"Mein Kampf": ein Bestseller in Brasilien

Von Klaus Hart · 01.10.2007
In den Buchläden und im Internet Brasiliens, der größten Demokratie Lateinamerikas, wird derzeit eine neue Auflage von Adolf Hitlers "Mein Kampf" in portugiesischer Übersetzung angeboten und findet laut Händlerangaben wie üblich reißenden Absatz. Keineswegs überraschend - denn das Tropenland ist von Antisemitismus gezeichnet, bot zahlreichen Kriegsverbrechern Unterschlupf und hat auffällig viele Hitler-Sympathisanten. Nicht wenige Brasilianer tragen amtliche Vornamen wie Hitler, Himmler oder Eichmann.
"Mein Kampf", auf Portugiesisch "Minha Luta", kostet umgerechnet rund 30 Euro und wird von Sao Paulos Verlag "Editora Centauro" als Prachtausgabe angepriesen. Auf dem braunen Hartpappe-Einband sind ein Porträt Hitlers sowie das Foto eines Reichsparteitags zu sehen, bei dem Hitler zwischen zackig grüßenden SA-Leuten eine Tribünentreppe hinaufsteigt, gefolgt von hohen Offizieren.

In Lateinamerikas Wirtschafts- und Kulturmetropole Sao Paulo hat natürlich auch die angesehene Spezialbuchhandlung "Martins Fontes" das Buch vorrätig. Sie liegt direkt an der Avenida Paulista, der lateinamerikanischen Wallstreet, und hat neben zahlreichen Banken auch Universitäten und Hochschulen ganz in der Nähe.

"Diese neue Ausgabe ist sehr gefragt", sagt der Fachverkäufer Josè Dantas:

"Hitler ist eine widersprüchliche Persönlichkeit und deshalb wollen eben viele an Geschichte und Philosophie Interessierte genauer wissen, was er wirklich dachte. Dass Hitler-Sympathisanten aus dem Buch falsche Schlüsse ziehen, ist nicht zu verhindern. Auch wegen des Internets ist heutzutage der Informationsfluss ohnehin nicht mehr zu kontrollieren. Zudem findet man derzeit weit üblere, aggressivere Bücher als jenes von Hitler. Man muss sich nur einmal bestimmte Werke bekannter Islamisten anschauen, die sich viel drastischer, derber ausdrücken als Hitler in 'Mein Kampf'. Hitlers Text hat längst nicht diese Wucht - aber es hängt eben alles von der Interpretation durch jeden Einzelnen ab. Und da steckt das Problem, das kann man nicht kontrollieren."

Keineswegs nur auf den nazistischen Websites von Brasilien wird die neue Ausgabe besonders von jüngeren Frauen und Männern regelrecht gefeiert, mit grob rassistischen und antisemitischen Tiraden. "Hitler ist der größte Politiker aller Zeiten", heißt es da, "Minha Luta" sei ein sehr gutes, ein geradezu phantastisches Werk.

Renommierte Sozialwissenschaftler, darunter die Historikerin Maria Luisa Tucci Carneiro von der Bundesuniversität in Sao Paulo erinnern in diesem Kontext daran, dass in Brasilien der Diktator Getulio Vargas, ein Hitlerverehrer und notorischer Judenhasser, bis heute auch offiziell außerordentlich verehrt wird, erst 2003 für Vargas in Rio de Janeiro ein großzügig gestaltetes Memorial eingeweiht wurde.

Zur Nazizeit kooperierte Vargas sogar eng mit der Gestapo. Per Geheimdekret wurde Tausenden von Juden die Einreise verweigert - viele in Brasilien lebende, darunter Olga Benario, wurden nach Deutschland deportiert, endeten im KZ. Brasilien trage Mitverantwortung an der Judenvernichtung, die Vargas-Regierung sei mitschuldig an nazistischer Ausrottung, sagt Maria Luisa Tucci Carneiro.

"In den Tagebüchern von Vargas kann man alles über diese Geheimdekrete nachlesen. Vargas wusste genau, was damals mit den Juden in Europa geschah - und dennoch hat er die Deportations- und Ausweisungsdekrete unterzeichnet. Seine Beziehungen zu Nazideutschland waren ja sehr eng. Heute indessen existiert kein politisches Interesse, diesen Teil der brasilianischen Geschichte aufzuarbeiten, offenzulegen, die historische Bedeutung dieser Vorgänge zu untersuchen."

Erst 1942 brach Diktator Vargas mit Nazideutschland, um nicht auf der Verliererseite zu stehen, beugte sich dabei auch dem Druck der USA. Nach 1945 gab Brasilien zwar zahlreichen berüchtigten Kriegsverbrechern wie Josef Mengele Unterschlupf und Aufstiegschancen, doch noch 1949, vier Jahre nach Kriegsende, wurden Einreisevisa für Juden per Geheimdekret verboten. Das offizielle Argument: Es handele sich um Überlebende der KZs, also psychisch gestörte Leute, an denen Brasilien kein Interesse haben könne.

Der polnische Jude Aleksander Laks war in Auschwitz, ist heute in Rio de Janeiro Präsident der örtlichen Vereinigung von Überlebenden des Holocaust. Seine Mutter wurde in Auschwitz vergast, sein Vater dort erschlagen, er selbst wurde von KZ-Arzt Josef Mengele selektiert. Laks ist stark enttäuscht, dass auch die jetzige Regierung weder amtliche Vornamen wie Hitler oder Himmler verbieten lässt, noch Naziornamente der Hitlerzeit aus Wohnhäusern und öffentlichen Gebäuden entfernt.

"Es gibt hier Nazis, auch entsprechende Websites, es gibt Antisemiten, die den Holocaust bestreiten. Selbst Kleiderständer in den großen Modegeschäften haben hier ein Hakenkreuzdesign, es ist kaum zu fassen."

Und Rios Rabbiner Nilton Bonder betont:

"Antisemitismus in Brasilien ist eher unorganisiert, aber das Land ist gegenüber Juden voller Vorurteile. Viele davon stammen aus der iberischen Kultur - denn Länder wie Spanien sind bis heute extrem antisemitisch. Es gibt Skinheads, die Juden hassen - und Hitler wird hier in Brasilien als berühmte Persönlichkeit angesehen."

Brasiliens heutiger Staatspräsident Luis Inacio Lula da Silva hatte bereits als Gewerkschaftsführer im Jahre 1979 klargestellt, wie er zu Hitler steht. In einem Interview sagte Lula damals: "Hitler irrte zwar, hatte aber etwas, das ich an einem Manne bewundere - dieses Feuer, sich einzubringen, um etwas zu erreichen. Was ich bewundere, ist die Bereitschaft, die Kraft, die Hingabe."