"Love Parade der bodenständigen Musik"

Von Carsten Beyer · 03.07.2005
Im thüringischen Rudolstadt herrscht am ersten Juliwochenende traditionell der Ausnahmezustand. Von der ehemaligen "Stadt der Tanzfeste der DDR" hat sich Rudolstadt gewandelt zum Gastgeber des tff, des Tanz- und Folkfests, der "Love Parade der bodenständigen Musik", wie Christoph Dieckmann die Veranstaltung in der Zeit einmal sehr treffend beschrieben hat. Das Festival ging heute Abend mit einer großen Abschlussparty auf dem Rudolstädter Marktplatz zu Ende.
Das hat es schon lange nicht mehr gegeben in Rudolstadt: Strahlender Sonnenschein am Samstagmorgen beim Mitmachtanz in der Fußgängerzone. Anders als in den vorangegangenen Jahren zeigten sich die Wettergötter diesmal gnädig und bescherten den Veranstaltern einen neuen Besucherrekord. Vielleicht lag es ja auch am runden Jubiläum, denn immerhin ist es genau 50 Jahre har, dass in der thüringischen Kleinstadt zum ersten Mal ein Tanzfest stattfand. 1955 allerdings, so erinnert sich Bürgermeister Hartmut Franz, waren die Vorzeichen andere:

"In den 50 Jahren hat sich das natürlich maßgeblich geändert. Ich besinne mich, zur DDR-Zeit, wo auch die so genannte "sozialistische Tanzkultur" dargestellt werden sollte, wo auch die Themen dieser Tänze auf das politische System abgeglichen waren, und das war eben die Frage 1991, was machen wir aus dieser Tradition, und da ist das jetzt geworden."

Das - ist das mittlerweile größte Folk- und Weltmusikereignis in Europa mit mehr als 100 Künstlergruppen auf 18 Bühnen, mit einem Programmetat von 1,2 Millionen Euro und einer Besucherzahl von mehr als 60.000 in den vergangenen drei Tagen. Die ließen sich begeistern - von Weltstars wie Marianne Faithful und den Chieftains genauso wie von den vielen namenlosen Tänzern und Musikern auf den Kleinkunstbühnen in der Altstadt. Ein besonderer Fokus lag in diesem Jahr auf dem politischen Lied: Eine bewusste Entscheidung von Festivaldirektor Bernhard Hanneken, der damit ein Zeichen setzen wollte gegen die, wie er sagt zunehmende Belanglosigkeit in der Unterhaltungsindustrie

"Es war ja nicht so, dass es unpolitisch gewesen ist in den vergangenen Jahren, aber wir haben uns noch mehr darum gekümmert, zu gucken, was singen die eigentlich für Texte, die Leute, die da kommen. Wir haben dann auch einige Künstler eingeladen, die eine dezidiert politische Aussage haben, und das ist auch kein Einzelfall für 2005, sondern das wird auch in Zukunft so bleiben."

An eine politisch engagierte Gruppe ging dann auch am Samstagabend die Ruth, der deutsche Folkpreis, der seit mittlerweile vier Jahren in Rudolstadt verliehen wird: Biermösl Blosn, drei Brüder aus dem bayerischen Hausen, zeigen seit mehr als 20 Jahren, dass deutsche Volksmusik nicht zwangsläufig in peinliche Heimattümelei ausarten muss. "Für die Abwehr" deutscher und speziell süddeutscher Volksmusik bekamen sie den Preis - eine Begründung, mit der Sänger Hans Well leben kann, auch wenn er sich er als Angreifer sieht.

"Es kommt immer drauf an, was man macht und wie man sich selber in der Zeit wieder findet, und die Leute wollen sich selber wieder finden in dem, was man auf der Bühne macht. Weil, man ist das eher nicht gewohnt, aus so Sendungen wie dem Musikantenstadl. Das findet alles in einem Bastei-Heimatroman-Milieu statt, in einer schönen Welt, in der alles in Ordnung ist. Und offensichtlich wollen die Leute so was als Drogenersatz, also das breite Massenpublikum."

Mit einem begeisternden Konzert auf der Heidecksburg bedankten sich die Bayern für den Preis. Ausgezeichnet wurde an diesem Abend auch der in Deutschland lebende Oud-Virtuose Rabi Abou Khalil und Jan Reichow, Redakteur beim Westdeutschen Rundfunk und langjähriger Förderer des Rudolstädter Festivals. Nur einer war mit dem Rudolstädter Publikum nicht ganz zufrieden: Woodstock-Legende Country Joe MacDonald, der am Donnerstagabend das Festival eröffnet hatte, bemühte sich vergeblich, die deutschen Folkfans zu einem revolutionären Geist Jahre wie in den sechziger Jahren zu bewegen.

"Ich weiß, dass ich eine Legende bin, eine lebende Legende, aber was bedeutet das schon? Bob Dylan ist eine lebende Legende, aber er ist damit auch zum Millionär geworden. So eine Legende bin ich nicht. Es ist mir manchmal selbst schleierhaft, was an Country Joe legendär ist. Hier in Deutschland zum Beispiel frage ich mein Publikum jeden Abend, ob sie irgendeinen bestimmten Song von mir hören wollen. Aber es wünscht sich nie jemand irgendetwas. Sie nehmen noch nicht einmal das Wort Woodstock in den Mund."

Anbiederung an die Vergangenheit haben die Rudolstädter aber auch wirklich nicht nötig: Im 50. Jahr seines Bestehens ist das tff lebendiger und spannender denn je: Die Besucher beim Abschlussfest, dass vor wenigen Minuten auf dem Marktplatz zu Ende gegangen ist, waren sich jedenfalls einig: Beim Tanzfest 2006 kommen sie wieder.