesang) und Kevork Mourad (Malerei) © Morgenland Festival Osnabrück / Andy Spyra
05.08.2015
Aus aktuellem Anlass stand die Musik Armeniens im Mittelpunkt des Elften Morgenlandfestivals Osnabrück. Grund zum Feiern gab es da wenig, mehr zum Mahnen und Erinnern. Mit einem Lamento endete das Eröffnungskonzert mit dem Gurdjieff-Ensemble und Ibrahim Kevo.
Das Morgenlandfestival Osnabrück widmet sich in diesem Jahr allein der armenischen Musik. Anlass ist das 100. Gedenkjahr zum Völkermord an den Armeniern. Wir bringen in einer Aufzeichnung das Eröffnungskonzert aus der Marienkirche der Friedensstadt.
Im Fokus steht die Musik zweier bekannter armenischer Komponisten, von denen der eine - Komitas - direktes Opfer der osmanischen-türkischen Verfolgung wurde. Der zweite Künstler, Georges I. Gurdjieff (ca. 1866-1949) machte von sich in den 20er-Jahren als Esoteriker, Choreograf, Schriftsteller und Komponist reden. Er bereiste Armenien, den Kaukasus, aber auch Zentralasien, Nordafrika und Indien. Dabei sammelte er spirituelle Musik und Tänze. Er hat somit das armenische Kulturerbe universalisiert.
Der armenische Priester, Musikethnologe und Komponist Komitas (1869-1935) gilt als Begründer der armenischen komponierten Musik. Er sammelte nicht nur Tausende armenischer Volkslieder (und bewahrte sie vor dem Aussterben), sondern komponierte auch selbst. Er wurde zu Beginn des Genozids von der osmanischen Polizei verhaftet, gefoltert und mehrere Jahre gefangen gehalten. An den Spätfolgen der Haft starb er in der Psychiatrie im französischen Exil.
Das vielfach ausgezeichnete Gurdjieff-Ensemble hat die Werke beider Meister für die traditionellen Instrumente der Kaukasus-Region umgeschrieben und somit in einen Zustand der Neo-Authentizität versetzt. Das Ensembles besteht aus den für den östlichen Mittelmeerraum typischen Instrumenten, mehreren Spielern der armenischen Kunstmusik-Oboe Duduk, einer Flöte Blul, den auch aus der türkischen, persischen, kurdischen und arabischen Musik bekannten Instrumenten Ud (Laute), Kanun und Santur (Trapezzithern), Kamancha (Spießgeige), Tar (Langhalslaute) und Dap (Rahmentrommel).
Neben den Werken der beiden Komponisten stehen auch noch zwei Stücke der legendären Troubadoure der armenischen Geschichte - ein Ashough ist ein epischer Dichter, der seine Verse zu mündlich überlieferten Melodien vorträgt. Ashough Jivani stammt aus der gleichen Stadt wie Gurdjieff, nämlich Gyumri. Ashough Sayat Nova war ein legendärer Künstler, dessen Ruhm im gesamten Kaukasus bis nach Persien verbreitet war.
Das Gurdjieff-Ensemble schafft mit diesen Klangfarben, der hohen Qualität seiner Darbietungen und der künstlerisch hochwertigen Aufbereitung der Kompositionen eine Atmosphäre von zeitloser und anspruchsvoller Schönheit. Die Klangwelten, die dabei entstehen, sind sicher auch nostalgisch und rufen Erinnerungen daran hervor, was hätte geschehen können, wenn der "Orient" - das "Morgenland" - nicht in einen Kreislauf schlimmster Gewalttaten versunken wäre. Diese Gewalttaten dauern spätestens seit dem Völkermord an den Armeniern bis heute unvermindert an und haben schon unzählige Menschenleben und mit ihnen auch zahllose Lieder, Musikstücke und andere Kulturgüter zerstört.
Kein Land Europas und des Nahen Ostens kann von sich behaupten, an dieser andauernden Tragödie unschuldig zu sein. Der Abend endet nicht zuletzt deshalb mit einem Lamento - zu zwei Musikern des Gurdjieff-Ensembles gesellt sich für dieses auf Armenisch, Kurdisch und Arabisch gesungene Klagelied der aus seiner syrischen Heimat geflohene armenische Sänger Ibrahim Keivo. Er ist einer der größten Lieblinge des Morgenlandfestivals Osnabrück. Er beklagt in diesem aufwühlenden Gesang nicht nur die vielen Toten seiner Familie und seines Volkes vor einhundert Jahren, sondern auch den Verlust seiner eigenen Heimat. Schmerz ist kein adäquates Wort für die Gefühle, die Ibrahim Kevo hier zum Ausdruck bringt und die sich auch den Menschen in der ausverkauften Marienkirche in Osnabrück direkt vermittelt haben. Weinen allein reicht nicht, um diese Gefühle zu verkraften.
Morgenlandfestival Osnabrück
Sankt Marien
Aufzeichnung vom 22. Juli 2015
Georges Gurdjieff
Gebet
Gesang aus dem Heiligen Buch
Sayyed Gesang und Tanz Nr. 29
Armenisches Lied
Komitas Vardapet
Lorva Gutanerg
Zulo
Manushaki aus Vagharshapat
Yerangui aus Jerewan
Unabi aus Shushi
Marali aus Shushi
Shushiki aus Vagharshapat
Tsaghik Asem, Mani Asem
Ashough Jivani
Kankaravor Enker
Ashough Sayat Nova
Ashkharhes Meh Panjara E
trad.
Gorani und Tamzara
Gurdjieff-Ensemble:
Emmanuel Hovhannisyan, Duduk, Zurna
Norayr Gapoyan, Duduk, Bass-Duduk
Avag Margaryan, Blul
Armen Ayvazyan, Kamancha
Aram Nikoghosyan, Ud
Meri Vardanyan, Kanun
Vladimir Papikyan, Santur, Gesang, Dap
Davit Avagyan, Tar
Mesrop Khalatyan, Dap, Dhol
Arrangements und Leitung: Levon Eskenian
Lamento
Ibrahim Keivo, Gesang, Bouzouki
Avag Margaryan, Blul
Emmanuel Hovhannisyan, Duduk