Mafia-Prozess

Geheimpakt mit der Cosa Nostra

Jan-Christoph Kitzler, ARD-Korrespondent in Rom
Jan-Christoph Kitzler, ARD-Korrespondent in Rom © Deutschlandradio - Bettina Straub
Moderation: Isabella Kolar · 25.11.2014
Sie sollen in den 90er Jahren einen Deal mit der Mafia geschlossen haben: italienische Beamte und Politiker, die derzeit in Palermo auf der Anklagebank sitzen. Die Staatsanwaltschaft hat Zeugen gefunden, doch bis zu einem endgültigen Urteil wird noch viel Zeit vergehen, meint Italien-Korrespondent Jan-Christoph Kitzler.
Isabella Kolar: Dass Politiker und Paten unter einer Decke stecken, gehört zum Repertoire jedes Mafiathrillers. In der Realität sind Beweise für solche Verstrickungen schwer zu erbringen. Im sizilianischen Palermo arbeitet sich ein Prozess vor dem örtlichen Schwurgericht seit anderthalb Jahren daran ab. Zum ersten Mal in der italienischen Justizgeschichte sitzen dabei Politiker und Mafiabosse gemeinsam auf der Anklagebank. Der Vorwurf, den die Staatsanwaltschaft Palermo erhebt: Der italienische Staat soll in den 90er-Jahren einen Geheimpakt mit der sizilianischen Cosa Nostra geschlossen haben. Jan-Christoph Kitzler, unser Korrespondent in Rom: Wer ist denn angeklagt?
Jan-Christoph Kitzler: Ja, erst mal natürlich große Namen der Cosa Nostra, zwei legendäre Mafiabosse, Toto Riina und Bernardo Provenzano. Das waren so die Mafiachefs in den 80er- und 90er-Jahren, die auch verantwortlich sind für grausame Mordserien, die wirklich mächtig innerhalb der Mafia waren, die jetzt schon seit langen Jahren im Gefängnis sind. Das ist der eine Teil.
Aber der andere Teil sind eben auch, weil es um Geheimverhandlungen zwischen dem Staat und der Mafia geht, Staatsbedienstete, einmal der Polizeibehörden und des Geheimdienstes, und auch Vertreter der Politik, zwei Senatoren, unter anderem Marcello Dell'Utri. Der ist in Italien kein Unbekannter, der ist erstens ein Intimfreund von Silvio Berlusconi, hat ihm geholfen, sein Unternehmen groß zu machen und reich zu werden, und Dell'Utri ist auch bereits verurteilt, rechtskräftig in letzter Instanz, wegen Mitgliedschaft in einer mafiösen Vereinigung. Also das sind alles keine Unbekannten, die da jetzt auf der Anklagebank sitzen, und entsprechend aufsehenerregend ist dieser Prozess.
Kolar: Die Staatsanwälte, so hört man, haben im Vorfeld mehr als vier Jahre lang ermittelt. Sie stützen sich auf Aussagen reuiger Mafiosi und Dutzender weiterer Zeugen. Wie muss man sich denn so eine Zusammenarbeit zwischen Mafia und Politik vorstellen? Was wird den Angeklagten genau vorgeworfen?
Kitzler: Man muss ein bisschen was über die Zeit wissen, in der diese vermeintliche Absprache zwischen Staat und Mafia passiert ist. Das war eine blutige Zeit. Es gab Mordserien, die Mafia hat immer wieder Menschen um die Ecke gebracht, also Politiker auch, aber auch Richter, und dann 1992 eben die beiden in Italien inzwischen als Helden verehrten Richter Falcone und Borsellino, die sind 1992 umgebracht worden.
Und das war eine Zeit, in der offenbar Vertreter des Staates versucht haben, weil man auf juristischem Wege nicht weiterkam, Kontakte zur Mafia aufzunehmen, indem man halt sozusagen dann gesagt hat: Na ja, vielleicht können wir eine Art Deal schließen. Vielleicht können wir sagen: Ihr lasst das mit der Mordserie und dafür verfolgen wir euch etwas weniger hart, es gibt Hafterleichterungen für Mafiosi, die bereits im Gefängnis sitzen, die sind ja oft in Einzelhaft, sozusagen unter Ausschluss jeglichen Kontakts zur Außenwelt werden die inhaftiert. Also das war sozusagen der Deal, das ist die Annahme der Staatsanwaltschaft: ein Ende der Mordserie gegen Hafterleichterungen einerseits und andererseits weniger Verfolgung. Und sie haben dafür Zeugen gefunden, die das genauso belegen.
Kein normaler Prozess
Kolar: Und wie weit ist man jetzt im Prozess in den vergangenen anderthalb Jahren gekommen? Wann ist mit einem Urteil zu rechnen?
Kitzler: Na ja, die italienische Justiz ist eine langwierige Angelegenheit, das muss man schon sagen, und es ist natürlich auch schwer, hier alle Zeugen immer am Platz zu haben. Ich war bei diesem Prozess dabei in Palermo, habe mir das angesehen. Da werden eben diese Mafiabosse, diese Bestien, wie sie von vielen oft genannt werden, die wirklich viele Menschen auf dem Gewissen haben, zugeschaltet per Video und das kann man dann sehen, die sagen auch aus.
Und dann gibt es natürlich auch spektakuläre Aussagen, wie zum Beispiel die des Staatspräsidenten Giorgio Napolitano. Der Staatsanwalt, der leitende in Palermo, Nino di Matteo, hat gesagt: Der muss auch aussagen, der hat in dieser Zeit auch möglicherweise etwas davon erfahren, von diesem Deal. Und dann ist das ganze Gericht nach Rom gezogen und hat den Staatspräsidenten vernommen. Das ist auch natürlich aufsehenerregend gewesen. Und deshalb ist das kein ganz normaler Prozess. Das dauert wahrscheinlich noch mindestens ein Jahr, bis ein Urteil gesprochen wird. Tja, und dann kommt wahrscheinlich die nächste Instanz und dann dauert es noch mal ziemlich lange. Die Mühlen der italienischen Justiz mahlen ziemlich langsam.
Kolar: Sie erwähnten ihn gerade: Sie hatten Gelegenheit, mit dem Chefermittler in diesem Prozess, mit Staatsanwalt Nino di Matteo, einem der bestbewachten Männer Italiens, zu sprechen. Was machte er für einen Eindruck auf Sie?
Kitzler: Er ist entschlossen, er weiß, was er tut, und auf der anderen Seite weiß er genau: Er hat einen sehr gefährlichen Job. Er hat es mit Druck von vielen Seiten zu tun, nicht nur mit Morddrohungen von der Mafia, sondern auch mit Drohbriefen und ziemlich eindeutigen Hinweisen, die ihn einschüchtern sollen, wahrscheinlich auch aus staatlichem oder zumindest staatsnahem Umfeld. Das ist ihm alles schon sehr, sehr klar. Und das ist ein Mann, der unter großen Druck ist, der auf der anderen Seite aber auch genau weiß, was er will, und der sich sehr verpflichtet fühlt, diese Aufgabe durchzuführen.
Man muss dazu sagen: Das ist ein Staatsanwalt, der seit über 20 Jahren im Anti-Mafia-Umfeld ermittelt, das ist jemand, der es gewohnt ist, mit Polizeieskorte zu leben, der wirklich sein Privatleben und auch das seiner Familie – er hat Kinder – völlig drangegeben hat, um diese Aufgabe zu erfüllen. Man sollte als Journalist vorsichtig sein mit dem Begriff Held, aber es kommt dem ziemlich nahe. Ich habe ihn gesehen und er hat mich sehr, sehr beeindruckt, auch in seiner Entschlossenheit, in seinem Wissen um seine Gefahr.
Verjährung ist großes Problem
Kolar: Di Matteo fordert ja auch neue Methoden im Umgang mit der Mafia. Warum und welche sind das?
Kitzler: Als er angefangen hat als Anti-Mafia-Staatsanwalt, da hat man sich vor allem darauf konzentriert, die Mafia als fast Straßenkriminalität zu untersuchen. Da ging es dann eben natürlich um Waffen und Drogen und um Schutzgelderpressung und so weiter. Und man hat eigentlich nicht den Qualitätsschritt gemacht in der Ermittlung gegen die Mafia, den die Mafia selber gemacht hat.
Die Mafia hat sich in den letzten 20 Jahren ganz eindeutig verändert, man ist weg von diesem alten klassischen Kerngeschäft, das gibt es zwar auch noch auf dem Papier, weil das natürlich auch, Schutzgeld zum Beispiel, die Kontrolle über ein gewisses Territorium garantiert, auf der anderen Seite investiert die Mafia ganz massiv in die Realwirtschaft, sie hat sich ausgebreitet, investiert auch in Norditalien, zieht im großen Stil Bauaufträge an Land und ist sehr aktiv, was das ganze Feld der Korruption angeht. Und Nino di Matteo ist der Meinung, dass die juristischen Mittel, die gegen diese neue Mafia eingesetzt werden, im Prinzip oft zu schwach sind, dass man viel mehr verfolgen müsste. Korruption in Italien, das ist ein Riesenproblem, und wenn man die Korruption richtig angehen würde, dann würde man auch der Mafia einen schweren Schlag versetzen.
Kolar: Wir hören ja gleich Ihr Feature über die Situation der italienischen Justiz. Nach Angaben von di Matteo gibt es in Italien insgesamt 60.000 Gefangene – nur acht davon sind wegen Korruption letztinstanzlich verurteilt. Das heißt, die Mühlen der italienischen Justiz mahlen langsam?
Kitzler: Genau. Das ist das große Problem, dass es sehr, sehr schwer ist, Prozesse so zu Ende zu führen, dass dann am Ende auch wirklich eine Strafe fällt. Das liegt unter anderem am System der Verjährung. Also ein Prozess in Italien, der von einer Instanz in die nächste geht, läuft, was die Verjährung angeht, weiter. Das heißt, viele Prozesse kommen gar nicht mehr zum Ende, weil dann die Straftaten verjährt sind.
Auf der anderen Seite gab es eine Gesetzgebung in den letzten Jahren, die bestimmte Delikte, eben zum Beispiel korruptionsnahe Delikte oder Steuerhinterziehung, auf den Rang eines Kavalierdeliktes zurechtgestutzt hat. Also da ist die juristische Verfolgung dann auch sehr, sehr schwer. Und auf der anderen Seite wurde die Justiz massiv geschwächt. Es gibt in Italien pro 100.000 Einwohner etwas mehr als 13 professionelle Richter, in Deutschland sind das weit über 20, ich glaube, 27 in etwa. Also die Justiz ist auch personell schlecht ausgestattet. Gleichzeitig gibt es sehr, sehr viele Streitigkeiten, die Gerichte laufen über, und deswegen ist die italienische Justiz sehr, sehr langsam, eine der langsamsten in ganz Europa.
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