Licht, Luft, Raum! Aus.

Von Marietta Schwarz · 27.03.2008
Märkisches Viertel , Marzahn, Gropiusstadt. Orte in Berlin, die mit ihrem Image zu kämpfen haben. Dort erreichte die Idee des sozialen Wohnungsbaus ihren Höhepunkt, allerdings nur was die räumlichen Ausmaße betraf. Vor 80 Jahren wurde die Idee zur Wirklichkeit und prägte über Jahrzehnte die Stadt.
Seit dem Fall der Mauer sind in Berlin mehr als 310.000 Sozialwohnungen privatisiert worden. Ganze kommunale Wohnungsbaugesellschaften wie die Gehag oder die GSW wanderten zu Dumpingpreisen in die Hände ausländischer Investoren, die durch Mieteinnahmen und Weiterverkauf einen beträchtlichen Gewinn einstreichen. Der Glaube, mit dem Verkauf des "Tafelsilbers" die drückende Schuldenlast zu tilgen, hat auch das Land Berlin erfasst. Längst vergessen ist, dass die "gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften" einst tragende Kraft des beginnenden sozialen Wohnungsbaus waren.

Musik Claire Waldoff / "Lied von Vater Zille":
"Ausm Hinterhaus
kieken Kinder raus,
blass und unjekämmt,
mit und ohne Hemd
unten uffm Hof
is n riesen Schwof …"

Eine Hinterhausszenerie aus dem Berlin der Jahrhundertwende, besungen von Claire Waldoff. In den Mietskasernen der Großstadt zieht’s und tropft’s. Rund zwei Millionen Menschen hausen in feuchten Kellerwohnungen, kalten Mansarden oder dunklen Stuben unter miserablen Hygienebedingungen, im vierten, fünften, sechsten Hinterhof. In den Erdgeschossen stampfen die Maschinen der Gewerbebetriebe, in den Lungen sammelt sich der Dreck aus den Fabrikschornsteinen. Preußens Hauptstadt ist neben London der größte Industriestandort in Europa, die Bewohner der Massenquartiere aber bekommen vom rasenden Wirtschaftswachstum nichts ab. Im Gegenteil: Ungehemmte Bodenspekulation treibt die Mietpreise in die Höhe.

Während am vornehmen Ku’damm großbürgerliche Wohnungen leerstehen, müssen die Familien in den Arbeiterbezirken ihre Stube auch noch an Schlaf- und Kostgänger untervermieten. Der schöne Schein der prunkvollen Fassaden trügt über die Zustände in den Hinterhöfen hinweg. Berlin vor dem Ersten Weltkrieg: Ein Spreeathen mit Wohnbaracken.

Erst die Weimarer Verfassung schafft Voraussetzungen, die Wohnungsnot zu lindern. Großberlin zählt 1918 rund 3,8 Millionen Einwohner, aber es fehlen 500.000 Wohnungen. Die sozialdemokratische Regierung will dem Missstand mit staatlicher Förderung ein Ende setzen. Es ist die Geburtsstunde des sozialen Wohnungsbaus.

Artikel 155 der Weimarer Verfassung:
"Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird von Staats wegen in einer Weise überwacht, die Missbrauch verhütet und dem Ziele zustrebt, jedem Deutschen eine gesunde Wohnung und allen deutschen Familien, besonders den kinderreichen, eine ihren Bedürfnissen entsprechende Wohn- und Wirtschaftsheimstätte zu sichern."

Schon in den ersten Notjahren nach dem Weltkrieg entstehen in Berlin 9000 neue Wohnungen. Eigenheime auf der grünen Scholle ebenso wie Siedlungen am Stadtrand. Die großen Wohnungsbaugesellschaften werden gegründet - vor allem von Kommunen, Ländern und Gewerkschaften. Der Staat legt Mietpreisbindungen fest und bietet im Gegenzug Steuererleichterungen. Doch erst nach der Währungsreform 1923 kommt das Bauen richtig in Schwung. Roland Stimpel, Publizist und Chefredakteur des Deutschen Architektenblattes:

"...als man ein Finanzierungsinstrument entdeckt hat nach der Inflation, da gab es viele Hausbesitzer, die hatten Schulden, durch die Inflation wurden die auf Null gesetzt, von denen hat man dann eine sogenannte Hauszinssteuer genommen und die hat man in den Neubau von Sozialwohnungen gesteckt."

Unter den Avantgarde-Architekten herrscht Aufbruchstimmung. Enttäuscht von der gescheiterten Revolution 1918 verfolgen sie weiter ihre gesellschaftlichen Ideale: Wohlstand für alle! Mehr Einfluss der Kunst! Ein politisches Manifest jagt das andere.

Aufruf des Berliner Architekten Bruno Taut:
"Die Kunst soll nicht mehr Genuss weniger, sondern Glück und Leben der Masse sein. Zusammenschluss der Künste unter den Flügeln einer großen Baukunst ist das Ziel. Fortan ist der Künstler allein als Gestalter des Volksempfindens verantwortlich für das sichtbare Gewand des neuen Staates. Er muss die Formgebung bestimmen, vom Stadtbild bis hinunter zur Münze und zur Briefmarke."

Im Wohnungsbau sehen die revolutionären Architekten ihr Thema. Ihr Schlachtruf heißt "Licht, Luft, Raum und Wärme!" Unterstützt werden sie in Berlin von Stadtbaurat Martin Wagner. In seiner Amtszeit entstehen bis 1929 noch einmal 135.000 Wohnungen, vor allem in den sechs berühmten Großsiedlungen am Stadtrand: Darunter die Siedlung Siemensstadt im Norden Berlins, die unter Mitwirkung des Bauhausdirektors Walter Gropius erbaut wird, und die Hufeisensiedlung im südlichen Britz von Bruno Taut. Die Antwort auf dunkle Hinterhöfe sind Reihenhäuser mit ausreichender Belichtung, moderner Sanitärausstattung und mit begrüntem Umfeld. In langen, manchmal zu langen Zeilen reihen sich hunderte Wohnungen aneinander, zwischen 40 und 80 Quadratmeter groß. Im Mittelpunkt immer das große Wohn- und Esszimmer. Schlaf- und Kinderzimmer sind auf ein Minimum verkleinert.
Stimpel: "Man hat rationalisiert, man hat es seriell gemacht, die Baukosten sind dadurch gesenkt worden. Es gab zum ersten Mal für Arbeiterfamilien die Möglichkeit, in zwei, drei, vier Zimmern zu wohnen, wenn sie viele Kinder hatten."

Ohne den öffentlichen Nahverkehr sind die neuen Stadtrandsiedlungen nicht denkbar. Das Berliner System gehört zu den weltbesten seiner Zeit. Ein immenser Fortschritt, auch wenn die Idee der Rationalisierung dem sozialen Wohnungsbau später noch zum Verhängnis werden soll ...

Hitlers Machtantritt am 30. Januar 1933 setzt der Aufbruchstimmung ein jähes Ende. Die Avantgarde unter den Künstlern und Architekten wird bald darauf verfolgt. Für den sozialen Wohnungsbau beginnt eine unbedeutende Zeit. Die gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaften werden "gleichgeschaltet" und als "Neue Heimat" zusammengefasst.

Stimpel: "Im Übrigen gab es eine brutale Form der Wohnungspolitik: Albert Speer hat ja viel abreißen lassen für seine Stadt Germania, all die Leute mussten untergebracht werden, und darum hat er kurzerhand verfügt, dass Tausende von Juden aus ihren Wohnungen herausmussten, um die mit sogenannten Volksgenossen zu belegen, die seinen eigenen Abrissen zum Opfer gefallen waren."

Der "totale Krieg" hinterlässt Berlin als Trümmerfeld. Mehr als ein Drittel aller Wohnungen ist zerstört oder schwer beschädigt. Der übrig gebliebene Wohnraum ist dramatisch überbelegt. Die Menschen hausen in Baracken, Lauben, Kellern und Dachböden. Die Kälte des bitteren Winters 1947 kriecht durch alle Ritzen und notdürftig verschlossenen Löcher der Stadt. Bis zu 1000 Menschen am Tag werden mit Erfrierungen in die Krankenhäuser eingeliefert. Im Januar 1947 zeichnet Stadtrat Gustav Klingelhöfer ein düsteres Bild der Lage:

Klingelhöfer, SPD, Stadtrat, Leiter der Abteilung Wirtschaft im Magistrat von Berlin, 30. Januar 1947:
"Die erwartete zweite Kältewelle ist eingetreten. … Bis zum 15. Januar sind allein aus 17 Bezirken 55 Todesfälle durch Erfrierungen gemeldet worden. Schwere Erfrierungen in 170 Fällen. Die Zahl der Tuberkulose-Krankheiten vervielfacht."

Kein Zweifel: Die Wohnungsfrage ist eine der dringendsten politischen Aufgaben. Doch für den Aufbau fehlt es nicht nur an Geld, sondern auch an Grundstücken, Baumaterial und zeitweise auch an Bauarbeitern. Die Blockade der Westsektoren durch sowjetische Truppen in den Jahren 1948 und 49 verschlimmert die Situation noch. Fortan wird Berlin zum Schaufenster zweier konkurrierender Systeme, die gerade im Wohnungs- und Städtebau ihren Fortschritt demonstrieren. In diesem Wettkampf hinkt West-Berlin zunächst hinterher. Der Ostsektor dagegen orientiert sich am Moskauer Vorbild und startet am 3. Januar 1952 sein Prestigeprojekt, die Stalinallee.

Reporter: "Ja, die ersten Maurer der Stalinallee sind da, und wir können wohl mit Recht sagen, dass sich das ganze Berlin zu ihnen hingewendet hat ..."

Tausende Freiwillige treten in den folgenden Monaten nach Feierabend mit der Spitzhacke zum Arbeitseinsatz an. Wer 300 Stunden Aufbauarbeit leistet, erhält zur Belohnung das Los für eine Wohnung. Die Stalinallee-Bauten mit ihren reichen Verzierungen, den Säulen, Türmchen und Erkern, schnellen in die Höhe. So wie diese Vorzeigestraße soll sich die gesamte Hauptstadt der DDR entwickeln. Schon ein halbes Jahr nach Baubeginn zieht Rudolf Hernstadt, Chefredakteur des Parteiorgans "Neues Deutschland", ein stolzes Resümee:

"Erst ein Straßenabschnitt Strausberger Platz – Bersarinstraße und dann die ganze sozialistische Hauptstadt Berlin."

Bereits 1953 beziehen die ersten Mieter die Wohnungen der Stalinallee mit Zentralheizung, Einbauküche, Bad und Aufzug. Und das für nur 90 Pfennig pro Quadratmeter.

Reporterin: "Na, Herr Schiewe, das ist aber eine große Freude was?"
Schiewe: "Jawoll."
Reporterin: " … die Wohnung zu haben."
Schiewe: "Wir freuen uns sehr, denn so lange wir verheiratet sind, haben wir für uns noch nicht eine richtige Wohnung gehabt wie wir uns wünschten."

Doch viel zu teuer ist die sozialistische Prachtstraße, als dass die Hauptstadt der DDR sich noch mehr solcher Projekte leisten könnte. Stattdessen werden in den folgenden Jahren unauffällige, industriell gefertigte Wohnhäuser errichtet. Dennoch setzen die Vorzeigebauten östlich des Alexanderplatzes die andere Seite der Stadt unter Druck. Gesetzlich ist dort der soziale Wohnungsbau zwar längst verankert, zu sehen allerdings ist davon noch nichts. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Otto Suhr, beginnt deshalb in Sichtweite der Sektorengrenze mit dem Bau von Wohnhäusern. Gleichzeitig laufen die Planungen für eine Internationale Bauausstellung. Im Berliner Hansaviertel soll das westdeutsche Pendant zur Stalinallee errichtet werden. Architektonisch lautet wie bereits 30 Jahre zuvor auch diesmal wieder die Devise "Licht, Luft, Sonne!"

Tausende Besucher erscheinen zur Einweihung der Internationalen Bauausstellung am 6. Juli 1957, um die sogenannte "Stadt der Zukunft" zu besichtigen. Ein buntes Potpourri an Wohnungen mitten im Tiergarten ist entstanden: flache Bungalows, ein paar Punkthochhäuser entlang der S-Bahn und viele langgestreckte bis zu 17-geschossige Hochhäuser. Die Architekturprominenz aus aller Welt hat sich bei der "Interbau" mit ausgeklügelten Grundrissen, eleganten Fassaden und modernsten Materialien verewigt. Die Ausstellung soll den freien demokratischen Geist der westlichen Welt verkörpern. Doch auch das Hansaviertel mit seinen 1200 zum großen Teil im sozialen Wohnungsbau errichteten Wohnungen bleibt ein viel zu teures Projekt. Lediglich an seinem modernen Städtebau orientieren sich im Folgenden die berüchtigten Großsiedlungen. Die Sprengung jeglicher Maßstäbe und die soziale Spaltung in diesen reinen Wohnstädten sollen ihnen jedoch zum Verhängnis werden.

Filmausschnitt Christiane F.:
"Überall nur Pisse und Kacke. Man muss nur genau hinsehen. Egal wie neu und großzügig alles aussieht. Mit seinem grünen Rasen und den Einkaufszentren. Aber am meisten stinkt's ja in den Häusern, in den Treppenhäusern. Was sollen die Kinder denn machen, wenn sie draußen spielen und dann mal müssen. Bis der Fahrstuhl kommt und sie im elften oder zwölften Stock sind, haben sie schon in die Hose gemacht und bekommen Prügel. Da machen sie lieber gleich in den Hausflur."

Kinder, die den obersten Fahrstuhlknopf nur mit Hilfe eines Kochlöffels bedienen können, Heroinsüchtige, die im evangelischen Gemeindezentrum nebenan dealen. Das sind die Bilder, die von der Trabantensiedlung Gropiusstadt schon bald nach der Fertigstellung durch die Medien geistern. Dabei wollten die Erbauer, der Architekt Walter Gropius und die städtische Wohnungsbaugesellschaft GEHAG an die Vorzeigesiedlung Britz aus den 20er Jahren anknüpfen. Eine "Stadt in der Stadt" sollte die Hochhaussiedlung werden, mit möglichst wenig Verkehr und großen Grünflächen. Doch als 1975 aus den dunklen Mietskasernen Neuköllns 50.000 Sozialhilfeempfänger hier einziehen, wird das Elend schnell sichtbar: Die Siedlung ist zu groß geraten, das Leben in den bis zu 30-geschossigen Hochhäusern ist unwürdig, die Freiflächen zwischen ihnen sind nicht grün, sondern zubetoniert.

Zur selben Zeit kämpft auch Ost-Berlin, die Hauptstadt der DDR, mit der Wohnungsfrage. Bis 1990 sollen 350.000 Wohnungen errichtet werden, in Neubausiedlungen an den Stadträndern. Die Lösung heißt "WBS 70", ein Wohnblock aus industriell vorgefertigten Betonplatten. Berlin-Marzahn entsteht als größte Plattenbausiedlung der DDR. Doch ganz anders als im Westteil der Stadt sind die neuen Trabantenstädte beliebt. Alle Bewohner sind gleich, sozial Minderbemittelte gibt es nicht. Wer hier lebt, lebt modern.

In Berlin wird jetzt, Mitte der 70er Jahre, "kahlschlagsaniert": Ganze Straßenzüge aus der Gründerzeit müssen billigen Neubauten weichen. Systematisch entmieten die Eigentümer dazu ihren Altbaubestand. Tausende Wohnungen stehen leer und verfallen, obwohl es einen Mangel an Wohnraum, vor allem an billigem Wohnraum, gibt. Der Staat schaut nicht nur zu, er subventioniert die Zerstörung. Das System der staatlichen Wohnungsbauförderung ist marode. Die Gelder aus Bonn fließen unkontrolliert, die Investoren rechnen ihre Baukosten in die Höhe. Kapitalismus pur – für die Hausbesetzer, die die abrissgefährdeten Häuser illegal bewohnen, um sie vor dem "Kahlschlag" zu bewahren.

Am 12. Dezember 1980 eskalieren die Auseinandersetzungen zwischen Besetzerszene und Polizei in einem offenen Straßenkampf. In den folgenden Monaten räumt die Polizei immer wieder Wohnungen und nimmt Hausbesetzer fest. Längst aber haben sich nicht nur Intellektuelle, sondern auch ein Großteil der Bevölkerung mit den Besetzern verschworen. Der Publizist Roland Stimpel:
"Dass das falsch war, was da entstand, an den Rändern, das ist schon während der Bauzeit klar geworden. ... Dann kamen zwei Dinge zusammen: einmal die Erkenntnis, dass man es maßlos übertrieben hatte und zum anderen die erste Erkenntnis der Grenzen des wirtschaftlichen Wachstums. Es gab den ersten Ölpreisschock und es gab den Bericht des Club of Rome, was letztlich die Ökobewegung angestoßen hat und man hat sich gesagt, lass uns doch nicht immer draußen alles neu machen, sondern das pflegen, was wir haben und das weiterentwickeln."

Auch in der DDR erinnert man sich des alten Bildes der Stadt. Die Erkenntnis setzt sich durch, dass es preisgünstiger ist, die alten Innenstadt-Quartiere zu sanieren als vor der Stadt Neubausiedlungen zu errichten. Allerdings nur in den Köpfen und nicht in der Realität. Und so kommt es zum 750. Geburtstag Berlins noch einmal in beiden Teilen der Stadt zu repräsentativen Ausstellungen. Im Westen stellt die Internationale Bauausstellung 1987 Beispiele vor, wie die sogenannte behutsame Stadtsanierung zukünftig bewerkstelligt werden könnte: Mit kleinteiligen Wohnanlagen und aufwändig gestalteten Außenräumen. Im Osten dagegen blickt man zurück auf die großen Leistungen im Wohnungsbau. Beim zentralen Festakt verkündet Erich Honecker:

"Hunderttausende Besucher gewannen anlässlich des Berlin-Jubiläums auf der bisher umfangreichsten Bauausstellung der Deutschen Demokratischen Republik einen anschaulichen Überblick, wie mit Hilfe unseres Wohnungsbauprogramms das Wohnungsproblem als soziale Frage bis zum Jahr 1990 gelöst wird. Wie Städte, Dörfer und Industriebereiche ihr Gesicht verändern, wie unsere Republik bei allem, was uns gemeinsam noch zu tun bleibt, augenfällig für jeden voranschreitet ..."

Zwei Jahre später fällt die Berliner Mauer. Städte, Dörfer und Industrien im Osten des Landes werden von jetzt ab erst recht ihr Gesicht verändern. An Wohnraum mangelt es nicht mehr in Berlin – im Gegenteil: In Ost und West gibt es massive Verschiebungen. Viele Menschen verlassen die Trabantenstädte und ziehen in ein Eigenheim. Tausende Russlanddeutsche kehren heim, sie finden Wohnraum in Hellersdorf, Marzahn oder Gropiusstadt. Zugleich müssen die Innenstadtbezirke saniert werden. Studenten und Künstler erobern sich Berlin-Mitte, Prenzlauer Berg und anschließend Friedrichshain. Sozialwohnungen werden seit 1997 nicht mehr gefördert, der kommunale Wohnungsbestand als verzichtbarer Wert eingeschätzt. Seit der Wende hat das Land Berlin mehr als die Hälfte der ehemals 585.000 kommunalen Wohnungen veräußert. Verblieben sind vorwiegend die Plattenbauten im Ostteil der Stadt. Die berühmten 20er-Jahre-Siedlungen dagegen, die den Beginn des sozialen Wohnungsbaus markieren, sind beliebt, da man sie nach einer Luxussanierung teuer vermieten kann. Der soziale Wohnungsbau ist ein Auslaufmodell. Und keiner weint ihm nach. Noch nicht.