Misshandlungen von Flüchtlingen

"Freiwild für rassistische Sicherheitsleute"

Das Flüchtlingsheim auf dem Gelände der ehemaligen Siegerland-Kaserne in Burbach
Der Tatort: Das Flüchtlingsheim auf dem Gelände der ehemaligen Siegerland-Kaserne in Burbach © picture-alliance / dpa / Federico Gambarini
Günter Burkhardt im Gespräch mit Nicole Dittmer und Julius Stucke · 29.09.2014
Die Gewalttaten gegen Asylbewerber in NRW seien für ihn in diesem Ausmaß ein Schock, sagt der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt. Der Fall zeige: Aus der Flüchtlingsunterbringung dürfe man kein Geschäft machen.
Julius Stucke: Jetzt also zieht man hektisch Konsequenzen, während die Frage ja eigentlich ist, was hätte man vorher tun sollen, was hat man bisher falsch gemacht?
Nicole Dittmer: Ja, wenn man sich das vorstellt: Da kommen eh schon traumatisierte Menschen, oft nach einer Odyssee, endlich in ein deutsches Flüchtlingsheim und wähnen sich in Sicherheit und treffen da auf solche Menschen. Ich frage mich da vor allem, was wird da jetzt noch alles zutage kommen?
Stucke: Das, und die Frage, was ist da alles schon gewesen. Die Frage, sind es Einzelfälle oder eben nicht? Und genau darüber wollen wir mit dem Geschäftsführer von Pro Asyl sprechen, Günter Burkhardt. Schönen guten Tag!
Günter Burkhardt: Guten Tag!
Stucke: Herr Burkhardt, kam es für Sie denn überraschend?
"Man muss es Folterungen nennen"
Burkhardt: Also in diesem Ausmaß war es für mich persönlich ein Schock. Dass Flüchtlinge über zwei Wochen hinweg misshandelt werden, gedemütigt werden, dass es zu folterähnlichen Szenen kommt, zu Folterungen kommt – man muss das so nennen – ist schockierend. Es stellt sich die Frage nach der Verantwortung. Wer kontrolliert den Betreiber, European Homecare? Warum gab es keine Sozialarbeiter, keine Personen des Vertrauens, an die sich die Flüchtlinge gewendet haben und gesagt haben, was ihnen widerfahren ist? Offensichtlich wird ja auch an Personal gespart, und das ist das dahinter liegende Problem.
Stucke: Aber da klingt ja schon heraus, da kommen wir sicher auch noch gleich drauf zu sprechen, Herr Burkhardt, aber da klingt schon heraus: Wenn es in dem Maße für Sie auch überraschend war – es gab da doch schon irgendwie auch mehr, schon vorher?
Burkhardt: Es gibt ja auch Berichte, dass es in anderen Unterkünften auch zu Misshandlungen gekommen ist. Wir haben in Deutschland Menschen mit einem Weltbild, was ich nur als menschenverachtend bezeichnen kann. Es gibt einen rechtsextremistisch eingestelltes Potenzial, völlig unabhängig, ob die Täter jetzt in dieses Milieu gehören oder nicht. Aber das Weltbild ist das Problem. Und es kann auf keinen Fall sein, dass in einer Sicherheitsfirma Menschen auf Flüchtlinge losgelassen werden, die zu solchen Taten fähig sind.
Integrations- und Sprachkurse gefordert
Dittmer: Sie haben die Firma angesprochen beziehungsweise die Firmen. Die Situation in NRW war ja so, wir haben es gehört: Es wird ein öffentlicher Auftrag vergeben, den übernimmt European Homecare, die wiederum engagieren den privaten Sicherheitsdienst. Ist das in Ihren Augen auch eines der wesentlichen Probleme, diese Sub-Sub-Unternehmenskultur, die ja auch Kontrollen letztendlich wesentlich schwieriger macht?
Burkhardt: Es ist ein Problem, ganz klar, keine Frage. Aber die weitergehende Frage ist: Wenn es einen vernünftigen Betreuungsschlüssel für Asylsuchende gibt in Form von Sozialarbeitern, von Menschen, die Flüchtlinge in ihren Verfahren begleiten. Wir haben es hier oft mit traumatisierten Menschen zu tun, die vor einem Krieg geflohen sind. Dann gehe ich doch zu so einer Person hin und sage, was passiert ist.
Pro Asyl fordert ein Aufnahme- und Integrationskonzept, und das heißt, schnelle Vermittlung in Wohnungen, in kleinere Unterkünfte. Man braucht Hilfestellungen beim Ankommen in Deutschland, eine qualifizierte Sozialarbeit. Es müsste Integrationskurse geben, Sprachkurse geben, Vermittlung in Wohn- und Arbeitsmarkt. Wenn es so ein Konzept gäbe, dann wären Flüchtlinge nicht über eine Zeitdauer in einer großen Einrichtung, wo sie offensichtlich quasi zum Freiwild werden für Sicherheitspersonal, was ein rassistisches Gedankengut hat.
Stucke: Und wo sie offensichtlich auch, was mich persönlich überrascht hat, Herr Burghardt, relativ alleine gelassen werden. Ist es wirklich so in diesen Flüchtlingsheimen: Es gibt den Platz, es gibt die Wachen von irgendwelchen Sicherheitsfirmen, und das war's – sonst ist da keiner?
Burkhardt: Genau diese Frage ist zu stellen. Wann sind die Taten passiert? Ist es so, dass da nur dieses Sicherheitspersonal nachts tätig ist? Das wissen wir auch von anderen Unterkünften. Aber wie werden Menschen, die vor einem Krieg geflohen sind, Verfolgung geflohen sind, aufgefangen?
Stucke: Gehört dann aber vielleicht auch als eine Forderung dazu, dass man dieses ganze System infrage stellt, dass also private Firmen damit ihr Geschäft aufziehen, dass sie solche Flüchtlingsheime eben betreiben. Wäre es dann nicht auch konsequent zu sagen, das sollte alles in öffentlicher Hand bleiben?
Bundesregierung muss Aufnahmekonzept entwickeln
Burkhardt: Es wäre eine naheliegende Forderung. Es ist eine naheliegende Forderung. Oder man muss arbeiten mit Wohlfahrtsverbänden, mit Menschen, die Standards haben. Aus Flüchtlingen kann man kein Geschäft machen. Aus der Flüchtlingsunterbringung kann man kein Geschäft machen. Und das wird auch die Frage sein, die die Landesregierung sich stellen muss: Wie erfolgt eine Betreuung?
Und dann sind wir auch bei der Frage nach dem Geld. Eine Aufnahme von Asylsuchenden kostet am Anfang Geld. Wenn ich aber Geld investiere, in Sprachkurse, in Vermittlung in Wohnungen, sodass die Menschen bald auf eigenen Füßen stehen, habe ich eine andere Ausgangslage, als wenn ich über eine längere Zeit Menschen in größeren Unterkünften unterbringe.
Stucke: Herr Burghardt, und wie sieht es mit den vielen Flüchtlingen aus, die jetzt eben gerade hierher kommen? Wie kann man denn realistisch für die eine gute Betreuung jetzt sicherstellen. Das ist ja etwas, was man nicht unbedingt in die Zukunft denken sollte, sondern was man auch jetzt braucht.
Burkhardt: Die Forderung von Kommunen, vom Deutschen Städte- und Gemeindebund nach mehr finanzieller Unterstützung auch durch den Bund, ist gerechtfertigt. Es wird in Deutschland ja so organisiert, dass überwiegend die Verantwortung für die Aufnahme auf die Kommunen abgeladen wird. Es spricht alles dafür, Integrationskonzepte zu entwickeln, die Integrationskurse des Bundes zu öffnen. Und das heißt, die Bundesregierung ist hier gefragt, ein Aufnahmekonzept zu entwickeln, was dann mit Ländern und Kommunen umgesetzt wird.
Dittmer: Der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt, zur Situation in deutschen Flüchtlingsheimen und den damit verbundenen Forderungen. Vielen Dank, Herr Burkhardt für das Gespräch!
Burkhardt: Gern geschehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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