Malu Dreyer: Gesetz gegen Ärztemangel geht nicht weit genug

Malu Dreyer im Gespräch mit Marcus Pindur · 03.08.2011
Die rheinland-pfälzische Gesundheitsministerin Malu Dreyer (SPD) hält die Pläne der Bundesregierung zur Bekämpfung des Medizinermangels in ländlichen Regionen für ein "Sammelsurium von Einzelmaßnahmen", die nicht zu einer deutlichen Verbesserung führen würden.
Marcus Pindur: Ohne Umsteuern in der Gesundheitspolitik könnte es Landärzte bald nur noch in Fernsehserien geben. Bereits bis 2020 dürfte die Zahl der Hausärzte insgesamt laut kassenärztlicher Bundesvereinigung um gut 7.000 sinken, und schon heute fehlen viele, eben besonders auf dem Land. Die Bundesregierung will deshalb heute das sogenannte Versorgungsstrukturgesetz verabschieden: Wer in einem unterversorgten Gebiet praktiziert, soll künftig keine Abschläge mehr bei den Honoraren hinnehmen müssen. Außerdem soll die Bezahlung der niedergelassenen Ärzte nicht mehr zentral, sondern in den Regionen verhandelt werden. Beugt das nun alles der Landflucht der Ärzte vor? Wir fragen Malu Dreyer, SPD, sie ist Gesundheitsministerin in Rheinland-Pfalz. Guten Morgen, Frau Dreyer!

Malu Dreyer: Guten Morgen, Herr Pindur!

Pindur: Zunächst mal zur Situation in Ihrem Bundesland, in Rheinland-Pfalz: Haben Sie dort auch das Problem mit dem Mangel an Landärzten?

Dreyer: Wir haben zurzeit noch, wie einige andere Bundesländer auch, nach wie vor eigentlich mehr Ärzte im niedergelassenen Bereich und im Krankenhaus als jemals zuvor. Allerdings haben wir deutlich Regionen, wo die Nachbesetzung von Praxen beispielsweise oder auch Krankenhausstellen außerordentlich schwierig geworden ist, weil sie nicht so attraktiv sind wie andere, und wir haben auch das Problem, dass wir natürlich in den demografischen Wandel laufen, das heißt: Viele älter werdende Ärzte und Ärztinnen, sodass nicht ausreichend Nachwuchs vorhanden sein wird.

Pindur: Also, da wird einerseits nach Nachwuchs gesucht, andererseits verhält der Nachwuchs sich nicht so, wie man es von ihm erwartet. Was halten Sie denn von der Lösung, die die Bundesregierung gefunden hat, jetzt einfach Anreize zu schaffen für junge Ärzte, auch aufs Land zu gehen?

Dreyer: Ja, insgesamt halte ich es natürlich für richtig, Anreize im ländlichen Bereich zu schaffen. Nichtsdestotrotz ist der Gesetzentwurf, den wir jetzt sehen, wenn er so verabschiedet wird, wie er gestern bekannt wurde, nicht der große Wurf. Es ist ein Sammelsurium von Einzelmaßnahmen, die Sie beispielsweise genannt haben, die in der Sache durchaus richtig sind, aber es fehlt einfach an Kreativität, es fehlt an Mut, es wird teilweise auch Bürokratie aufgebaut, sodass wir nicht davon ausgehen können, dass diese Einzelmaßnahmen wirklich zu einer gravierenden Verbesserung führen werden.

Es ist sicherlich richtig, auch finanzielle Anreize im ländlichen Bereich zu schaffen. Das Grundproblem allerdings wird überhaupt nicht angegangen, nämlich die Tatsache, dass wir in überversorgten Regionen ja vor allem auch viele privatversicherte Menschen haben, und dort werden mehr Honorare an Ärzte bezahlt. Das bedeutet, die Region ist erheblich attraktiver, und man hätte tatsächlich etwas tun müssen in der Angleichung der entsprechenden Honorare zwischen Privatversicherten und gesetzlich Versicherten, zum Beispiel im Rahmen einer Bürgerversicherung, um dieses Grundproblem strukturell auch zu beseitigen.

Pindur: Das hat diese Koalition natürlich nicht vor, das ist nicht in ihrem Sinne, einen Systemwandel wird es da nicht geben. Aber jetzt noch mal die Frage: Wird es denn damit gelingen, denken Sie denn, mit diesen – wenn auch begrenzten – Maßnahmen Anreiz zu schaffen und dann auch mehr junge Mediziner aufs Land zu ziehen?

Dreyer: Ich bin da höchst skeptisch an dieser Stelle. Ich denke, es ist zusätzlich eine Attraktivitätssteigerung. Wenn wir aber nicht umfassender die Problematik angehen, werden wir es langfristig nie schaffen, mehr Ärzte aufs Land zu bekommen. Es fehlt in dem Gesetzentwurf der ganze große Bereich der Ausbildung; auch Menschen zu gewinnen, die Lust haben, auf dem Land zu praktizieren, ihnen eine Chance zu geben, überhaupt in dieses Medizinstudium auch Eingang zu finden. Es fehlt auch mehr die Stärkung des gesamten hausärztlichen Bereiches, spezialärztlicher Bereich wird gestärkt, nicht dagegen wirklich der Hausarzt, außer an diesem einen Punkt, den Sie eben genannt haben. Und ich denke nicht, dass das in der Perspektive reicht, um wirklich das gravierende Problem der Zukunft zu bewältigen.

Pindur: Das Gesetz sieht auch noch weitere Möglichkeiten vor. Zum Beispiel, dass man Praxen in Ballungsräumen, statt sie eben neu auszuschreiben, schließt und damit einfach den Druck erhöht, auch für Ärzte aufs Land zu gehen.

Dreyer: Ja, das ist mit Sicherheit ein ganz wichtiger Punkt, das ist im Übrigen auch jetzt schon, nach der jetzigen Gesetzeslage grundsätzlich möglich, wird allerdings als Instrument gar nicht angewandt, und auch da noch mal die Kritik, dass da all diesen Dingen eigentlich die Instrumente nicht wirklich scharf gestellt werden. Das heißt, es ist die Frage, woher kommt eigentlich am Ende das Geld, um diese Praxen aufzukaufen, um auch ein Stück weit über die kassenärztliche Vereinigung besser steuern zu können? Am Ende zahlt in der Regel in diesem Gesetz der Versicherte die Zeche. Und da wir einen Systemwechsel erlebt haben bei der letzten Rösler-Reform, bedeutet das eben auch, dass es ausschließlich die Versicherten sind, die ja diese Möglichkeiten bezahlen.

Pindur: Jetzt kommen wir zum grundsätzlichen Problem, was die Mediziner in unserem Lande betrifft: 50 Prozent unserer Ärzte sind über 50, und gleichzeitig wandern aber so viele junge deutsche Ärzte ab, zum Beispiel nach England, zum Beispiel nach Skandinavien. Warum ist das so?

Dreyer: Das hat sehr unterschiedliche Gründe: Zum einen geht es immer um dieses Thema Bürokratie, es geht immer um das Thema Angst vor Regress, es geht auch um die Bezahlung, aber oft eigentlich auch nur vordergründig. Es geht auch darum, dass das Arbeiten in anderen Ländern auch anderes strukturiert ist, das ist gerade in den skandinavischen Ländern, aber auch in England arbeitet man sehr viel stärker auch mit anderen Gesundheitsfachberufen zusammen. Das heißt, auch das ist eine Palette von anderen Situationen, wie wir sie hier in Deutschland haben, und für einen FDP-Vorschlag jetzt in diesem Sinne bin ich persönlich auch sehr überrascht, dass Bürokratie an einer Stelle leicht abgebaut wird, aber an einer anderen Stelle zum Beispiel erheblich aufgebaut wird, nämlich dort, wo es um die spezialärztliche Versorgung geht. Das ist ein Thema, was Ärzte wirklich bewegt, und das Thema Regress sowieso.

Pindur: Bürokratieabbau wird ja nun von Ärzten schon seit Jahrzehnten gefordert. Und da ist ja unter jeder Bundesregierung bisher einfach immer noch ein Schlag draufgekommen. Was schlagen Sie denn konkret vor?

Dreyer: Ja, es ist durchaus ein ganz schwieriges Thema, weil man immer in der Zwickmühle ist zwischen Nachweis von bestimmten Handlungen und eben Dokumentation. Man braucht auch eine gewisse Dokumentation. Aber ich bin auch davon überzeugt, dass wenn wir wieder etwas mehr Vertrauen in die Selbstverwaltung auf beiden Seiten setzen würden und uns gemeinsam an den Tisch setzen würden zwischen Krankenkassen und ärztlichem Bereich, dass wir viele Bereiche auch entrümpeln könnten, um einzelne bürokratische Nachweise wirklich auch abzuschaffen. Und hier jetzt bei dem Thema spezialärztliche Versorgung wird ja die spezialärztliche Versorgung geöffnet im ambulanten und im stationären Bereich, ohne Mengensteuerung, ohne Bedarfskleidung. Und es wird eine Prüfbehörde sozusagen wiederum neu geschaffen, um Qualität zu überprüfen. Und ich halte dieses permanente Drauf schon für ein großes Problem.

Pindur: Frau Dreyer, vielen Dank für das Gespräch!

Dreyer: Ich danke Ihnen.

Pindur: Manu Dreyer, SPD, Gesundheitsministerin in Rheinland-Pfalz zum neuen Versorgungsstrukturgesetz.


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