Medizintourismus in Deutschland

Der Scheich auf Zimmer 7

Etwa hunderttausend ausländische Patienten werden jährlich in deutschen Kliniken behandelt.
Etwa hunderttausend ausländische Patienten werden jährlich in deutschen Kliniken behandelt. © dpa / Uwe Zucchi
Von Andrea und Justin Westhoff · 26.07.2016
Die Patienten kommen aus Westeuropa, den Golfstaaten oder aus Russland und es geht um Milliardenerlöse: Das Geschäft mit dem Medizintourismus in Deutschland blüht. Doch wo so viel Geld zu holen ist, tummeln sich auch schwarze Schafe.
Tismer: "Die Leute, die sich das leisten können, treten die Reise an, und somit ist der Gesundheitstourismus wirtschaftlich auch von allergrößter Bedeutung."
Über zweihunderttausend Menschen kommen jedes Jahr aus dem Ausland hierher, um sich in deutschen Kliniken und Arztpraxen behandeln zu lassen. Knapp die Hälfte davon wird stationär aufgenommen. Sie kommen aus Westeuropa, aber noch öfter aus der Ferne. Bis 2001 reisten Patienten aus den Golfstaaten eher in die USA, inzwischen zieht es auch sie vermehrt nach Deutschland, offenbar, weil es in Nordamerika nach dem 11. September zunehmend starke Ressentiments gegenüber Arabern gibt. Und sehr viele Medizintouristen stammen aus den GUS-Staaten, vor allem aus Russland.
Juszczak: "Der Medizintourismus in Deutschland bringt im Jahr etwa 1,2 Milliarden Euro an Erlösen, natürlich noch Dinge wie Hotelübernachtungen, wenn die ausländischen Patienten einkaufen gehen und so weiter, da schätzt man in etwa noch mal dieselbe Summe, die mindestens da noch hinzukommt."
Private Krankenhäuser haben mehr Erfahrung mit internationalen Patienten als öffentliche. Christoph Tismer ist Geschäftsführer der Meoclinic Berlin.
"Jetzt sind wir beim Empfangsbereich, und hier haben die Patienten die Möglichkeit sich aufzuhalten..."
...arabische Männer, oft in langen, weißen Gewändern, manche mit großem Gefolge, die Frauen verschleiert. Afrikanerinnen mit bunten Tüchern um den Kopf geschlungen. Modisch und teuer gekleidete Männer und Frauen, die russisch in ihre Handys sprechen.

In der Heimat ist das technische Know-how noch nicht so weit

"Wir haben ein eigenes internationales Office, das sich eigentlich von morgens bis abends nur die Organisation der internationalen Patienten kümmert."
Der Medizintourismus nach Deutschland kann viele Ursachen haben. Für Patienten aus arabischen und osteuropäischen Ländern gilt:
"Entweder ist es der Tatsache geschuldet, dass in den Heimatländern das technische Know-how noch nicht so weit ist, beziehungsweise die Einrichtung der Krankenhäuser es nicht hergibt, hochkomplexe OPs zu machen, das zweite ist natürlich so die Expertise in bestimmten Bereichen."
Etwas anders liegen die Motive bei den westeuropäischen Patienten: Briten, Franzosen, Belgier und vor allen Niederländer reisen schon seit vielen Jahren hierher, weil sie in ihren Ländern bei "planbaren Eingriffen" mehrere Wochen auf einen Termin warten müssen. Für einige Krankenhäuser in den grenznahen Gebieten Nordrhein-Westfalens ist das Geschäftsmodell "Hüften für die Holländer” zu einer nennenswerten Einkommensquelle geworden.
Mitunter gibt es spektakuläre Einzelfälle wie den von Julija Timoschenko, der vor einigen Jahren für Schlagzeilen sorgte: Die inhaftierte ukrainische Politikerin wurde wegen ihres Rückenleidens von Charité-Spezialisten zunächst in ihrer Heimat – im Gefängnis – und nach ihrer Freilassung dann in Berlin behandelt.

Manchmal gehört die Behandlung in Deutschland zum guten Ton

Oder besonders berührende Fälle, wie den von Vera, über den die "Berliner Abendschau" berichtete:
"Vera. Sie ist gerade zwei geworden. Ihr dreifacher Herzfehler versorgt sie nicht ausreichend mit Sauerstoff. In der Ukraine fehlt es an den richtigen Herzspezialisten, darum ist sie mit ihren Eltern aus ihrer Heimatstadt Odessa nach Berlin gekommen."
In solchen seltenen Fällen wird die Behandlung in Deutschland als humanitäre Aktion organisiert. Das heißt, für die Kosten kommen private Hilfsvereine, Nicht-Regierungs-Organisationen oder auch einzelne Spender auf, weil Betroffene, wie Veras Eltern, das gar nicht bezahlen können.
"Sie haben gespart, aber 35.000 Euro für eine Operation sind für die Klavierlehrerin und den Seemann zu viel."
Julia Timoschenko
Auch die ukrainische Politikerin Julia Timoschenko wurde in Deutschland medizinisch behandelt. © Pavel Palamarchuk/RIA Novosti/dpa
Aber die meisten der internationalen Patienten wollen weder öffentliche Aufmerksamkeit, noch ist Geld für sie ein Problem. Einige reisen hierher, weil die Behandlung in Deutschland sogar preiswerter ist als in ihren Heimatländern. Für andere – etwa reiche Araber – gehört es auch quasi zum guten Ton, sich im Ausland behandeln zu lassen. Viele kommen für ästhetische Operationen oder Zahnbehandlungen, oft kombiniert mit einem anschließenden Urlaub, erzählt Christoph Tismer:
"Man muss davon ausgehen, nicht alle Patienten, die hierher kommen, sind tatsächlich kranke Patienten, dass viele aus dem russischsprachigen Raum im Rahmen von Checkup und Vorsorge hierher kommen, aus dem arabischsprachigen Raum werden viele chirurgische Eingriffe abgefragt, neurologische, viele kriegsverletzte Patienten, unterschiedlicher Natur bis hin zu rekonstruktiver Chirurgie als auch komplexere orthopädische Eingriffe, mit einer tatsächlichen Diagnose."
Und nicht wenige haben bereits eine lange Krankenodyssee hinter sich, ergänzt Dr. Yasar Seskin, einer der Chirurgen aus der Meoclinic:
"Die Patienten, die besuchen erstmal die lokalen Krankenhäuser in Saudi-Arabien oder in Russland, und wenn die da auch nicht weiterkommen, dann kommen die halt zu uns, und wir sind technisch eigentlich sehr gut ausgerüstet und die Patienten sind glücklich, deswegen haben wir auch größere Referenzen."
Eigentlich gibt es also Gründe genug, stolz über das Thema "internationale Patienten in Deutschland" zu reden. In Werbefilmen geschieht das auch.
Charité Video: "Die Bündelung von Hochleistungsmedizin und Expertise in der Diagnostik und Therapie hat die Charité weltweit zum Referenzzentrum für schwierige und risikoreiche Fälle gemacht."
Umso erstaunlicher, dass sich mehrere städtische Klinikkonzerne sowie Unikliniken zieren, Auskünfte oder gar Interviews zu geben.
"Leider kann ich Ihnen zu Ihrem Thema 'Medizintourismus' keinen Gesprächspartner vermitteln."
"Wir haben intern beschlossen, uns zum Thema internationale Patienten ungern nach außen zu äußern."
Solche Zurückhaltung hat, wie sich zeigen wird, Gründe. Privatkliniken sind da offener.
Tismer: "Wir haben die Möglichkeit, bis zu 3000 Patienten stationär pro Jahr zu versorgen, und bei uns ist die wirtschaftliche Bedeutung immens von den internationalen Patienten, und die haben sich in den letzten acht bis zehn Jahren zu einem sehr, sehr wichtigen Bestandteil in der Meoclinic entwickelt."
Geschäftsführer Christoph Tismer sieht sogar einen Gewinn für alle in einer Region.
"Die internationalen Patienten, das sind die, die alle Krankenhäuser möchten, weil die kann man natürlich, wie sagt man so schön, deckungsbeitragsmäßig am besten abrechnen, und deswegen möchte jeder die Patienten haben, alle kämpfen darum, insofern ist das, sag ich mal, etwas, was dem Standort Berlin als ganzem auch sehr gut tut."
Das ökonomische Hauptargument für den Medizintourismus in Deutschland lautet: Das Geld des "Scheichs von Zimmer 7" oder des russischen Oligarchen, die sich lieber hier behandeln lassen, verbessert die Einnahmen. Denn seitdem die Kliniken nach Fallpauschalen abrechnen müssen, haben sie kaum noch Spielraum in ihrem Etat. Mit dem zusätzlichen Geld können die Gesundheitsunternehmen beispielsweise modernere Geräte anschaffen und womöglich auch mehr Forschung betreiben. Es komme somit letztlich auch deutschen Patienten zugute. Ein gutes Geschäftsmodell, also, sagt Professor Hans-Jochen Brauns, Leiter des "Network for Better Medical Care", Berlin:
"Es ist inzwischen in Deutschland ein Milliardengeschäft, das liegt im zweistelligen Bereich, es ist ein nennenswerter Betrag, der zusätzlich zu den Vergütungen über die gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen hinzukommt. Und insbesondere für Krankenhäuser, die sich darauf spezialisiert haben und einen vergleichsweise hohen Anteil an Patienten aus dem Ausland haben, ist das sehr attraktiv."

Auf die besonderen Wünsche der Gesundheitstouristen eingestellt

Das "Netzwerk für bessere medizinische Versorgung" wurde 2005 gegründet, um Patienten aus dem Ausland – wörtlich – zu "akquirieren". Der Berliner Senat hat das unterstützt. Einige Krankenhäuser haben inzwischen ihre Komfort- und Privatstationen so eingerichtet, dass sie den besonderen Bedürfnissen und Wünschen der wohlhabenden Gesundheitstouristen gerecht werden können. Zum Beispiel auch die Berliner Klinik für Minimalinvasive Chirurgie.
"Wir haben uns organisiert in dem NBMC, und diese Vereinigung hat Standards vorgegeben, dass man also bestimmte Dinge vorhält wie zweisprachige Schwestern, Zimmerservice, Rücksichtnahme auf die Religion und so weiter und unter anderem eben auch Dolmetscher, das haben wir dann auch gemacht."
... erzählt der Klinikchef, Professor Omid Abri. Doch dann wurde das medizintouristische Angebot seines Hauses von Krankenkassen argwöhnisch beäugt:
"Wir hatten mal sehr viele ausländische Patienten, wir mussten uns dann jedoch den Vorwurf gefallen lassen, dass wir lange Wartezeiten haben, und die Kassen sprachen dann davon, wir sollten doch erst einmal unsere deutschen Patienten behandeln, bevor wir die ausländischen Patienten behandeln, und das haben wir dann sehr, sehr reduziert, weil wir haben begrenzte Kapazitäten."
Diese Kritik der Kassen trifft aber insgesamt statistisch nicht zu. Reiche Araber und Russen nehmen den einheimischen Patienten keine Ressourcen und Betten weg, sagt Hans-Jochen Brauns.
"Es sind immer Betten frei. Und der Anteil der ausländischen Patienten ist nicht so hoch, liegt, wenn überhaupt, allenfalls bei zehn Prozent."

Oft machten die Krankenhäuser Verlust

Und diese, so das Argument, könnten helfen, die Auslastung der Krankenhäuser zu erhöhen. Das lässt ein kürzlich pensionierter, in der Medizin aber weiter aktiver Transplantationsmediziner gar nicht gelten. Er formuliert sehr deutlich:
"Wenn die Auslastung der Häuser aus wirtschaftlichen Gründen zu gering ist, dann sollten stattdessen die kleinen Klitschen zugemacht werden, deren Behandlungsqualität nur mäßig ist. Außerdem stehen immer noch zu viele Großgeräte herum."
Vor allem: Oft drehe sich der wirtschaftliche Vorteil ins Gegenteil. Der Arzt, der anonym bleiben möchte, erzählt von seinen Erfahrungen:
"Manche Patienten waren in ihrer Heimat notdürftig behandelt worden, vor allem gab es Fälle von schweren Infektionen, gegen die kein Antibiotikum mehr half. Ein Patient, da wussten wir, der hat antibiotikaresistente Keime en masse. Aber wir mussten ihn dringend operieren. Der OP musste danach aufwendig desinfiziert werden und stand tagelang nicht zur Verfügung. Dazu kam das Isolierzimmer für den Mann, der sehr lange in unserer Klinik lag. Da wir viele solche Menschen behandelt haben, war das Ganze ein Verlustgeschäft. Und wem warf die kaufmännische Leitung das vor: Uns Ärzten!"
Andere Kollegen berichteten, bei Schönheitsoperationen, Zahnersatz oder künstlichen Gelenken seien oft Behandlungsfehler im Heimatland vorausgegangen, so dass die Therapie auch hier ungewöhnlich aufwendig gewesen sei.
"Vieles wurde vorher verpfuscht, aber auf den meisten Zusatzkosten blieben die Kliniken hier sitzen."
Der Ökonom Jens Juszczak bestätigt das. Er hat an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg umfassende Studien zum Thema Medizintourismus gemacht. Zwar stimme es, dass ausländische Patienten außerhalb der Klinikbudgets abgerechnet werden. Aber der Mehraufwand, auch zum Beispiel für meist notwendige längere Gespräche, für Übersetzungen und komplizierte Abwicklungen, werde nicht bezahlt und gehe somit zu Lasten der Allgemeinheit.
"Deswegen ist es aus unserer Sicht natürlich falsch, wenn man sagt, die Klinik darf diese höheren Kosten, die sie oft hat, die zum Teil 50, 60 Prozent Mehrkosten Minimum sind, nicht abrechnen. Also hier müsste es andere Abrechnungsmöglichkeiten geben, dass eben dort keine Subvention der deutschen Kassenpatienten – sage ich mal übertrieben – an den arabischen Scheich gezahlt werden."

Fließt das vereinbarte Honorar?

Was spräche denn dagegen, dass Patienten, die nicht Teil unseres Gesundheitssystems sind, höhere Abrechnungen bekommen? Wäre das nicht "gerechter"? Laut Juszczak sagt das Bundesgesundheitsministerium dazu:
"Ausländischer Patient ist gleich deutscher Patient, und darf deswegen natürlich auch nur so abgerechnet werden."
Für ein lohnenswertes Geschäftsmodell Gesundheitstourismus gibt es ein weiteres Risiko: Fließt am Ende wirklich das vereinbarte Honorar? Zum Beispiel kommen einige der internationalen Patienten über ihre Botschaften nach Deutschland, wenn sie zu Hause nicht ausreichend behandelt werden können. Und da es in manchen arabischen Staaten gar keine Krankenversicherung gibt, zahlt dafür das Gesundheitsministerium des Heimatlandes.
"Allerdings haben wir oft festgestellt, dass entsprechende Botschaften sich unter Umständen sehr, sehr lange Zeit lassen für die Bezahlung, oder dann auch mal Bezahlungen einfach nicht getätigt werden und die Forderungen der Kliniken offen bleiben."
Viele Krankenhäuser sind deshalb dazu übergegangen, von den Botschaften oder den Patienten selbst schon vor Behandlungsbeginn Geld zu verlangen. Jens Juszczak:
"Immer Vorkasse, dann schläft der Klinikchef deutlich ruhiger. Die Klinik hat es natürlich schwer, die Behandlungskosten wirklich zu schätzen, weil der Patient ja oft noch im Ausland ist. Sie kriegen dann Unterlagen aus dem Ausland, die zum Teil von sehr, sehr schlechter Qualität sind. Wenn der Patient erst mal in einer deutschen Klinik ist, können die ja nicht sagen: 'Oh, Geld reicht nicht, wir schicken Dich wieder zurück', sondern da gilt natürlich auch die Behandlungspflicht, und dann dem Geld hinterher zu laufen, insbesondere, wenn Patient oder Vermittlungsagentur schon wieder im Ausland sind, ist oft sehr, sehr schwierig."
Das Stichwort "Vermittlungsagentur" verweist auf ein weiteres, größeres Problem auf dem gesetzlich kaum kontrollierten Markt. Nämlich: Wie kommen die internationalen Patienten überhaupt hierher? Häufig geschieht das über professionelle Agenturen oder einzelne Personen, sagt Wissenschaftler Juszczak.
"Wir gehen von der Zahl über 10.000 aus, der Beruf Patientenvermittler ist ja nicht Ausbildungsberuf, sondern das kann ja jeder machen. Er muss gar keine Kenntnisse oder ähnliches haben, es gibt relativ wenige Firmen, das sind, denke ich mal, ein paar hundert, die auch entsprechende Mitarbeiter vorhalten, aber das Gros sind wirklich Einzelvermittler, die auch als Einzelpersonen agieren."

Keine Mindestqualifikationen für die Vermittler

Die einzelnen Patienten haben meist keine Möglichkeit einzuschätzen, an wen sie da geraten:
"Es ist natürlich ganz kompliziert, wenn Sie in Russland auf jemanden treffen, der sagt, ja, ich kann deine Krankheit in Deutschland behandeln lassen, ich kenne mich da aus, einzuschätzen, ob derjenige dazu befähigt ist, oder ob er nur das schnelle Geld verdienen kann."
Jens Juszczak fordert daher einige Mindestqualifikationen für Vermittler, die hier tätig werden dürfen.
"Wir handeln ja nicht mit irgendwelchen Waren, sondern hierbei dreht es sich immer um Menschen, die erkrankt sind, und da ist eine der großen Voraussetzungen, die jemand mitbringen muss, dass er zumindest irgendwelche medizinischen Grundkenntnisse haben sollte, zum Teil sind das ja sterbenskranke Patienten, und wenn derjenige nicht einen kardiologischen Bypass von einem Magenbypass unterscheiden kann, ist das schon sehr, sehr schwierig, weil die Funktion dieses Agenten ist ja auch, hier in Deutschland eine geeignete Klinik, einen geeigneten Arzt auszusuchen, und wenn er überhaupt keine Ahnung davon hat, ist das ein sehr, sehr großes Problem aus meiner Sicht."
Viele Vermittler sind dubios, der Markt weist teilweise mafiöse Strukturen auf. Und die wirklich heftigen wirtschaftlichen Nachteile treffen vor allem die Patienten, selbst wenn sie gar nicht vermögend sind.
"Leider gibt es sehr viel mehr unseriöse Anbieter als seriöse, wir sehen das halt, obwohl der Patient oft schon austherapiert ist, wird versprochen: Hier wird der Patient geheilt. Dann wird versucht, möglichst teure Behandlungen zu verkaufen, ob das nun zum Wohle des Patienten ist oder nicht, insbesondere geht’s eben ganz oft um eine fehlerhafte Abrechnung, Patientenvermittler versuchen dann auf beiden Seiten zu verdienen, einmal vom Patienten, und zum anderen wollen sie gern auch noch von dem Behandler Geld haben und das kann man relativ gut ausrechnen, wenn man eine Behandlung hat, die vielleicht ein Erlösvolumen von 100.000 Euro hat und der Patientenvermittler von beiden Seiten 20 Prozent kassieren möchte."

"Kopfgeld" für Sterbenskranke?

Darüber, dass sterbenskranke Patienten, denen auch in Deutschland niemand mehr helfen kann, trotzdem hierher gelockt werden, gab es mehrere Berichte. In München hatte eine Agentur ihren Sitz, die selbst von unheilbar Kranken zehntausende Euros abgezockt hatte. Auf eine Anfrage im Bayerischen Landtag, was die dortige Regierung dagegen zu tun gedenke, lautete die Antwort lapidar:
"Verträge zwischen Vermittlern und Patienten sind zivilrechtlich und unterliegen nicht staatlicher Aufsicht. Die Zertifizierung von Vermittlungsagenturen stellt einen erheblichen Eingriff in das Marktgeschehen dar."
In Lüdenscheid hat ein Gericht tatsächlich einem solchen Unternehmen auferlegt, es solle seine weit überhöhten "Schlepper-Provisionen" zurückzahlen. Auch das Landgericht Kiel hat "Kopfgeld" als "sittenwidrig" beurteilt. Dass es bei der Vermittlung ausländischer Patienten häufig zur Abzocke kommt, belegen auch die Untersuchungen der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg.
"Wir haben gesehen bei diesen Abrechnungen vom Patientenvermittler, da sind Sachen mehrfach auf der Rechnung aufgeführt worden, da wurden falsche Preise genommen worden und ähnliches, wenn der Patient sich an die Klinik gewandt hat, dass die sehr erstaunt war über die Rechnungshöhe, weil die Klinik hatte eine ganz andere, oft sehr viel niedrigere Rechnung an den Patientenvermittler geschickt."
Seriöse Krankenhäuser, die Menschen aus dem Ausland behandeln, arbeiten entweder gar nicht mehr mit so genannten "Beratungsagenturen" zusammen, oder aber sie schicken dem Patienten eine Kopie der Rechnung, damit dieser die tatsächlichen Kosten nachvollziehen und gegebenenfalls dem Vermittler entgegenhalten kann. Dabei ist bei ordentlicher Auslegung die Rechtslage eigentlich klar: Für Patienten aus dem Ausland dürfen – wie gesagt – keine anderen Honorarsätze verlangt werden als für deutsche. Aber man trickst und nimmt zum Beispiel horrende Honorare für Zusatzleistungen. Oder Vermittler raten zu überflüssigen Untersuchungen und Behandlungen. Und Kliniken oder Ärzte lehnen die nicht unbedingt ab:
"Der Arzt profitiert ja auch davon, wenn der der Meinung ist, ja, die Behandlung und so ein MRT kann man machen, sie wäre aber nicht nötig, wird das öfter gemacht als wenn – wie bei uns – eine Kasse dahinter stehen würde, die das Ganze hinterfragt. Weil der Patient aus dem Ausland kann das nicht einschätzen, und deswegen sind natürlich auch Ärzte und Kliniken dabei, das mitzumachen."
Alle, die sich mit dem Thema ausländische Patienten in Deutschland befassen, kennen irgendwelche Negativbeispiele. Auch Hans-Jochen Brauns, der Leiter des "Network for Better Medical Care", ansonsten Befürworter des Medizintourismus, schildert einen besonders krassen Fall:
"Ich bin persönlich mal angesprochen worden über einen arabischen Bekannten auf die Behandlung eines schwer verletzten Irakis. Ein auf solche Fälle spezialisiertes Krankenhaus, die haben gesagt, er muss erst mal zur Untersuchung kommen, kostet so und so viel. Im konkreten Fall hat ein arabischer Vermittler, sich der Sache angenommen, hat insgesamt 200.000 Euro bekommen, hat ihn im Unfallkrankenhaus in Berlin untersuchen lassen, und hat ihn dann noch mal – aus Gründen, die ich nicht nachvollziehen kann – im Klinikum Braunschweig untersuchen lassen. Das Ganze hat 30.000 Euro gekostet, dann hat der Vermittler kurzfristig den Termin im Unfallkrankenhaus zur Anpassung der Prothese abgesagt, und als der Patient sich an seinen Bekannten – also unseren Bekannten – gewendet hat, und der Vermittler das mitbekommen hat, hat er den Patienten durch die deutsche Polizei, weil gerade sein Visum abgelaufen war, in den Irak zurück transportieren lassen."

Schöne Werbefilme im Internet

Vielleicht erklären solche und ähnliche Geschichten, warum manche Krankenhäuser nichts sagen zu den Vermittlern und möglichst auch nicht zum Geschäftsmodell Gesundheitstourismus. Stattdessen lassen sie lieber schöne Werbefilme im Internet sprechen:
Charité Werbung: "Berlin. Die deutsche Hauptstadt im Herzen Europas. Kulturmetropole und grüne Stadt der Flüsse und Seen. Heimat der Charité. Nirgendwo sonst in Europa arbeiten so viele Ärzte und Spezialisten interdisziplinär zusammen wie in der Charité."
Selbstverständlich unterstellt niemand, dass sich Europas größtes Uniklinikum an irgendwelchen unlauteren Machenschaften beteiligt. Aber offenbar fällt es etwas schwer zu vermitteln, dass eine steuerfinanzierte Institution Scheichs und anderen Reichen VIP-Stationen bereitstellt mit luxuriöser Rundumbetreuung und Parkplätzen für dicke Limousinen.
Die Charité in Berlin.
Die Charité in Berlin ist eine der bekanntesten Kliniken in Europa. © imago/Schöning
Doch um auf dem hart umkämpften Markt des Medizintourismus mit anderen Zielregionen konkurrieren zu können, ist es notwendig, Angebote außerhalb der rein medizinischen Versorgung zu machen. Das fällt, wie erwähnt, privaten Institutionen naturgemäß leichter. Etwa der Meoclinic. Hier kümmert sich unter anderem Dr. Yasar Seskin um ausländische Patienten.
"Die kommen ja nach Deutschland, weil die halt auch von der deutschen Medizin sehr beeindruckt sind, aber wenn die natürlich aus dem arabischen Raum kommen, dann muss man ein bisschen mehr Zeit für die Patienten auch einbringen, und die Familie, die spielt ja da vor allem im arabischen Raum eine große Rolle, und wenn man da alle Angehörige mitnimmt, dann ist das auch auf jeden Fall für die endgültige Therapie produktiv, sagen wir mal so."
Tismer: "Wenn wir da, wie jetzt gerade der Fall, arabische Patientinnen haben, die verschleiert sind und natürlich während der Therapieeinheit den Schleier ablegen müssen, da wird natürlich darauf geachtet, dass der Raum verschlossen ist, und dass natürlich nur weibliche Therapeutinnen mit an der Therapie teilhaben."
Selbstverständlich ist es nicht getan mit einem sensibleren Eingehen auf die Kultur. Um zahlungskräftige ausländische Patienten nach Deutschland zu locken, braucht es schon mehr, weiß Christoph Tismer:
"Das ist eine komplette Organisationsstruktur, dass wir mehrsprachiges Personal haben, dass wir ein großes Netzwerk an kooperierenden Dolmetschern zur Verfügung haben, wir haben mit den ganzen großen Hotels in ganz Berlin enge Kooperationsverträge, können da natürlich Begleitpersonen gegebenenfalls für Sonderkonditionen einbuchen, wir haben unser Cateringunternehmen, was die Speisenversorgung im Klinikbereich sicherstellt, ist auch ausgerichtet, dass wir mit einem Vorlauf von 24 Stunden halal, auch koscheres Essen den Patienten angedeihen lassen können, das heißt, das Ganze ist schon darauf ausgerichtet, das wir den Patienten neben dem medizinischen Behandlungsspektrum auch weitest möglichen guten Service, den sie auch aus ihrem Land gewohnt sind, zugedeihen lassen können."

Es fehlt an Vermarktungsstrategien

Insgesamt aber hinkt die Hauptstadtregion immer noch hinter München oder auch dem Rheinland her, von ihren "Leuchttürmen" abgesehen. Eine "Potenzialstudie Medizintourismus Berlin-Brandenburg" von "Berlin Partner" aus dem Jahr 2015 kommt zu dem Schluss, es fehle schon an der Kooperation zwischen medizinischen Einrichtungen. Hans-Jochen Brauns vom Zusammenschluss "Network for Better Medical Care":
"Wenn Sie beispielsweise auf der Website von Visit Berlin als Gesundheitstourist etwas suchen, da müssen Sie schon ziemlich suchen, um das zu finden. Man muss mit Gesundheits-Dienstleistern in den Zielregionen versuchen, auch Kontakte zu knüpfen, damit die, wenn sie meinen, wir können das nicht, und der sollte ins Ausland gehen – oder auch aus Statusproblemen – dann sofort Berlin im Kopf haben."
Um nachhaltig attraktiv für Kranke aus dem Ausland zu sein, braucht es außerdem umfassendere Unternehmenskonzepte in den Krankenhäusern.
"Viele haben die Illusion, es reicht – jetzt mal mit Blick auf arabische Patienten – den Speiseplan zu ändern und dann vielleicht unter den Pflegekräften die eine oder andere zu haben, die zumindest englisch, möglichst arabisch spricht. Das reicht nicht. Also man muss, wenn man wirklich erfolgreich Patienten aus dem Ausland behandeln will, das als Teil der Unternehmensstrategie entwickeln und auch entsprechend investieren."
Schließlich, so die Medizintourismusstudie, fehle es an internationalen Vermarktungsstrategien. Denn es gibt einen weltweiten Verteilungskampf um Gesundheitstouristen. Die USA sind immer noch sehr beliebt, und Polen zum Beispiel wegen der guten Preise für Zahnersatz. Als generell schönes und erholsames Reiseziel für Menschen, die medizinische Hilfe suchen, punkten auch Mexiko und sogar Malaysia und Südkorea – wie gut dann das Behandlungsergebnis aussieht, ist eine andere Frage.
Vertreter jener Kliniken, die Wert auf ausländische Patienten legen, besuchen zum Beispiel eine Medizin-Messe in Dubai, um dort für sich zu werben. Und sie nutzen das Internet, wie Meo-Geschäftsführer Christoph Tismer sagt:
"Plattformen, an denen man sich als Klinik oder Arztpraxis präsentieren kann, und die sind länderspezifisch, zum Beispiel bei Yandex, das ist das russische Google, und die Patienten haben dort die Möglichkeit, sich eine Stadt auszusuchen, zum Beispiel in Deutschland München oder Berlin, und dementsprechend nach Diagnoselage auch ein Krankenhaus oder eine Einrichtung auszusuchen und darüber kommen zusehends jetzt auch Patienten zu uns."

Ausländische Ärzte in Deutschland fortbilden

Den Medizintourismus als wichtigen Teil des Tourismusgeschäfts insgesamt sehen, darum geht es. Und als solches bringt er positive Effekte für Fluglinien, Hotellerie und Einzelhandel. Die "Heidelberg-Marketing GmbH" zum Beispiel arbeitet dafür nicht nur mit dem Uniklinikum, sondern auch mit Anbietern von Tourismus-Attraktionen zusammen.
"Der Gesundheitstourismus wächst weiter. Wir bedienen den Markt mit verschiedenen Marketingmaßnahmen. Das Gesamtpaket besteht aus medizinischer Versorgung, Unterkunft und Tagesprogramm für mitreisende Familien."
Der Scheich von Zimmer 7 muss eben, auch wenn er krank ist, als Reisender und Gast behandelt werden, erklärt Christoph Tismer:
"Das ist auch ein Anspruch, den wir gegenüber den Patienten hier haben, vom ärztlichen Personal bis hin zur Pflege, bis hin zur Reinigung, dass die Patienten bei uns die Gäste sind. Deswegen steht auch nicht Patientenzimmer dran, sondern Gästezimmer. Das heißt, das soll ein bisschen den erhöhten Servicecharakter, den wir hier mit der medizinischen Leistung in Kontext bringen, unterstreichen und den Patienten immer auch das Gefühl geben, nur wer sich wohlfühlt, wird auch gesund. Das ist nicht einfach nur dahergesagt, so als schöner Pro-Slogan, sondern das ist so eine Maßnahme, an der wir auch aktiv arbeiten."
So gut das in diesem konkreten Fall auch funktionieren mag: Das Wort "Medizintourismus" hat schon einen gewissen Ruch von Geschäft mit Gesundheit und Krankheit. Die ausländischen Patienten machen jedoch nur einen geringen Prozentsatz der Behandelten aus. Dennoch können sie insgesamt für einen Teil des deutschen Gesundheitswesens wirtschaftliche Vorteile bringen.
Scheichs und reiche Russen leisten sich Auslandsreisen zur Behandlung ohnehin. Aber – ob arm oder reich – viele Kranke können in ihrer Heimat oft nicht richtig behandelt werden. Ganz abgesehen von akuter humanitärer Hilfe für Kriegsverwundete oder Folteropfer. Wo Hilfe im Vordergrund steht, wäre also eine ganz andere Frage: Warum werden nicht mehr ausländische Ärzte bei uns fortgebildet, damit ihre Landsleute keine weite und manchmal unerquickliche Reise auf sich nehmen müssen? Hans-Jochen Brauns vom Berliner "Network for Better Medical Care" wäre sehr dafür.
"Das wird aber nicht so systematisch angegangen wie der Patiententourismus, weil es im Zweifel auch weniger lukrativ ist. Auf der anderen Seite würde ich mal behaupten: Ein Arzt, der hier – sagen wir mal – ein halbes Jahr sich hat fortbilden lassen, und in seinem Heimatland einen schwierigen Fall bekommt, den er sich nicht zutraut, der wird im Zweifel den Patienten hierher schicken."
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