Liebesroman

Sklavin einer unerwiderten Liebe

Die tiefstehende Sonne wirft die Schatten eines Paares, das sich an den Händen hält, auf einer Wiese.
Schatten eines Paares: Die Protagonisten in "Widerrechtliche Inbesitznahme" führen eine zerstörerische Beziehung. © picture-alliance/ dpa-Zentralbild
Von Knut Cordsen · 09.05.2015
Ein Roman über die Liebe soll das neue Buch der schwedischen Autorin Lena Andersson sein, doch in "Widerrechtliche Inbesitznahme" beschreibt Lena Andersson eine ungesunde Beziehung mit Abhängigkeiten, Lügen und Seelenqualen.
In Schweden kennt man Lena Andersson in zweierlei Gestalt: die 45-Jährige arbeitet als Journalistin und Autorin. Sie schreibt streitbare Literaturkritiken für Svenska Dagbladet sowie Kolumnen für Dagens Nyheter und sie schreibt Bücher: Für ihren Roman "Widerrechtliche Inbesitznahme" erhielt sie 2013 die renommierteste schwedischen Literaturauszeichnung überhaupt: den August-Preis.
Ein "Roman über die Liebe" sei dies, verrät schon der Untertitel. Doch möchte man "Widerrechtliche Inbesitznahme" lieber ein Buch über die Abhängigkeit nennen, über den zeitweiligen Verlust jedweder Autonomie. Es ist das Protokoll "eines Jahrs des Leidens", und es ist unfassbar starke Prosa.
Dies ist die Geschichte von Ester Nilsson, 31, Dichterin und Essayistin, die sich in den weithin bewunderten bildenden Künstler Hugo Rask verliebt. Sie verfällt ihm regelrecht. Unterwirft sich ihm vollends und er nutzt die Macht, die er über sie hat, gnadenlos aus. Ein alles andere als ebenbürtiges Verhältnis, das die zwei da eingehen.
Man ist versucht zu sagen, dass er über sie gebietet. Von einem "versklavenden Zustand" ist im Roman die Rede, und diesen Zustand des Irre-Werdens-an-einer-unerwiderten-Liebe kann Lena Andersson brillant beschreiben: Während sie immer mehr von ihm will, hält er sie umso stärker auf Abstand. Kappt den dünnen Beziehungsfaden schließlich ganz. Zwar schlafen sie einige wenige Male miteinander, aber selbst nach diesen kurzen "erotischen Begegnungen" will sich weder Intimität noch Normalität einstellen.
Menschen lügen, um frei zu sein
Mit aphoristischer Schärfe schreibt die Erzählerin: "Die Normalität nachzuahmen ist das Schwerste. Sie besitzt eine Sorglosigkeit, die sich nicht imitieren lässt." Jede Annäherung ihrerseits wird von ihm mit abweisender Kälte quittiert. Er weicht ihr aus, will fort von "den Fesseln, die sie ihm angelegt hatte". Sie aber stellt ihm weiter nach, lauert ihm vor dem Atelier auf, ahnt längst, dass er noch andere Frauen hat, schickt SMS um SMS, obwohl sie die "zersetzende Angst" kennt, die einen quält beim Warten auf Antworten, die nie eintreffen.
In den Bann schlägt dieser Roman gerade deshalb, weil die Autorin nicht Partei ergreift. Sie erkundet vielmehr sachlich jede Seelenregung und kann so auch verstehen, dass Hugo sich Ester gegenüber verleugnen lässt: "Menschen lügen, um frei zu sein. Menschen lügen, weil sie nicht in Ruhe gelassen werden, wenn sie die Wahrheit sagen. Menschen lügen, weil andere sich das Recht nehmen, ihnen im Namen der Wahrheit Vorwürfe zu machen. Die Lüge als Flucht wird zur Widerstandshandlung gegen eine Redlichkeit mit totalitären Ansprüchen."
Esters größtes Problem ist das eines jeden Liebenden, dessen Gefühle nicht erwidert werden: er kann ihr nicht gleichgültig werden. So erniedrigt sie sich weiter und weiter, und er straft sie ein ums andere Mal mit Achtlosigkeit ab. Man möchte sich Satz um Satz in diesem kurzen und in seiner Lakonik packenden Buch anstreichen: "Dieses ewige Gerede, dem die Abgewiesenen sich widmen wollen. Dieses ewige Gerede. Wer abweist, hat nie das Bedürfnis zu reden."
Wohl jeder hat schon einmal Ähnliches empfunden, kennt die ausweglose Lage, in die sich Ester Nilsson gebracht hat. In seinen bestechenden Dialogen und glänzenden analytischen Passagen ist Lena Anderssons Roman die Anatomie eines Autonomieverlusts.

Lena Andersson: Widerrechtliche Inbesitznahme. Roman über die Liebe
Aus dem Schwedischen von Gabriele Haefs
Luchterhand Verlag, München 2015
220 Seiten, 21,95 Euro

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