"Montenegrinischer als jeder Montenegriner"

Dennis Todorovic im Gespräch mit Susanne Führer · 24.03.2011
Nach "Almanya – Willkommen in Deutschland" kommt mit "Sascha" innerhalb kürzester Zeit der zweite Unterhaltungsfilm in die deutschen Kinos, der sich um Menschen mit Migrationshintergrund dreht. In diesem Fall geht es um einen schwulen Montegriner.
Susanne Führer: Schwul und Migrationshintergrund - ach du je, dürften die meisten denken, noch so ‛ne Problemgeschichte. Von wegen! "Sascha", der erste lange Film von Dennis Todorovic, ist eine Komödie geworden. Heute kommt sie in die Kinos. Und aus einem Studio in Köln ist uns nun der Regisseur des Films zugeschaltet, Dennis Todorovic. Hallo!

Dennis Todorovic: Hallo!

Führer: Ja, ein Kölner Junge, mit montenegrinischen Eltern, kann sein Schwulsein nicht länger verbergen vor den Eltern, die natürlich entsetzt sind. Das wäre ja auch Stoff für eine Tragödie – Sie haben eine Tragikomödie draus gemacht, wobei ich sagen würde, dass die komödiantischen Anteile sogar überwiegen. Warum?

Todorovic: Ja, also zum einen ist es so eine Überzeugung von mir oder auch so eine Liebe von mir für bestimmte Komödien. Ich finde ja immer, eine ernste oder eine gute Komödie ist ein sehr ernst zu nehmender Film, und häufig spielen sich die besten Komödien auf sehr dramatischem Boden ab, also auch Klassiker, Billy-Wilder-Filme, wo es im Prinzip nur um Selbstmordkandidaten geht, die aber irgendwie zum Schreien komisch sind. Das ist so das eine, und die andere Sache ist sicher auch so ein persönlicher Grund, dass mir das Thema einfach sehr wichtig war und ich mir da mit so einer ironischen Distanz ein bisschen geholfen habe, glaube ich, diese Geschichte erzählen zu können. Ja, und außerdem hab ich das so, glaube ich, ein bisschen im Blut, dass ich immer, wenn ich irgendwie plane, etwas Lustiges zu machen, wird es ein bisschen melodramatisch oder dramatisch, und wenn ich etwas Ernstes machen will, rutschen mir immer die Witze rein. Ich hab so einen natürlichen Hang zur Tragikomik.

Führer: Ein geborener Billy Wilder sozusagen.

Todorovic: Na ja, na ja, na ja. Das wäre schön. Nein, nein, ich sehe den mal lieber so als Gott vor mir, das ist, glaube ich, angenehmer.

Führer: Herr Todorovic, es sind ja mindestens sagen wir mal zwei große Themen, die in diesem Film verhandelt werden. Das eine ist das Coming Out des jungen Sascha, des 19-Jährigen, das andere ist, was man heute vornehm Migrationshintergrund nennt, und man lernt so ein bisschen indirekt, dass offensichtlich Homosexuelle für Menschen aus Montenegro kein gutes Ansehen haben.

Todorovic: Ja, das gilt für Montenegro, aber im Prinzip für den ganzen Balkanraum, und man kann es noch erweitern, und es gilt eigentlich für Osteuropa im Allgemeinen. Es ist einfach ein Thema, das einfach in vielen Teilen nicht nur Europas, was ja in unmittelbarer Nähe ist, sondern eben auch in weiten Teilen unserer eigenen Gesellschaft, wo ja viele Menschen da sind, die von überall her kommen, einfach noch in den Kinderschuhen steckt.

Führer: Ich frag' da vielleicht so ein bisschen naiv nach, weil mir aufgegangen ist, dass ja die Geschichte auch nur deshalb ihre dramatische Wucht entfalten kann, weil eben beides zusammenkommt, also das Schwulsein und das Migrantenmilieu, sonst würde die Geschichte ja so jetzt, wenn das jetzt also ein Kölner Junge mit alteingesessenen Kölner Eltern wäre, nicht mit Eltern, die vor 20 Jahren aus Montenegro gekommen wären, dann wären die vielleicht auch enttäuscht, aber …

Todorovic: Dann wäre es ein Kurzfilm geworden, ja.

Führer: Genau. Und der Liebhaber des Jungen müsste nicht um sein Leben fürchten wahrscheinlich.

Todorovic: Ja, ja, ja, das ist natürlich das, was dem Film die Wucht dann gibt. Letzten Endes geht es ja für mich um Migration im Weitesten und was es für die einzelnen Menschen bedeutet. Das ist ja in meinen Augen schon auch ein Ensemblefilm, wo alle so ihre unerfüllten Träume haben – die Mutter, der Vater, selbst der Klavierlehrer. Die Homosexualität in dem Fall oder dieses schwierige Coming-out von Sascha in dem Fall ist einfach auch eine wunderbare Möglichkeit, den Generationskonflikt von Migranten in Deutschland zu zeigen. Die Kinder, die hier aufgewachsen sind – Sascha hat ja auch mit sich selber kein Problem, er ist ja relativ schnell mit sich selber im Reinen, er weiß, wer er ist und er hat da für sich genommen gar nicht so ein Problem, wenn er sich einmal geoutet hat bei der besten Freundin. Aber mit der Familie ist das etwas Anderes. Die Konsequenzen, die er sich ausmalt, sind ja dann im Film zumindest nicht ganz unrealistisch dramatisch.

Führer: Vor Jahrzehnten war ja der Schwule im Film immer so ein bisschen so eine lustige Schwuchtel oder so eine Tunte, mehr so eine Karikatur, das hat sich zum Glück sehr geändert – es gibt sehr differenzierte Bilder von homosexuellen Menschen, weil wir sie auch in der Öffentlichkeit inzwischen eben auch erleben –, aber Migrantenmilieus im Film, das ist immer noch so ein bisschen so eine heikle Geschichte, oder? Da rutscht man doch leicht so in die Klischeeschublade rein.

Todorovic: Das ist immer schwer zu sagen. Ich hab ja persönlich einen Heidenspaß an bestimmten Klischees auch. Ich freu mich über so Figuren, die leicht überzeichnet sind. Das hat auch dann wirklich damit zu tun, dass Filme – gerade zum Beispiel aus Osteuropa – gerade eben auch in harten Filmen oder in tragischen Filmen manchmal auch mit Slapstick arbeiten, mit leicht überzeichneten Figuren oder mit Groteskem. Das sind alles so Sachen, die da mit reinfließen, insofern bin ich gar nicht so abgeneigt. Ich finde, man sollte sich Klischees immer stellen. Was ich nicht mag, sind halt Klischees, die aus dem Film kommen, also so Filme, die sich selbst wiederholen, Kommissare und so weiter, das geht mir manchmal auf den Keks. Aber so Klischees, die ich kenne aus dem Leben, die liebe ich.

Führer: Stimmt, Sie fahren da auch so ein paar auf: Die Chinesin muss immerzu lernen, lernen, lernen, das montenegrinische Frühstück, dazu gehören ein bis sieben Gläser Slibowitz und 20 Zigaretten.

Todorovic: Ja, der Witz ist ja, ich kenne das so, das ist nur immer, wenn es dann auf der Leinwand ist, dann ist das natürlich leicht angreifbar. Ich hab mir einfach beim Schreiben gedacht, so, jetzt machst du einfach alles, was du wirklich kennst, schreibst du auch rein, weil …

Führer: Aha, also das Frühstück bei Ihnen zu Hause, Herr Todorovic.

Todorovic: Eher so im Urlaub. In dem Fall ist es ja so, dass die gerade aus Montenegro aus dem Urlaub gekommen sind und der Vater vor dem Onkel angibt und so tut, als ob sie noch in Montenegro wären und davon schwärmt, es gibt doch nichts Besseres als ein montenegrinisches Frühstück, er fährt das dann so auf. Das kenne ich auch so: Wenn wir aus dem Urlaub zurück sind, dann sind wir immer montenegrinischer als jeder Montenegriner ist, da wird der Schnaps morgens aufgefahren, wie man es da im Urlaub auch macht. Ja, genau – das ist so eine Sehnsucht nach einer Heimat, die es vielleicht gar nicht so gibt.

Führer: Die Filmfiguren haben schon viel mit den realen Figuren in Ihrem Leben zu tun?

Todorovic: Ja, jede Menge. Ich kann keinen Finger draufsetzen, ich kann nicht mehr sagen, wer wer ist, letzten Endes habe ich da ja lange dran geschrieben, und diese Familie im Film hat so ein bisschen ihr Eigenleben entwickelt, aber das ist so ein Puzzleteil aus diversen Eltern, Onkels, Tanten, Cousins, Cousinen, Bekannten, Freunden.

Führer: Jetzt ist ja vor zwei Wochen die Komödie "Almanya – Willkommen in Deutschland" in die Kinos gekommen, heute läuft Ihr Film "Sascha" an, wie gesagt, auch eine Komödie. Man könnte sagen, endlich entstehen in Deutschland, ja, Multikultikomödien oder Komödien mit Migrationshintergrund, wie auch immer. Warum hat es hierzulande so lange gedauert – in Frankreich, in Großbritannien, in den USA gibt es das schon seit Jahrzehnten?

Todorovic: Das ist halt jetzt vielleicht eine Generation, irgendwie angeführt von Fatih Akin so als Erster, und dann ein paar Jahre später halt noch so ein Schwung von uns, die wir dann einfach Geschichten machen über das Leben, wie wir es kennen, und es vielleicht nicht ganz so ernst nehmen wie jemand, der fürs Feuilleton schreibt.

Führer: Ich hab gedacht, das ist vielleicht auch ein Zeichen für Emanzipation, also für Souveränität. Über sich selbst lachen kann man ja nur, wenn man sich einigermaßen sicher seiner selbst ist, oder?

Todorovic: Ja, ja, ich glaube schon. Ich finde das eigentlich auch wichtig. Also die Diskussionen sind mir manchmal wirklich viel zu ernst, weil es hat ja immer so was von – auch so diese Political Correctness, die man dann … Man hat ja die Freiheit als selbst Gastarbeiterkind oder Migrationshintergrund-Mensch hat man ja die Freiheit, nicht immer politically correct sein zu müssen zum Beispiel, einfach, was die eigenen Sachen angeht. Auf der anderen Seite ist es auch so, die Komödie ist ja irgendwo manchmal auch das fiesere Genre. Irgendein schlauer Mensch hat mal gesagt, Humor ist die Tragödie, die anderen Leuten passiert. Also es ist immer ein Stück Schadenfreude natürlich mit drin. Oder von Woody Allen gibt es ein Zitat: Humor ist Tragödie plus Zeit. Das finde ich auch sehr gut. Wenn man einen gewissen Abstand hat, sieht man auch ganz schwierige Sachen eben mit Humor, und vielleicht hat das einfach eine Zeit gebraucht, bis dann solche Filme entstanden sind.

Führer: Dennis Todorovic sagt es. Heute kommt sein Film "Sascha" in die Kinos, eine Tragikomödie über einen Kölner Jungen mit montenegrinischen Eltern, der schwul ist. Ich glaube, so hab ich das ganz gut zusammengefasst, ne?

Todorovic: Ja.

Führer: Ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch, Herr Todorovic!

Todorovic: Vielen Dank auch, danke für die Einladung!

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