Moby: "Porcelain"

Wie Moby ein Popstar wurde

Elektromusiker Moby bei einem Auftritt auf dem Orange Warsaw Festival in Polen.
In New York fing für Moby alles an. © picture alliance / dpa / Leszek Szymanski
Von Gerrit Bartels · 31.05.2016
Ehrlich und selbstironisch erzählt Moby in seiner Autobiografie wie er Anfang der 90er-Jahre in New York zum DJ-Messias aufstieg. In "Porcelain" schreibt der weltbekannte Techno-DJ und Musiker über sein Künstlerleben in der Metropole und die Underground-Clubszene.
Es ist der Traum jedes Vorstadtkids, das einigermaßen bei Verstand ist: rauskommen, die Großstadt entdecken, die Welt erobern. Erst recht, wenn das Leben in der Provinz so trist ist, wie es der Popmusiker Moby in seiner Autobiografie "Porcelain" beschreibt: "Ich hasste die Armut, den Zigarettenqualm, die Drogen, die Scham, die Einsamkeit." Die Mutter arbeitet in einem Waschsalon in Stratford, Connecticut, einer 50.000-Einwohnerstadt nordöstlich von New York City, sein Vater ist am Alkohol zugrunde gegangen, Geschwister hat er keine. Ein Disco-Song im Radio ist der entscheidende Hoffnungsschimmer für den damals Zehnjährigen: "Eines Tages würde ich aus dieser toten Vorstadt herauskommen. Ich würde in eine Stadt kommen und dort in einen Schoß zurückkriechen – einen Disco-Schoß, der von futuristischer Musik erfüllt war."
Genau so ist es gekommen: Moby ging Ende der achtziger Jahre nach New York, entdeckte die elektronische Musik und die DJ-Szene, hatte mit "Go" 1992 einen ersten großen Rave-Hit, mit "Feeling So Real" 1995 einen zweiten, und wurde schließlich mit dem 1999 veröffentlichten Album "Play" zu einem der Pop-Superstars des beginnenden Jahrtausends. Seine Markenzeichen: eine Glatze, ein durchaus sendungsbewusster Veganismus – und eine Stilvielfalt, die von Techno über Blues bis Metal reicht, von Moby auf "Play" und dem Nachfolger "18" zu einer ganzen Reihe von sanft-melancholischen Popsongs konzentriert.

Von der Bibel bestimmte Vorstadtkindheit

Inzwischen ist es ruhiger um ihn geworden. Mobys immer noch regelmäßig erscheinende Alben werden beifällig wahrgenommen, aber der Fokus des Großpops liegt auf anderen Musikern. Insofern passt diese Autobiografie in eine Zeit, in der jeder alternde Rock- und Popstar von Kim Gordon über Patti Smith, Bob Dylan oder Neil Young bis hin zu Westbam seine Erinnerungen veröffentlicht.
Moby, der bürgerlich Richard Melville Hall heißt und entfernt verwandt mit Hermann Melville sein soll, hat sich in "Porcelain" allerdings auf die Zeit beschränkt, in der er zum DJ und Musiker wurde: auf die neunziger Jahre. Diese bestanden für ihn in ihrer zweiten Hälfte vor allem aus einer Vielzahl von Abstürzen, alkohol- und karrieretechnisch. Seine triste, vom Alkohol, Drogen, Indierock, aber auch der Bibel bestimmte Vorstadtkindheit- und -jugend behandelt er nur kurz und in Andeutungen in den ersten Kapiteln, sie scheint in Folge immer wieder auf, ohne dass Moby sich intensiver damit auseinandersetzen will.
Als er im Alter von 24 Jahren endgültig nach New York City kommt, in sein "schmutziges Mekka", einen ersten DJ-Job in einem Laden namens Mars ergattert und in einer WG im südlichen Manhattan an der Ecke 14th-Straße/Third Avenue unterschlüpft, hat er dem Alkohol entsagt und lebt zudem vegan: "Ich war ein abstinenter Christ, der in Drogenclubs arbeitete. Ich lebte in einer dreckigen Stadt, die von Drogen, AIDS und Gewalt zerrisen wurde. (...) Ich war glücklich."

Alkoholexess folgt auf Alkoholexess

Moby hält sich in "Porcelain" an eine gewisse Chronolgie. Der Großteil seiner Autobiografie besteht jedoch aus einzelnen Szenen und Schnappschüssen eines New Yorker DJ-Lebens. Eindringlich beschwört Moby die Atmosphäre der Stadt und ihres Pop-Undergrounds in den frühen neunziger Jahren. Manchmal betont er das Kaputte der Stadt etwas zu stark, auch die Verwunderung darüber, als weißer Musiker und eben bibelfester Abstinenzler sich primär in einer Welt voller Schwarzer, Latinos, Gay, Drag-Queens und Drogenuser zu leben.
"Porcelain" trägt Züge eines Entwicklungsromans, insbesondere in der ersten Hälfte. Dieser endet zwar, wie es sich gehört, in Karrieredellen. Doch fehlt es Moby im zweiten Teil an einem packenderen erzählerischen Zugriff. Nach dem Ende einer Beziehung beginnt er wieder zu trinken, woraufhin Alkoholexzess auf Alkoholexzess folgt, eine neue Freundin und noch eine, eine Begegnung mit David Bowie hier, ein Lollapalooza-Auftritt dort, und New York City ist immer noch ziemlich kaputt.

Ein Album macht ihn weltberühmt

Moby scheint es hier beim Schreiben gegangen zu sein wie damals mit seiner Karriere: So richtig weiß er nicht mehr weiter. Dass er mit "Animal Rights" ein Rock- und Metalalbum macht, findet nur noch Axl Rose gut, hat aber was in seiner Konsequenz, als Raver an so einem Unterfangen festzuhalten. Richtig rührend ist, wie er von der Krankheit und dem Tod seiner Mutter und der Trauer darüber erzählt, weniger über ihren Tod als über ein Leben, das sie sich gewünscht hat, aber nie gelebt hat. Im Gegenteil zu ihrem Sohn, dessen Sternstunden erst noch bevorstehen, der schließlich an einem Album arbeitet, das ihn weltberühmt macht.
Am Ende verknüpft er die einzelnen Songs von "Play" noch einmal schön mit Erinnerungen an seine ganz frühe Jugend, was womöglich ein Hinweis auf eine Fortsetzung seiner Autobiografie ist. In der würde man aber tatsächlich lieber die Geschichte seines Lebens lesen, bevor er nach New York City ging und Popstar wurde – nicht die nach "Play".

Moby: Porcelain
Aus dem Amerikanischen von Jürgen Neubauer
München, Piper 2016
464 Seiten, 24 Euro

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