Michael Cunningham: "Die Schneekönigin"

Die Kraft der Hoffnung

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Der US-amerikanische Autor Michael Cunningham © picture alliance / CTK / Michal Krumphanzl
Von Hans von Trotha · 17.04.2015
Michael Cunningham lehnt seine Romane gern an Klassiker an. In "The Hours" war es Virginia Woolf, in "Helle Tage" Walt Whitman. Sein neues Buch leiht sich den Titel von Hans Christian Andersen: "Die Schneekönigin". Es ist ein Roman über die Hoffnung.
Nun müssen Hoffnungen, von denen 250 Seiten lang erzählt wird, irgendwie in Erfüllung gehen, wenn man sein Publikum bei Laune halten will. Und das kann kitschig werden. Aber Kitsch ist für Cunningham kein Problem. Er hält ihn aus. Seine Figuren auch. Und Cunningham weiß sehr genau, was er da tut. "Wo, ab wann schlägt Inbrunst in Naivität um?", lässt er eine seiner Figuren fragen.
In Andersens Märchen zerspringt ein Spiegel. Bekommt man einen Splitter ins Auge, verändert das den Blick auf die Welt. Das passiert Tyler Meeks. Er ist Teil des Protagonistenquartetts, um das Cunningham seinen Roman gebaut hat. Alle vier sind irgendwie Schneekönigin, und alle schleppen sie viel Hoffnung mit sich herum: Beth, die blass und tapfer an Krebs stirbt, will sich draußen "beschneien lassen". Tyler, der potentiell begnadete Musiker ohne Erfolg, will Beth heiraten und zur Hochzeit endlich den einen großen Song geschrieben haben. Inspiration gibt ihm sein Schnee, das Kokain, während sein schwuler Bruder Barrett, hochfrequenzseriell monogam verliebter Yale-Überflieger mit Verkäuferjob im Secondhandladen, im Schneegestöber eine (Andersen entlehnte) Lichterscheinung hat und fortan nach dem tieferen Sinn der Liebe und dieser Erscheinung forscht. Und da ist Liz, in deren Laden Beth und Barrett jobben, eine Queen Mum der Punk-Ära mit weißer werdenden Haaren, die die Träume ihrer Jugend als gebrauchte Ware anbietet.
Vom Hohen ins Niedere
Im New Yorker Stadtteil Bushwick fallen die Grenzgänger zwischen vergangener Zukunft und drohendem Prekariat nicht weiter auf. Sie haben alle die vierzig deutlich überschritten. Hoffnung hält jung - zumindest in der Selbstwahrnehmung. Und hoffen kann man vieles - nicht zu sterben, endlich zu lieben, den Durchbruch zu schaffen, dass Bush nicht wiedergewählt wird (am Anfang) oder Obama es schafft (am Ende).
Wunder, Omen und Geheimnisse formen den Lebensmodus von Menschen, die es sich nicht leisten können, die Hoffnung aufzugeben. Cunnigham tunt die großen Tragödien zu kleinen Alltagsdramen herunter. Der Umschlag vom Hohen ins Niedere ist seine Form erzählerischen Witzes: "Barrett du verwechselst dich mit einer Figur aus einem B Movie - oder wo wir einmal dabei sind, mit einer Figur aus einem Roman von Dostojewski". Das ist der Cunningham-Twist: vom B-Movie zu Dostojewski (oder Woolf oder Whitman oder Andersen) und zurück.
Am Ende herrscht besonders große Hoffnungsdichte, auch ausgesprochenermaßen. In Klammern streut Cunningham gern seine Grundweisheiten in den Fließtext, etwa: "(Wer zieht nicht Phantasien dem Endergebnis vor?)" Da entzaubert er dann viel von dem, was er zuvor manchmal klappernd kitschig, manchmal durchschaubar gewollt, manchmal brillant überraschend und oft klug poetisch verzaubert hat. Kurzweilig, berührend und unerwartet hoffnungsvoll ist die Lektüre allemal.
Michael Cunningham: "Die Schneekönigin"
Aus dem Amerikanischen von Eva Bonné
Luchterhand Verlag, München 2015
286 Seiten, 21,99 Euro
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