Mechtild Borrmann: "Trümmerkind"

Auf der Suche nach der eigenen Herkunft

Buchcover "Trümmerkind" von Mechtild Borrmann. Im Hintergrund die Schattenumrisse einer Familie.
Buchcover "Trümmerkind" von Mechtild Borrmann. Im Hintergrund die Schattenumrisse einer Familie. © Droemer Verlag / dpa / M. C. Hurek
Von Ursula März · 24.02.2017
Rückblick ins Jahr 1947: Mit ihrem Roman "Trümmerkind" greift Mechtild Borrmann auf Geschehnisse der unmittelbaren Nachkriegszeit zurück. Auf drei Zeitebenen erzählt sie eine spannende Geschichte über Verlust, Vertreibung und Identität.
Der Überraschungserfolg von Dörte Hansens Debüt "Altes Land" verblüffte auch Kenner der Buchbranche. Der Roman erschien zu Beginn 2015, rückte auf der Bestsellerliste unaufhaltsam nach oben und besetzte über ein Jahr den ersten Platz. Alle Faktoren sprachen gegen diesen Siegeszug: Das Buch kam ohne Verlagswerbung und mediale Aufmerksamkeit auf den Markt, wurde von den Feuilletons weitgehend ignoriert, der Name der Autorin war vollkommen unbekannt und das Sujet ihres Roman weit entfernt von einschlägigen Bestsellerreizen.
"Altes Land" verknüpft eine aktuelle Dorfgeschichte mit der Nachkriegszeit. Zwei Lehren lassen sich aus dem Erfolg ziehen: Erstens die Macht der Buchhändler nicht zu unterschätzen, denn es war ihre Begeisterung, die auf die Leserschaft übersprang. Zweitens den Geschmack jener Leser nicht zu unterschätzen, die unterhaltsame Literatur, aber nicht auf trivialem Niveau konsumieren möchten.

Drei Zeitebenen wechseln sich ab

Beides, Unterhaltung und gediegenes literarisches Niveau, besitzt der neue Roman der bislang vor allem als Krimiautorin bekannten Mechtild Borrmann. "Trümmerkind" lautet der Titel ihres Buches. Es steht ebenfalls auf der Bestsellerliste und greift, wie "Altes Land", auf Geschehnisse der unmittelbaren Nachkriegszeit zurück.
Auf drei Zeitebenen, die sich von Kapitel zu Kapitel abwechseln, wird die Geschichte zweier Familien erzählt, die ein Geheimnis verbindet, das am Ende eines so konventionell wie solide errichteten Spannungsbogens gelüftet wird. Der Roman beginnt mit einer Szene im Januar 1947 in Hamburg: Der 16-jährige Hanno, der mit seiner Mutter und seiner kleinen Schwester in einem brüchigen Kellerraum überwintert, findet in einer Bombenruine eine tote nackte Frau. Ein paar Meter von ihr entfernt steht ein dreijähriger, augenscheinlich verlassener Junge. Hanno nimmt ihn mit.
Unter dem Namen Joost wird er bei der Familie aufwachsen und erst als erwachsener Mann erfahren, dass er ein "Trümmerkind", Hanno nicht sein Bruder, Agnes nicht seine leibliche Mutter ist. Im August 1992 macht sich in Köln eine 40-jährige Lehrerin Anna auf die Suche nach dem Gut in der Uckermark, von dem, so hat sie es zumindest immer gehört, ihre Mutter abstammt und nach 1945 von den Sowjets vertrieben wurde.

Einem alten Verbrechen auf der Spur

Das Eintreffen der sowjetischen Armee in Ostdeutschland, die Plünderungen und Vergewaltigungen durch sowjetische Soldaten, die Flucht der Familie des Gutsbesitzers, ihre vorübergehende Unterkunft in Norddeutschland und ihr rätselhaftes Verschwinden stellen den dritten Erzählstrang des Romans dar. Alle drei Stränge laufen auf die Geschichte eines 1947 begangenen Verbrechens zu, dem Joost und Anna vier Jahrzehnte später auf die Spur kommen. Ihre Recherchen klären sie auch über ihre Herkunft und ihre Identität auf.
"Trümmerkind" ist ein gelungenes Beispiel für den Spagat zwischen U und E, zwischen unterhaltsamer und ambitionierter Literatur, die zu Recht ein breites Publikum anspricht. Der klassische Spannungsplot des Romans stützt sich dabei auf seriöse historische Kenntnis.

Mechtild Borrmann: Trümmerkind
Droemer Verlag, München 2016
300 Seiten, 19,95 Euro

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