Malen wie am Fließband

Von Beatrice Uerlings · 11.05.2005
Ein Gemälde als Geschenk? Oder vielleicht gar zwei, drei oder vier? Und das in diesen wirtschaftlich miesen Zeiten?! - Steve Keene macht's möglich: Der 47-jährige Maler aus dem New Yorker Stadtteil Brooklyn hat bis zum heutigen Tag 250.000 Bilder gemalt. Und die meisten davon auch verkauft.
Sein Erfolgsgeheimnis: Sie kosten maximal zehn Dollar das Stück. Keene's Werke - eine Mischung aus Pop-Art und postmodernem Kitsch - sind Kult in den USA. Selbst bei zahlungskräftigen Sammlern wie Dennis Hopper, Hollywood-Mogul Harvey Weinstein oder Guggenheim-Direktor Thomas Krens.

Acht Uhr morgens, ein hallengroßes Loft im New Yorker Stadtteil Williamsburg mit. Der Käfig, in dem der Hund schläft, ist fast so groß wie das Loft selber. Trotzdem kann der Hund es nicht erwarten, dass Herrchen ihn rauslässt. Steve Keene tut nichts lieber als das, denn er braucht den Hundezwinger für seine Arbeit: Tag ein, Tag aus schließt der 47-Jährige sich dort ein und kommt nicht vor Abend wieder raus. Nur so kann er ungestört malen und sein Pensum bewältigen:

Keene: "Ich arbeite von acht Uhr früh bis acht Uhr abends, bin wie ein Pizzabäcker, der eine Pizza nach der anderen backt. Ich male zwischen 60 und 96 Bilder am Tag. Je mehr, desto besser!"

Reihenweise nebeneinander gehängte Sperrholzplatten durchziehen Keene's riesigen Käfig, fast wie eine Strasse, durch die er dann mit seinem Pinsel läuft.

Keene: "Meine Gemälde entstehen alle zur gleichen Zeit, wie am Fließband. In jeder Runde kriegt ein Bild ein neues Detail: x-mal einen rosa Strich für die Nase, x-mal einen blauen für die Pupille ... Ich benutze auch ausschließlich Acrylfarbe: die trocknet viel schneller als Öl! "

Die Geschwindigkeit zählt. Werke lange zu konzipieren findet Keene kontraproduktiv:

"Ich habe keine Zeit daran zu denken, ob ich etwas falsch machen könnte! Die Malerei ist wie Basketball: Du spielst nicht zweimal dasselbe Spiel, sondern immer wieder ein neues. Und manchmal ist das, was zufällig dabei rauskommt, so viel besser als das, was geplant war! "

Was anfangs als Revoluzzerprojekt gegen die etablierte Kunstszene gedacht war, ist zu einem Lebenswerk geworden. Abwechslung findet Keene in seinen Motiven, für die er ich meistens erst spontan entscheidet. Dann greift er in einen Karton voller Postkarten, Zeitungsfotos, Plattencover und herausgerissene Bilderbuchseiten.

"Autobahnen in Los Angeles, Kampfflugzeuge, ein Schulchor, Hip Hop Tänzer, die Rockgruppe Outcast ... ich ändere ständig die Motive, das ist auch nötig, denn meine Arbeitsweise ist schon obsessiv genug. All die Bilder, die jeden Tag an mir vorbeiziehen - es ist wie Kino - und ich will nicht unbedingt in meinem eigenen Film leben! "

Manche Kritiker vergleichen Keene mit Andy Warhol: die grellen Farben seiner Bilder, die serielle Reproduktion der Motive. Wichtiger ist aber vielleicht, was die beiden unterscheidet: Jedes Bild von Keene ist handgemalt, also ein Original. Der New Yorker Maler widerlegt auch die These der Pop-Art-Ikone Warhol, dass nur die Künstler erfolgreich sind, die mit Galerien zusammenarbeiten und ihre Kunst "nicht am Ladentisch bei Woolworth verscherbeln".

Jedes Mal, wenn Keene einen Abend in seinem Atelier veranstaltet, geht es dabei zu wie beim Schlussverkauf. Der Plastikkübel auf dem wackeligen Kassentisch ist voller Dollarnoten; vor den Wänden stehen Dutzende von Käufern, die Bildern tauschen, vergleichen und sich manchmal gar darum streiten. Auch Jeff Gomez ist wieder da. Der 32-jährige Banker hat schon 150 Keenes zu Hause und kann es immer noch nicht lassen.

Gomez: "Es ist so billig, das ist der Spaß an der ganzen Sache! Ich gehe nie ohne große Tüte zu Keenes Atelierabenden. Und: Ein paar Handschuhe sind auch zu empfehlen, denn die Holzplatten hinter den Gemälden sind oft nicht richtig abgeschliffen, Splitter sind programmiert! "
Wer nicht in New York lebt, kann Keene's Gemälde im Internet bestellen. Dort gibt es zwei Formate zur Auswahl: das kleinere für acht, das größere für zehn Dollar. Aber aufgepasst: Welches Motiv er letztlich verschickt, entscheidet der Künstler selber. Je nach Inspiration. Oder Produktion ...