Mönche als Kulturrevolutionäre

Von Klaus Hart · 26.03.2011
Der Einfluss der Franziskaner auf Bildung und Kultur in Brasilien war beträchtlich. Im Kloster von Penedo am brasilianischen Nordost-Strom Rio Sao Francisco entstehen derzeit ein Museum und ein Forschungsarchiv, um das Wirken der Franziskaner besser zu verstehen.
Laut geht es zu im quirligen Zentrum der Bischofsstadt Penedo. Aus -zig Lautsprechern vor den Geschäften und in aufgeklappten Kofferräumen der Autos dringt Werbung und regionaltypische Forró-Musik. Über eine holperige Gasse gelangt man rasch zu einem hochwillkommenen Fluchtpunkt und Refugium, dem "Convento de Nossa Senhora dos Anjos", in dem jetzt während der Restaurierung indessen kräftig gehämmert, gesägt und geschliffen wird.
Klostervorsteher José Teixeira Rodrigues, mager, agil, humorig und um die fünfzig, führt seine Besucher deshalb in einen abgeschiedenen Raum mit Blick auf den exotischen Palmengarten und den blaugrünen Rio Sao Francisco:
"Viele deutsche Mönche haben früher die Klöster verlassen, Brasilianerinnen geheiratet, viele Kinder gezeugt. Eine Nachfahrin bat mich um Informationen über die deutschen Franziskaner, ihre Kultur und Wirkung auf die brasilianische Gesellschaft. Das brachte mich auf die Idee, hier ein Memorial über die religiöse deutsche Präsenz in Brasilien zu schaffen. Ich selbst wurde fast nur von deutschen Franziskanern geformt – in unserer Nordostprovinz wirken derzeit 56 deutsche Mönche."
Rodrigues, der Brasilianer, findet unverständlich, dass die deutschen Franziskaner bislang noch kein solches Memorial nebst Forschungsarchiv zustande brachten. Denn bejubeln und beweihräuchern wolle niemand – wichtige, interessante historische Wahrheiten offenlegen und analysieren aber schon.

Der Deutsche Johannes Bahlmann, Bischof der Prälatur Obidos im fernen Amazonien, setzt das Werk von deutschen Franziskanern fort, die aus Penedo kamen. Die Kritik seines Ordensbruders kommentiert er lachend, gibt ihm Recht:
"Das ist franziskanisch – das gehört zur franziskanischen Haltung, ist bei uns so im Blut. Wir arbeiten für den Gotteslohn – und damit hat sich das. Selbstlos sich hingeben, das hat auch mit der Spiritualität zu tun. Jesuiten haben immer alles schön aufgeschrieben, daher hat man immer den Eindruck, die Jesuiten waren die Starken hier in Brasilien – dabei waren’s die Franziskaner. Die waren viel mehr in der Gesellschaft – viel mehr Einfluss auf die Regierung, auf die Geschicke Brasiliens! Wir müssen die ganze Geschichte aufarbeiten!"
In einem kolonialen Sklavenhalterstaat, 24-mal größer als Deutschland, verlieren sich die anfänglich wenigen Ordensleute – bis man Franziskaner aus den vollen deutschen Klöstern in großer Zahl losschickt, um "dem zerfallenden und dem Verderben zueilenden Katholizismus Brasiliens" Hilfe zu bringen, wie Franziskanermönch Wilhelm Schürmann zwischen 1894 und 1914 in Briefen betont. Im Hafen von Recife entsteigen manchen Schiffen gleich bis zu 90 Franziskaner – von denen nicht wenige das Kloster von Penedo als neue Heimstatt wählen. José Teixeira Rodrigues:
"Damals waren hier die Freimaurer sehr stark – gingen deshalb fast nur Frauen in die Kirche, trafen sich die Männer in den Freimaurerlogen. Die deutschen Franziskaner erklärten ihnen den Krieg – und gewannen. So predigte ein Mönch namens Hildebrand selbst bei Dorfgottesdiensten nur vor Frauen, rief deshalb abends die Männer zusammen, redete ihnen ins Gewissen, katechisierte sie – und verpflichtete alle, sich per Notariatsurkunde zum Katholizismus zu bekennen. So etwas bringt wohl nur ein Deutscher fertig! Ein anderer erlaubt als erster einer Schwarzen, ins Kloster zu kommen, nimmt ihr die Beichte ab – denn Dunkelhäutigen ist damals laut Kolonialgesetz der Zutritt verboten!"
In einer Region, in der noch heute die Analphabeten-und Gewaltrate, die Arbeitslosigkeit landesweit am höchsten sind, haben für Rodrigues die deutschen Franziskaner erstaunlich viel erreicht – gegen die Kolonialmacht und die bis heute politisch herrschenden Zuckerbarone.
"Die Deutschen haben hier Geschichte mitgeschrieben, Bildung und Kultur vorangebracht, Schulen, Gymnasien und Konservatorien aufgebaut, viele gute Fachlehrer aus Deutschland geholt – und nach dort viele Brasilianer zur Ausbildung geschickt. Die erste Orgel, das erste Motorboot, die ersten Metallpfannen und -töpfe statt der üblichen aus Ton – viele Neuerungen verdanken wir den so praktisch veranlagten deutschen Franziskanern. Und dank ihnen wechselten die Menschen von einem mystischen Katholizismus zu einem kultivierten, aufgeklärten. Hier wissen die Menschen Bescheid über ihre Religion, können argumentieren – haben es daher auch in Penedo die Sekten schwer – während unsere Kirchen voll sind."
Auf dem Rio Sao Francisco fliehen Fischer vor dichten, ätzenden Rauchwolken, die die Sonne verdunkeln. Denn wie zur Kolonialzeit werden im Nordosten vor der Zuckerrohrernte auf den riesigen Plantagen die Seitenblätter einfach abgefackelt, fressen sich Flammenwände bis an die Straßen heran, entstehen Dioxin und klimaschädliche Gase in rauen Mengen. Deutsche Franziskaner kämpfen heute daher auch für die Bewahrung der Schöpfung, stärken namhaften kirchlichen Umweltaktivisten wie Antonio Gomes dos Santos aus einer katholischen Basisgemeinde von Penedo den Rücken.
"In Deutschland und Österreich habe ich einen Monat lang in den Kirchen über unseren Widerstand berichtet, in Wien einen Umweltpreis erhalten. Denn wir kämpfen gegen das brasilianische Agrobusiness, das auch Deutschland mit Soja überschwemmt und dafür hier aus purer Geldgier die Natur zerstört, Tiere und Insekten mit Agrargiften ausrottet."
Große Franziskaner wie der 2007 verstorbene Kardinal Aloisio Lorscheider, ließen durch unkonventionelle, scharfe politische Analysen aufhorchen. "Die Herrschenden, zynisch und skrupellos agierende Clans, sind nicht gewillt, Macht und Privilegien abzutreten. Deshalb wird das Volk ganz bewusst dumm gehalten, weil es dann leichter manipulierbar ist", sagte Lorscheider.

Viel Stoff für den brasilianischen Franziskaner José Teixeira Rodrigues, der jetzt in einem Klosterflügel von Penedo emsig das Memorial vorbereitet, Dokumente, Kunstgegenstände und uralte Privatutensilien aus den Franziskanerklöstern ganz Brasiliens zusammenträgt, die Einzelschicksale großer Franziskanerpersönlichkeiten rekonstruiert. Rodrigues schwärmt über viele hochinteressante Privatbriefe und Fotos, die Ahnenforschung ermöglichen – und auch über bis heute viel gesungene Kirchenlieder, die die Mönche einst ins Portugiesische übersetzt hatten. Wegen des Restaurierungsstaubs wird alles derzeit zusammen mit alten Kameras, Druckapparaten und Küchengerätschaften in Plastik gehüllt und wie ein Schatz in der Klosterbibliothek aufbewahrt.
"Ohne diese Deutschen gäbe es heute in Brasilien keine Franziskaner mehr – und auch nicht diese Fülle an sozialen Projekten. All das verdanken wir ihnen."
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