Liebesroman

Etüde über das Scheitern

Die Fahne von Norwegen weht im Wind auf einer Fähre unweit der nordnorwegischen Stadt Bodø am Europäischen Nordmeer, aufgenommen am 21.07.2011.
Norwegischer Liebesroman: Tomas Espedal erzählt die Geschichte eines Mannes, der verlassen wurde. © picture alliance / ZB
Von Edelgard Abenstein · 12.05.2014
Als ein Schriftsteller von seiner jungen Geliebten verlassen wird, bricht für ihn die Welt zusammen. Tief verletzt beginnt er, über sein Leben nachzudenken - insbesondere die Frauen darin. Eine variantenreich geschriebene, rührende Geschichte der Liebe.
Mit knapp 50 hat er ein Alter erreicht, in dem man sich mit den Verhältnissen abzufinden beginnt. Er ist Schriftsteller, nicht gerade vom Erfolg verwöhnt, hat eine gescheiterte Ehe hinter sich und eine erwachsene Tochter, die auf eigenen Beinen steht. Was er nicht mehr für möglich gehalten hat: In einer Silvesternacht, zwischen Schampus und Koks, verliebt er sich Hals über Kopf. Es ist der Beginn einer zwei Jahre währenden Leidenschaft, bis ihn die Zwanzigjährige aus heiterem Himmel verlässt, ohne Vorwarnung, ohne Streit. Liebeskrank versinkt er in Alkohol, Müll und Depressionen.
So weit, so bekannt: Ein alternder Intellektueller und die junge Studentin, da lauern Klischees zuhauf, nicht nur zwischen den Zeilen. Auch Tomas Espedal, der 1961 geborene norwegische Autor, überlässt seinen Icherzähler zunächst einer scheinbar distanzlosen Nabelschau: dem Hadern mit dem Schicksal, dem Leiden an der Ungerechtigkeit des Lebens, der Larmoyanz. Erlösung scheint nicht in Sicht.
Klarer und mitleidloser Blick
Doch je mehr sich die Hauptfigur erinnernd der Vergangenheit stellt, indem sie all die anderen versunkenen Lieben aufruft, desto klarer und mitleidloser wird der Blick, desto lapidarer wird die Sprache, hart und zart zugleich. Da ist die erste, unschuldig- ernsthafte Teenagerliebe zu Eli, als er ohne Ausweg in der Textilfabrik schuftete und nur vom Schreiben träumte; da ist die verzweiflungsvolle Liebe zu Agnete, einer kapriziösen Schauspielerin, für die er alles aufgab und zuerst nach Rom, dann nach Nicaragua zog; und da ist die größte aller Lieben zu der jungen Frau, die ihn aus allen Schreibkrisen rettete und die alle Welt für seine Tochter hielt.
Vieles davon ist plastisch erzählt. Neben den Freud-und-Leid-Geschichten des Misslingens der großen Gefühle sind es die kleinen Dinge, der Blick aus dem Fenster auf eine winterliche Landschaft etwa, ein Morgen mit dem Kind in der Küche. Auch die pointiert und sparsam geschilderten Episoden von burlesker Komik sind spannend. Ein Besuch bei Natalia Ginzburg in Rom, die nicht verzeiht, dass die schöne, ambitionierte Schauspielerin dank Highheels einen Kopf größer ist als sie; oder die Abenteuer in Nicaragua, wo zwischen Drogenhandel und Prostitution Girl-Groups den Revolutionsführer Daniel Ortega umschwirren. Manches rührt, vor allem der Icherzähler, der das meiste zu spät begreift und hilflos überrumpelt wird vom plötzlichen Freiheitsdrang seiner Frau.
Fragmentarische Sammlung aus vielen Genres
Espedals Roman hat wie auch sein Vorgänger, "Gehen oder die Kunst, ein wildes und poetisches Leben zu führen", etwas Fragmentarisches. Auf den ersten Blick liest es sich wie eine Sammlung aus vielerlei Genres, aus Tagebucheinträgen, Kurzessays, Erzählungen und Notizen. Über das Glück und darüber, wie ungerecht die Natur ist, wie wir uns "drinnen gegen die Veränderung draußen schützen" und über das legendäre Liebespaar aus dem Mittelalter, Abälard und Héloise.
Doch hinter dieser zersplitterten Form erzählt "Wider die Natur" eine ganz klassische Geschichte von der Liebe, die nie endet. Eigentlich ist dieser Roman aber eine eindrucksvolle Etüde über das Scheitern und das Älterwerden, über die Vergänglichkeit und darüber, dass die Bibel mit ihrer Liebesbehauptung doch recht hat.

Tomas Espedal: Wider die Natur
Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel.
Mattes & Seitz, Berlin 2014
180 Seiten, 19,90 Euro