Monaco

Der Traum von der heilen Familie

07.01.2015
Wie süß! Wenn Fürst Albert II. von Monaco und seiner Frau Charlène heute ihre Zwillinge der Öffentlichkeit vorstellen, werden viele ins Schmachten geraten. Das entspricht ganz dem Zeitgeist, meint Historiker Volker Reinhardt - denn der "steht voll auf Familie".
Gabriella und Jacques heißen sie - die Zwillinge, die Charlène von Monaco am 10. Dezember zur Welt gebracht hat. Heute präsentiert das Fürstenpaar seinen Nachwuchs auf einem Palastbalkon der Öffentlichkeit - und vielen Zuschauern wird es dabei wohl mächtig warm ums Herz werden.
Volker Reinhardt, Professor für Allgemeine und Schweizer Geschichte der Neuzeit an der Universität Fribourg überrascht das wenig. Denn der Zeitgeist stehe voll auf Familie: "Wir erleben fast schon eine Wiederverzauberung der Welt durch die Familie." Nachdem sie lange "mega-out" gewesen sei und für Repression gestanden habe, sei die Familie nun wieder "in".
Reinhardt zufolge ist diese Entwicklung ein Globalisierungsphänomen: "In Zeichen der Verunsicherung greift man auf die vermeintlich kleinste, unteilbare Einheit zurück - und das ist und war immer die Familie." Sie stehe für Geborgenheit und Identität. Die Adelsfamilie fungiere für viele gar als "Traumrefugium": "Es ist eine Art Fluchtwelt, in die man sehr viel hineinprojizieren, hineinwünschen kann."

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Gabriella und Jacques heißen die Zwillinge, die wahrscheinlich bis zum Ende ihres Lebens im Scheinwerferlicht stehen werden, sind sie doch der langersehnte Nachwuchs im Hause der Grimaldis in Monaco.
Andreas Teska über den wichtigen Tag heute in Monaco. Und dass der Fürst noch zwei uneheliche Kinder hat, die noch niemand auf dem Balkon gesehen hat, gut, das passt jetzt hier nicht ins Bild der heilen Familie. Aber welche Familie ist schon heil? Aber wünschen wir uns das nicht, und warum ist das so wichtig, eine Familiengeschichte zu haben? Volker Reinhardt ist Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Fribourg und hat sich damit beschäftigt, nämlich mit Familiengeschichten. Guten Morgen, Herr Reinhardt!
Volker Reinhardt: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Zwei Babys entzücken nicht nur die Boulevardpresse, sondern auch viele Menschen in Europa, die sich das nicht entgehen lassen wollen heute Mittag – warum?
Wiederverzauberung der Welt durch die Familie
Reinhardt: Im Licht der kühlen Vernunft betrachtet, ist das unerklärlich. Nichts könnte uns gleichgültiger sein, wer künftig Modeschauen in Monaco eröffnet. Aber weil es die Öffentlichkeit bis zur Tränenrührungsschwelle interessiert, ist es ein Zeichen des Zeitgeistes, und dieser Zeitgeist steht voll auf Familie. Ich glaube, wir erleben fast schon eine Wiederverzauberung der Welt durch die Familie. Die Familie war ja lange mega-out. Sie stand für Repression, für Verfremdung, vielleicht sogar für Faschismus, für die falsche Art, sich in die Gesellschaft einzufügen. Aber seit einiger Zeit ist sie wieder in. Und die Frage, warum, lohnt sich tatsächlich. Ich glaube, wir haben hier ein bemerkenswertes Phänomen, die ältere Vergangenheit wird wieder lebendig.
Vergessen wir nicht, jahrhundertelang haben sich Menschen nicht durch ihre individuellen Qualitäten, sondern durch ihre Zugehörigkeit zu Familienverbänden definiert. Im 16., 17. Jahrhundert interessierte kaum, was der Einzelne war oder konnte. Es interessierte, aus welcher Familie er kam, denn man übertrug selbstverständlich die Eigenschaften der Familie auf das Individuum. Das ist heute in bemerkenswertem Maße auch wieder der Fall. Der Einzelne definiert sich durch die Zugehörigkeit zu einem größeren Verband, und auch die Idee, dass es Familien mit Retter- und Erlösereigenschaften gibt, ist wieder da. Auch das ist ein sehr altes Motiv der europäischen Geschichte. Warum hat es eigentlich jemals Monarchien gegeben? Man wusste doch nie, zieht man bei der nächsten Nachfolge eine Niete oder zieht man das große Los. Man glaubte, dass bestimmte Familien einen direkten Kontakt zum Himmel haben, bestimmte herausragende, sogar übernatürliche Eigenschaften haben.
Brink: Aber das ist ja gerade bei dieser Familie jetzt, wenn wir nach Monaco gehen, die ja auch historisch völlig unbedeutend ist und intakt, na ja, da kann man auch so das eine oder andere Fragezeichen dahinter machen, sieht man mal die Skandalliste der Schwestern des Fürsten, von Stephanie und Caroline, aber es interessiert uns und es fasziniert uns, und warum ist Familie dann heute so im Trend und vor allen Dingen die intakte?
Flucht in die Traumwelt der Adelsfamilien
Reinhardt: Weil die Familie, so wie sie hier zelebriert wird, in der Wirklichkeit natürlich verschwunden ist. Familie heißt heute sehr viel, was man sich vor 50 Jahren nicht vorstellen konnte, Stichwort Patchworkfamilie und anderes. Gerade deswegen braucht man diese alteuropäische Familie als ein Gegenbild. Es ist eine Art Traumrefugium, eine Art Fluchtwelt, in die man sehr vieles hineinprojizieren, hineinwünschen kann.
Völlig intakt darf sie allerdings auch nicht sein. Wenn wir die entsprechende Regenbogenpresse anschauen – nach der Traumhochzeit kommt in ein, zwei Jahren die erste Ehekrise. Die Großen müssen auch leiden, sie müssen auch die Gebrechen des Alltags, die die Masse kennen, sonst kann man nicht andocken. Sonst sind sie nicht zur Identifizierung geeignet. Sie müssen anders sein, sie müssen letztlich in einer Märchenwelt spielen. Aber ganz heil darf die Märchenwelt auch nicht sein. Also ich bin ganz sicher, dass auch hier Krisen kommen, weil das haben wir auch schon erlebt. Wie viel Scheidungsgerüchte oder Unglücksgerüchte gab es über dieses Elternpaar in Monaco.
Brink: Aber hat das auch was damit zu tun, mal ganz platt gesagt, dass wir uns in dieser Globalisierung verloren haben?
Reinhardt: Ja. Ich glaube, es ist tatsächlich ein Globalisierungsphänomen. Und in Zeiten der Verunsicherung greift man auf die vermeintlich kleinste unteilbare Einheit zurück, und das ist und war immer die Familie. Die Familie steht eben für etwas Unverlierbares, steht für Geborgenheit, steht eben auch für Identität der – wir haben hier sicherlich auch eine Art Ent-Individualisierungsprozess vor uns. Der Einzelne definiert sich nicht mehr durch das, was er ist, obwohl man das in der Werbung häufig hören kann: I am, what I am, ich bin was ich bin. Aber im Grunde ist man heute wieder überwiegend das, was man durch die Familie ist. Keine Degeto-Herz-Schmerz-Sendung ohne Vaterfindung oder Muttersuche.
Brink: Vielen Dank, Volker Reinhardt, Professor für Geschichte der Neuzeit an der Uni Fribourg. Danke schön für Ihre Einschätzungen. Und wir haben das Gespräch zum Anlass genommen, weil heute die Zwillinge in Monaco, die Thronfolger, öffentlich präsentiert werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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