"Liquidation"

Bebildertes Hörspiel

Oper und Schauspiel in Frankfurt am Main (Hessen), aufgenommen am 09.12.2013.
Oper und Schauspiel in Frankfurt am Main © picture alliance / dpa / Daniel Reinhardt
Von Natascha Pflaumbaum · 14.11.2014
Ein toller Stoff, gute Schauspieler - aber viele ungenutzte Regiechancen: Stephanie Mohrs Bühnenadaption von Imre Kertész' Roman "Liquidation" am Schauspiel Frankfurt arbeitet sich leider mühsam am Text ab.
2003 vollendet der ungarische Autor Imre Kertész seine Tetralogie der Schicksalslosigkeit mit seinem knappen Roman "Liquidation". In vier Büchern schreibt Kertész hier über Auschwitz, über Identität, über die Liebe, das Schreiben. Am Schauspiel Frankfurt hat die Regisseurin Stephanie Mohr Kertész' Roman "Liquidation" nun als Bühnenadaption in den Kammerspielen gezeigt.
Budapest, 1999. Zehn Jahre nach der Wende. Der Lektor Keserü sitzt in seinem Arbeitszimmer und blättert im Manuskript des Bühnenstücks "Liquidation. Komödie in drei Akten". Der jüdische Autor B., der in Auschwitz geboren wurde, hat dieses Stück 1989 geschrieben, kurz bevor er sich mit einer Überdosis Morphium das Leben genommen hat. In diesem Theaterstück sieht B. ultragenau die kommenden neun Lebensjahre von Keserü voraus. Keserü hat die Lektüre jetzt beendet und macht sich auf die Suche nach einem Romanmanuskript von B., von dem er sich die Fortsetzung seines Lebensplans verspricht.
Diese Suche nach dem verschollenen Roman stellt die Regisseurin Stephanie Mohr in ihrer Bühnenadaption von "Liquidation" ins Zentrum des knapp zwei-stündigen Bühnengeschehens. Der Lektor Keserü, Till Weinheimer, sitzt in einem Arbeitszimmer, das die Bühnenbildnerin Miriam Busch mit diversen Schreibtischen und Stühlen aus Holz und Plastik messiemäßig vollgestellt hat: auf dem Boden, an den Wänden, an der Decke - überall hängen, kleben Schreibtische und Schreibtischstühle. Grau-grün, grau-braun, grau-gelb, grau-grau: die fade Möbelfarbpalette des Ostblocks dominiert diese Bürotristesse, in der Keserü seiner Arbeit und damit seinem Leben folgt. Ein phantastisches Bühnenbild, das sich im Verlauf des Abends allerdings als pure "Deko" entpuppt.
Gestellt wirkende Szenen
Stephanie Mohr baut aus Kertesz' Roman ein Bühnenstück für drei Personen (Schriftsteller, Keserü und Judit), das sie auf kleinstem Raum spielen lässt. Die drei Personen monologisieren Versatzstücke aus dem Roman, erzählen sich Geschichten nach dem Prinzip: einer spricht, die beiden anderen hören stumm zu. So entsteht ein bebildertes Hörspiel mit gestellt wirkenden Szenen, in denen die drei Schauspieler ihre Erzählungen mit unbedeutenden Sekundärhandlungen "garnieren": sitzen, stehen, lesen, Wodka trinken, in den Haaren raufen.
Wolfgang Michael, Sabine Waibel und Till Weinheimer geben ihr Bestes, um die drei Figuren nicht konturlos erscheinen zu lassen. Weil sie von der Regisseurin nicht konsequent geführt werden, greifen sie sehr oft in ihr persönliches Gesten-Repertoire. Wolfgang Michael schmeckt wie immer manieriert näselnd jedes einzelne Wort seines Textes ab. Sabine Waibel wuschelt sich ungewöhnlich viele Haarfrisuren zurecht, und Till Weinheimer schaut so sehr ins Leere, wie er selten in einem Stück ins Leere schaut. Man bekommt wenig Gefühl für diese fahrigen, nervösen, regressiven Menschen, die - auch wenn es sich um die zweite Generation der Auschwitz-Überlebenden handelt - immer noch bzw. schon wieder durch den ungarischen Kommunismus hochgradig traumatisiert zu sein scheinen.
Imre Kertesz stellt in seinem Roman "Liquidation" ja die Frage, wie ein Mensch nach Auschwitz weiterleben kann, wenn er weiterhin in den Fängen einer Diktatur ist. Regisseurin Mohr zeigt als Antwort darauf Menschen mit hohem Leidensdruck, Menschen, die an ihrer Vergangenheit und Gegenwart verzweifeln. Doch ihre Geschichten berühren einfach nicht.
Bühnenversion macht den Roman klein
In der Frankfurter Theaterproduktion bleibt der Text eindimensional. Kertesz' Roman ist aber auf verschiedenen Ebenen zu lesen: autobiografisch, historisch, philosophisch. Die Regisseurin arbeitet sich eher mühsam am Text ab, auch die fantastische Spiel-im-Spiel-Konstruktion, die Kertesz seinem Roman zugrunde legt, bleibt als Chance ungenutzt. Kertesz macht ja den Lektor Keserü zum Protagonisten eines Theaterstücks, dessen Leben sich beim Lesen genau dieses Theaterstücks vollzieht, weil nämlich genau das der Inhalt des Stücks ist.
Auf diese Weise schafft Kertesz eine Illusionsbrechung, die wie ein ontologisches Paradoxon funktioniert: Keserü ist Leser eines Theaterstücks, dessen Protagonist er gleichzeitig ist. In welcher Wirklichkeit hält er sich also auf? Oder: auf welchem Theaterstück basiert eigentlich unser aller Leben?
Ein toller Stoff, gute Schauspieler, aber viele vertane Regiechancen: die Frankfurter Bühnenversion von "Liquidation" macht den großartigen Roman von Imre Kertesz klein, weil sie seiner Vielschichtigkeit nicht beikommen kann.