Mahrenholz: OLG München hat wenig Feingefühl bewiesen

Ernst Gottfried Mahrenholz im Gespräch mit Marietta Schwarz · 17.04.2013
Bei der Vergabe von Presseplätzen beim NSU-Prozess habe das OLG München zu formal gehandelt, findet der ehemalige Verfassungsrichter Ernst Gottfried Mahrenholz. Das Karlsruher Urteil zur Berücksichtigung türkischer Medien begrüßte Mahrenholz. Dadurch sei eine spätere Revision eher unwahrscheinlich.
Marietta Schwarz: Heute hätte er beginnen sollen, der lange und sorgfältig vorbereitete Prozess gegen das NSU-Mitglied Beate Zschäpe, wären da nicht die Querelen um Sitzplätze im Gerichtssaal und Akkreditierung ausländischer Journalisten gewesen, die letztlich zu einer Neuvergabe und damit Verschiebung auf 6. Mai geführt haben. Das Oberlandesgericht München wollte alles richtig machen und legte die bestehende Strafprozessordnung besonders streng aus, um eine Revision des Verfahrens auf jeden Fall zu verhindern. War das die Verschiebung wert? Fragen dazu an den ehemaligen Verfassungsrichter Ernst Gottfried Mahrenholz, guten Morgen, Herr Mahrenholz!

Ernst Gottfried Mahrenholz: Guten Morgen, Frau Schwarz!

Schwarz: Ja, von dieser Angst des OLG München vor einer drohenden Revision des NSU-Prozesses, da war ja immer wieder die Rede in den letzten Wochen. Ist die berechtigt?

Mahrenholz: Die ist meines Erachtens, was die Presse betrifft, durchaus berechtigt gewesen. Denn das hat sich ja gezeigt, dass das Bundesverfassungsgericht drei türkische Pressevertreter als unabdingbar bezeichnet hat, die sind also jetzt auf alle Fälle vom Gericht den türkischen Medien einzuräumen. Und auch im Übrigen gab es merkwürdige Querelen. Es gibt also zum Beispiel, dass der Sender Arabella zugelassen worden ist, dagegen BBC und "New York Times", immerhin zwei erstrangige Medien auf der ganzen Welt, sind nicht zugelassen worden, weil sie eben in diesem Verfahren der Priorität zu spät gekommen sind. Also, da gab es …

Schwarz: Also hat man sich für das falsche Verfahren entschieden?

Mahrenholz: Ja, prinzipiell, so hat auch das Bundesverfassungsgericht gesagt, solche Prioritätsgeschichten sind erlaubt, aber sie müssen eben im Rahmen des Vernünftigen sich halten. Und das war hier nicht der Fall. Denn die "New York Times" ist natürlich nicht so schlau, mit so was zu rechnen und sich sofort erst mal gleich anzumelden. Und das galt für BBC, für andere Sender und andere Zeitungen genauso. Also, es war im Grunde verkorkst.

Die rein formale Anwendung des Prioritätsprinzips hat zu Ungerechtigkeiten geführt und das Bundesverfassungsgericht hat das auch im Sinne möglicher weiterer Verstöße ausdrücklich gerügt.

Schwarz: Aber Herr Mahrenholz, wäre eine Revision – um noch mal auf diesen Begriff zurückzukommen – das Schlimmste, was einem solchen Verfahren passieren kann?

Mahrenholz: Na ja, wenn eine Revision Erfolg hätte, dann müsste das gesamte Verfahren neu aufgerollt werden. In diesem Verfahren, dessen Umfang ich ja nicht übersehen kann, rechnet man auf alle Fälle mit Monaten, einige rechnen mit Jahren. Wenn Sie sich vorstellen, dass dann also diese ganze Geschichte noch einmal von vorne neu aufgerollt werden muss, bloß weil zu wenig Presse zugelassen worden ist, das wäre natürlich ein ganz fatales Ergebnis. Deswegen hat das OLG München sich damit besondere Mühe gegeben und leider in der Anwendung dieses Prioritätsgrundsatzes die Sache selbst verfehlt.

Schwarz: Dafür hat man doch jetzt recht leichtfertig auch Vertrauen aufs Spiel gesetzt und inzwischen auch eingebüßt?

Mahrenholz: Ja, das ist nicht zu leugnen, das ist nicht zu leugnen. Es waren im Grunde alle Medien in Deutschland, soweit ich das überblicken kann, der Meinung, das OLG hätte es von vornherein anders machen müssen. Und zunächst der Oberlandesgerichtspräsident selbst und nachher der Gerichtsvorsitzende für dieses Verfahren erwiesen sich als, wenn ich mich mal vorsichtig ausdrücken darf, als etwas unzugänglich.

Schwarz: Der hätte also vielleicht auch ein bisschen mehr Feingefühl an den Tag legen müssen?

Mahrenholz: Ja, das ist genau der Punkt. Das ist genau der Punkt, es war kein Feingefühl, das war eine reine, strikt formale Anwendung des einmal beschlossenen Prinzips der Priorität. Und wie das im Recht oft der Fall ist, die rein formale Anwendung führt manchmal in die Irre und führt manchmal sachlich zu Ungerechtigkeiten.

Schwarz: Inwieweit, würden Sie sagen, hat denn die Berichterstattung, der Druck der Medien zu dieser verfahrenen Situation beigetragen?

Mahrenholz: Nein, wenn man dem Druck der Medien gefolgt wäre, dann hätte sich das OLG München korrigiert und hätte gesagt, wir machen es anders. Dass der Druck der Medien da nichts ausgerichtet hat, das ist eben das Fatale. Man muss offenbar hinter den entscheidenden Personen Juristen vermuten, die sagen, der Presse darf man nicht nachgeben, sonst macht man was falsch, oder den Medien überhaupt. Denn die Medien waren einhellig der Meinung, so geht es nicht, man kann die Türken nicht ausschließen von einem Verfahren, in dem die Türken die Opfer gewesen sind.

Schwarz: Dennoch wurde ja in den letzten Wochen sehr, sehr, sehr viel über Akkreditierungen geredet und möglicherweise zu wenig über die Inhalte, um die es eigentlich geht?

Mahrenholz: Ja, so ist es, genau so ist es. Die Inhalte sind aber eben nicht zu trennen von der Frage, wer muss auf alle Fälle dabei sein dürfen. Das hat ja jetzt das Bundesverfassungsgericht festgestellt, klargestellt. Es geht nicht an – wie ich eben schon sagte –, dass hier nicht nur die türkische Gemeinde in Deutschland, sondern auch in der Türkei selbst und darüber hinaus praktisch die westliche Welt, wenn ich noch mal an die BBC und die "New York Times" erinnern darf, an dieser Sache großen Anteil nehmen und alle diese Gesichtspunkte völlig verfehlt werden durch Formalismen. Und insofern war eigentlich der Druck der Öffentlichkeit auf das Gericht in diesem Falle etwas Positives, wenn auch Erfolgloses.

Schwarz: Ist denn die Gefahr der Revision jetzt mit einem neuen Akkreditierungsverfahren gebannt, wenn es bei dem ausgewählten, bei dem ja doch recht kleinen Gerichtssaal bleibt?

Mahrenholz: Ja, das ist die Frage, die sich das Gericht ja noch mal zu lösen vorgenommen hat, indem es gesagt hat, wir verschieben um drei Wochen. Ich nehme an, dass sie jetzt unter sorgfältigster Beachtung der Monita, also der Anmerkungen des Bundesverfassungsgerichtes zu diesem Thema vorgehen werden, um eine Revision zu vermeiden.

RDas Gericht hat in einem Punkt es sogar gut, denn das Bundesverfassungsgericht hat keinen Zweifel darüber gelassen, dass die gerade mal 47 Sitzplätze für die allgemeine Öffentlichkeit ausreichend sind.

Das hätte man bezweifeln können, denn stellen Sie sich ein Verfahren vor, das die restliche Welt auf den Plan ruft, die Pressevertreter und der neun Opfer aus der Türkei, und dann dürfen nur 47 Menschen daran persönlich teilnehmen! Mich hat ein Türke angerufen aus der Türkei, hat gesagt, ich mache mich morgens um drei auf den Weg zum Gericht, damit ich einen Sitzplatz kriege bei der Verhandlung, die um zehn Uhr beginnt. Also, da können Sie sehen, welches Ausmaß das Interesse, das persönliche Interesse von Menschen an der Sache hat.

Und da die Öffentlichkeit des Verfahrens garantiert ist auch von Verfassung wegen, muss man sich fragen, ob die 47 Plätze, die zurzeit zur Verfügung stehen, ausreichen. Daran kann man zweifeln. Aber das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, das ist okay so.

Schwarz: Der frühere Verfassungsrichter Ernst Gottfried Mahrenholz zum nun verschobenen NSU-Prozess und über die große Angst vor der Revision. Herr Mahrenholz, danke Ihnen für das Gespräch!

Mahrenholz: Bitte!


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