Mixtur aus wenig Zeit und wenig Ahnung

Von Andreas Theyssen · 18.01.2013
Ein Aufsichtsratsposten macht Arbeit. Mindestens einen Tag pro Woche sollte man dafür aufwenden, sagen Personalberater. Insofern sei es völlig unmöglich, dass jemand mehrere dieser Ämter erfolgreich ausübe, sagt der Journalist Andreas Theyssen. Und Politiker hätten in dem Amt gar nichts zu suchen.
Klaus Wowereit ist ein Politiker, der Emotionen weckt. Er löst Kopfschütteln aus, wenn er kurz nach seiner Wahl zum Regierenden Bürgermeister Champagner aus roten Damenpumps trinkt. Er lässt frösteln, wen er seine Koalitionspartner - mal die Linkspartei, mal die CDU - eiskalt und aus allerreinstem Machtkalkül auswählt. Er macht wütend, weil er mit einer Bräsigkeit von Helmut Kohl'schem Format die Krise um den Berliner Großflughafen BER aussitzen will.

All dies überlagert eine weitere Gefühlregung, die Wowereit ebenfalls bei uns auslösen sollte, nämlich Dankbarkeit. Wir sollten ihm dankbar sein, weil uns Berlins Regierender Bürgermeister in der BER-Affäre zeigt, dass in diesem Land etwas sehr verquer läuft. Konkret: in den Aufsichtsräten deutscher Unternehmen.

Ein Aufsichtsrat soll qua Definition den Vorstand eines Unternehmens kontrollieren. Er soll verhindern, dass es in der Unternehmensführung zu Misswirtschaft oder zu eigennützigem Fehlverhalten der Vorstände kommt. Klaus Wowereit war bis vor wenigen Tagen Aufsichtsrat, sogar Aufsichtsratschef der Berliner Flughafengesellschaft, die den Großairport in Schönefeld baut.

Dieser Flughafenbau ist inzwischen zu einem Synonym geworden für Misswirtschaft. Da hat nicht nur das Flughafen-Management versagt, sondern auch der Aufsichtsrat - und zwar total.

Dummerweise ist BER kein Einzelfall. Auch bei der Hamburger Elbphilharmonie verschiebt sich immer wieder der Eröffnungstermin, und die Kosten schießen in die Höhe. Gleiches gilt für das Bahnhofsgroßprojekt Stuttgart 21. Und der Stahlkonzern Thyssen-Krupp ist durch Missmanagement in Schieflage geraten. Auch hier hat der Aufsichtsrat geschlafen.

Klaus Wowereit hat sich lange dagegen gewehrt, den Aufsichtsratsposten abzugeben. Er habe falsche Informationen bekommen, deshalb habe er nicht richtig Aufsicht führen können, so seine Argumentation. Das mag sogar sein. Aber das Kernproblem ist ein anderes.

Wowereit ist Chef eines Bundeslandes, Bürgermeister einer Metropole und Parteipolitiker. Alleine vom Pensum her fressen diese Jobs sehr viel Zeit. Zeit, die fehlt, um sich um die Flughafengesellschaft und ihren massiven Probleme zu kümmern. Denn um einen Aufsichtsratsposten ernsthaft wahrzunehmen, braucht man einen Arbeitstag pro Woche, sagen Personalberater. Als Aufsichtsratschef sogar bis zu drei Tage. Vor allem aber fehlt dem Mann jegliche Erfahrung mit großen Bauprojekten - er war Zeit seines Berufslebens Politiker. Wie soll so ein Mann als Aufsichtsrat merken, wenn ein Vorstand ihn an der Nase herumführt?

Diese heikle Mixtur aus wenig Zeit und wenig Ahnung ist nicht auf Politiker beschränkt - sie ist oft zu finden in deutschen Aufsichtsräten. Als etwa Jürgen Grossmann Chef des Energiekonzerns RWE war, saß er gleichzeitig auch noch in den Aufsichtsräten der Deutschen Bahn, von British American Tobacco, von Volkswagen und noch drei weiteren Unternehmen.

Aufsichtsräte tagen zwar nicht oft, in der Regel mindestens zweimal im Jahr. Aber neben dem eigenen Full-time-Job im Konzern auch noch die Abläufe in sechs weiteren Unternehmen aus sehr unterschiedlichen Branchen auf dem Radar zu haben - das grenzt schon ans Übermenschliche. Zumindest, wenn man seinen Aufsichtsratsjob ernst nehmen will.

Um diese systematische Überforderung zu vermeiden - und möglicherweise auch Desaster wie jetzt in Berlin -, sind zwei Neuregelungen nötig, zur Not sogar gesetzlich. Aktive Politiker dürfen grundsätzlich keine Aufsichtsratsmandate mehr übernehmen. Es fehlt ihnen an Zeit und an Expertise. Und niemand sollte mehr als zwei, drei Aufsichtsratsposten gleichzeitig haben. Er kann sonst unmöglich den Überblick bewahren und seiner Kontrollfunktion nachkommen.

Dass so eine verpflichtende Regelung bitter nötig ist, zeigt ebenfalls der Fall BER. Die Flughafengesellschaft hat seit Wowereits Rücktritt einen neuen Aufsichtsratschef: Matthias Platzeck – einen Politiker.

Andreas Theyssen besuchte die Deutsche Journalistenschule München und arbeitete anschließend für die "Münchner Abendzeitung", "Die Woche", "Süddeutsche Zeitung" und die "Financial Times Deutschland". Seit 2009 leitet er das Politikressort der Gruner+Jahr-Wirtschaftsmedien in Berlin.
Der Journalist Andreas Theyssen
Der Journalist Andreas Theyssen© privat