Loblied auf die Vernunft

Von Bernhard Doppler · 10.03.2012
Seit seiner Uraufführung 1728 in Hamburg ist das Singspiel "Miriways" von Georg Philipp Telemann nie wieder szenisch gespielt worden - bis zum 10. März 2012. Bei den Magedburger Telemann-Festtagen überzeugte die frühbürgerliche Oper nicht zuletzt durch kluge Realisation.
Ein afghanischer Warlord, Miriways, hat den persischen Schah von der Herrschaft vertrieben. Der Afghane würde selbst auf die Herrschaft im Iran verzichten, wenn der Sohn des von ihm gestürzten Schahs seine vermisste uneheliche Tochter heiraten würde. Vernunft ist nämlich die Leitschnur des privaten und politischen Handelns des Afghanen. Mit der aktuellen Afghanistan-Politik hat Telemanns Oper allerdings nichts zu tun, auch wenn die Oper bei ihrer Uraufführung am Gänsemarkttheater in Hamburg 1728 ein damals aktuelles zeitgenössisches Geschehen in Persien als Vorwand für das Libretto nutzte. Es geht - im orientalisch-phantastischen Gewand - um die Erörterung von Vernunft, um die Entscheidung zwischen Liebe und Verzicht, um die moralische Verpflichtung von Gegenleistung und Dankbarkeit - auf rührselige und auf komische Weise: Der Haupthandlung ist die Geschichte von Nisibis beigegeben. Sie wird von zwei Liebhabern umworben, dem treuen selbstlosen Murzah und dem hinterlistigen Zemir, der immer fälschlich vorgibt, er habe Murzahs große Liebestaten vollbracht und dessen Liebesgedichte geschrieben. Muss Nisibis Zemir dankbar sein - sie weiß ja nicht, dass er betrügt - oder ist Liebe wichtiger als Dankbarkeit?

Telemanns Opern sind ein Beispiel der sonst wenig beachteten Oper des frühen 18. Jahrhunderts in deutscher Sprache. Gegenüber der schrillen Rhetorik der höfischen Barockoper zeigen sie Bürgersinn, neben Vernunft berechnende Dankbarkeit. Bei der Erörterungen, die in dreiteiligen Arien vollzogen werden, wirken dabei die Leidenschaften vor allem zu Beginn der Oper gedämpft, fast wie mit angezogener Handbremse wird durch das Barockorchester L´Orfeo (Leitung: Michi Gaigg) musiziert, selbst wenn sich Hörner mit kriegerischer Musik melden. Beschreibungen wie die des Unglücks einer Frau, die nur heimliche Geliebte des Stammesfürsten sein durfte, beeindrucken durch ihre lang gezogene Schwermut. Barocke Gesangsartistik ist jedoch weniger gefordert. Kein Countertenor, aber zwei Hosenrollen gehören zum achtköpfigen Sängerensemble, das Gäste und Spezialisten wie den Bariton Markus Volpert in der Titelrolle mit Magdeburger Ensemblemitgliedern mischt. Von ihnen imponierte insbesondere auch als Komödiantin Susanne Drexl in der Rolle des betrügerischen Liebhabers Zemir.

Gegenüber dem bei den letzten Telemann-Festtagen gezeigten "Orpheus" erscheint die nun nach 284 Jahren erstmals seit der Uraufführung szenisch aufgeführte Oper "Miriways" musikalisch und dramaturgisch konventioneller. Doch nach seinen Inszenierungen des Telemannschen "Orpheus" zeigt auch diesmal Jacob Peter-Messer, wie geschickt er mit einleuchtenden Arrangements - ohne vordergründige Aktualisierung - Telemanns Opern in den Griff bekommt und der Opernausgrabung so zum Erfolg verhilft. Der Ausstattung von Markus Meyer - ein Wand wie ein Perserteppich, die Soffitten wie orientalische Schächtelchen und ein engmaschiges Gitter - sind als pantomimische Figuren noch Tiere beigegeben, insbesondere gefällt als Haustier von Nisibis ein mit Bällen jonglierender Tiger.

Das glückliche Ende und die Auflösung der Missverständnisse ist schon zu Beginn der Handlung klar, und doch ist es die kluge szenische Realisation, die im Laufe des langen Abends den Zuschauer immer mehr in den Sog der frühbürgerlichen Oper und ihres Loblieds auf die Vernunft eintauchen lässt.

Magdeburger Telemann-Festtage