Literatur

Chanukka statt Holocaust

Auf der Buchmesse in Leipzig schauen sich Besucher in der Kinderbuchhandlung Bücher an, aufgenommen am 17.03.2013. Foto: Waltraud Grubitzsch
Kinder schmökern auf der Buchmesse in Leipzig 2013. © dpa/Waltraud Grubitzsch
Von Heinz-Peter Katlewski · 07.02.2014
Jüdische Kinder sollen auch mit zeitgemäßen jüdischen Geschichten aufwachsen, das wünschen sich viele Eltern. Das Problem ist nur: Es gibt sie kaum. Unter anderem ein kleiner Verlag will das ändern.
"Kinder wollen natürlich immer an dem teilhaben, was hipp ist, oder was die anderen Kinder haben, was schön ist, und es gab ganz viele Bücher: 'Conny feiert Weihnachten' oder 'Lillyfee und Weihnachten' und zuckersüßen Illustrationen. Und das fängt das Herz der Kinder natürlich ein, diese wunderschönen Weihnachtsbücher. Aber für Juden gab es nichts, es gab nichts für Chanukka."
Das jüdische Lichterfest Chanukka fällt immerhin mitten in die christliche Advents- und Weihnachtszeit. Die Berliner Filmemacherin und Journalistin Myriam Halberstam wollte deshalb etwas Schönes für jüdische Kinder machen. Sie gründete einen jüdischen Kinderbuchverlag.
"Und dann habe ich mich hingesetzt und habe gedacht, ich möchte meinen Kindern was geben, worauf sie genauso stolz sein können wie die Weihnachtsbücher und habe mir diese Geschichte ausgedacht 'Ein Pferd zu Chanukka'."
Zu Chanukka gibt es für die Kinder auch kleine Geschenke. Hannah aber wünscht sich ein großes, ein Pferd. Und sie bekommt es tatsächlich – so scheint es jedenfalls. Nur das Pferd ist nicht so pflegeleicht, wie Hannah geglaubt hatte. In dem Buch erlebt die Familie ein munteres Chaos – aber zum Glück findet das alles nur in Hannahs Traum statt. Eine typische Geschichte für Mädchen.
"Ich bin natürlich da vorbelastet, ich hab‘ zwei Töchter. Und mein Verlag fing ja auch so an, dass ich was meinen Kindern bieten wollte. Ich hab‘ mich ja geärgert, dass es nichts für meine Kinder gab. Und dann habe ich natürlich für Mädchen geschrieben, weil meiner Kinder keine Jungs waren. Und mich würde genauso interessieren, Bücher für Jungen rauszubringen."Es sind Frauen, die seit einigen Jahren versuchen, wieder Bücher zu schreiben, die in jüdischen Familien, Kindergärten und Schulen gelesen und vorgelesen werden. Sie sollen in unsere Zeit passen und mit Leben und Träumen der Kinder zu tun haben, aber auch dazu beitragen, dass ihnen jüdische Traditionen und Bräuche nicht fremd werden. Für die Entwicklung ihrer Identität sei das wichtig, ist auch die Kölner Professorin für Kinder- und Jugendliteratur, Gabriele von Glasenapp, überzeugt: "Grundschulalter, Kindesalter, so, bis zum Beginn der Pubertät – das ist das Entscheidende. Wenn wir uns heute an unsere eigenen Leseeindrücke zurückerinnern, dann meistens erinnern wir uns an unsere Kindheitslektüre. Wir erinnern uns viel weniger an das, was wir jetzt als Jugendliche gelesen haben."
Kinderbücher zwischen Erinnerung und Fantasy Um Identität und Erinnerung geht es auch in den Büchern der promovierten Literaturwissenschaftlerin Eva Lezzi. Auch sie hat Bilderbücher verfasst - zusammen mit der Berliner Künstlerin Anna Adam. Unter anderem dieses:"Das Buch heißt 'Beni, Oma und ihr Geheimnis' und erzählt von Beni, der Schabbat bei den Großeltern verbringt. Sie feiern Schabbat, dann gießt Opa den Wein ein und segnet ihn. Beni darf auch einen Schluck davon trinken, und er darf die Challe brechen, Salz auf die Stücke vom Zopfbrot streuen und sie an alle verteilen."Der wöchentliche jüdische Ruhetag, der Schabbat, ist ein Thema. Aber es gibt noch ein anderes: Die Oma hat die Nazizeit überlebt. Sie verspürt den Wunsch, darüber mit dem acht Jahre alten Beni zu reden: Als sie so alt war, durfte niemand wissen, dass sie Jüdin ist, nicht einmal die beste Freundin."Beni, Oma und ihr Geheimnis handelt auch vom Holocaust, aber es war mir wichtig, dass die dritte Generation, also das Enkelkind mit den Ereignissen sich konfrontiert sieht und auch mal sagen kann, ich habe jetzt keine Lust mehr dazu, und trotzdem die Anderen mit ihren Lebensgeschichten natürlich auch ihr Recht bekommen, aber der Focus bei dem achtjährigen Jungen liegt." Der Holocaust, die Schoa ist in den Familien nach wie vor präsent. Die Erinnerung daran ist ein Teil der Wirklichkeit der Kinder. Man dürfe sie nicht ignorieren, betont die Leiterin der Heinz-Galinski-Grundschule der Berliner jüdischen Gemeinde, Noga Hartmann. Aber es sei nicht die einzige Wirklichkeit. Was sie deshalb in der Schule benötigten, seien …"… authentische Bücher, die ein Kind nicht stigmatisieren, das jüdische Kind nicht stigmatisieren, weder als Opfer noch als – irgendwie – Super-Hero, superintelligent, Einstein und sowas, sondern als ganz normal. Wir wollen ihnen eine normale glückliche Kindheit geben und Identität stiften." Die Bücher dafür müssen sich allerdings auch verkaufen. Die kleine jüdische Gemeinschaft in Deutschland allein wird kaum einen Kinderbuchverlag am Leben halten können. Um darüber hinaus Leser zu gewinnen, müssen auch die Geschichten Grenzen überschreiten. Die jüdische Kinderbuchautorin Eva Lezzi geht davon aus, ….:"… dass der jüdische Bestseller wahrscheinlich nicht ein didaktisches Buch sein wird, sondern eher Fantasy, Abenteuer, Krimi wo dann ‚Wie vermittle ich jüdisches Leben‘ sehr an den Rand tritt und einfach vielleicht ne jüdische Figur auftritt, wo das Jüdische einfach mitlaufen kann und eine Geschichte per se einfach spannend ist."